Nach Abtreibungsverboten

„Nussknacker“: Warum in den USA Vasektomien verschenkt werden

Seit in den USA das Recht auf Abtreibungen gekippt wurde, steigt die Nachfrage nach Sterilisationen. Das geht auch im umfunktionierten Lkw-Anhänger.

Laut Dr. Esgar Guarin dauert der folgenschwere Eingriff gerade einmal 15 Minuten.
Laut Dr. Esgar Guarin dauert der folgenschwere Eingriff gerade einmal 15 Minuten.imago/allOver-MEV

Im US-Bundesstaat Missouri will ein Arzt mit einer mobilen Vasektomie-Klinik auf Tour gehen und innerhalb weniger Tage über 100 Männer sterilisieren – kostenfrei und aus „Idealismus“, wie es Dr. Esgar Guarin selbst ausdrückt. Was zunächst nach einer kuriosen PR-Aktion klingt, hat einen durchaus ernsten Hintergrund.

Seit der Oberste Gerichtshof der USA Ende Juni das landesweite Recht auf Abtreibungen gekippt hat, betonen Menschenrechtsorganisationen die schwierige Lage für Frauen, insbesondere in republikanisch regierten Gebieten. 13 Bundesstaaten haben mittlerweile ein vollständiges Abtreibungsverbot erlassen. Als besonders konservativ geltende Staaten wie Alabama, Texas oder Missouri sehen auch bei Vergewaltigung oder Inzest keine Ausnahmen vor. „Dies ist ein entscheidender Moment für die reproduktiven Rechte in den Vereinigten Staaten“, sagte Guarin der US-Nachrichtenagentur AP. Er sehe in Vasektomien eine sichere Alternative. „Wir müssen darüber sprechen.“

Im „Nussknacker“ durch den mittleren Westen

Bei „Dr. Gs“ Vasektomie-Mobil handelt es sich um einen schwarz-weißen, mit Spermien verzierten Lkw-Anhänger, dessen Inneres der gebürtige Kolumbianer zur Sterilisations-Klinik umgebaut hat. Anlässlich des Welt-Vasektomie-Tages am 17. November wolle er den „Nussknacker“, wie seine Freunde das Mobil im Scherz nennen, mit seinem Pick-up-Truck durch den mittleren Westen der USA fahren und Gratis-Sterilisationen anbieten. Normalerweise kostet der Eingriff rund 700 US-Dollar. An der Kampagne ist auch die Gesundheitsorganisation Planned Parenthood beteiligt, in den Vereinigten Staaten vor allem als wichtige Anlaufstelle für ungewollt Schwangere bekannt.

Guarin will mit der Aktion auch auf die ungerechte Verteilung der Verantwortung aufmerksam machen, wenn es um Themen wie Verhütung und Schwangerschaft geht. Frauen würden weitaus häufiger in die Pflicht genommen als ihre männlichen Partner, so der Arzt – auch weil fast keine Verhütungsmittel für Männer existierten.

Tatsächlich sind Versuche wie die „Pille für den Mann“ auch in Deutschland immer wieder Thema. Forscher verweisen aber oft auf die zu starken Nebenwirkungen bisher entwickelter Präparate. „Etliche Studien haben gezeigt, dass Männer daran interessiert sind, die Verantwortung für die Empfängnisverhütung mit ihren Partnerinnen zu teilen“, sagt Abdullah Al Noman von der University of Minnesota, der zu einer Antibabypille für Männer forscht. Bis zur Zulassung eines wirksamen und sicheren Mittels könnte es jedoch noch mehrere Jahre dauern.

„Ein Schritt, zu dem ich irgendwie gezwungen wurde“

Laut Guarin bietet eine Vasektomie – vorausgesetzt der Patient ist sich wirklich sicher, den permanenten Eingriff in Anspruch nehmen zu wollen – eine einfache und effiziente Lösung: In einer 15-minütigen Prozedur werden die Samenleiter des Patienten durchtrennt, anschließend sei dieser mit über 99-prozentiger Sicherheit unfruchtbar. Wegen der oft lebenslangen Konsequenzen für die Familienplanung raten Experten jedoch vor allem jüngeren Männern von Vasektomien ab.

Grundsätzlich ist auch das Rückgängig machen einer Sterilisation – eine sogenannte Refertilisierung – bei Männern möglich. Der Erfolg eines solchen Eingriffs hängt dabei auch davon ab, wie viel Zeit seit der Vasektomie vergangen ist. Noch bis zu drei Jahre nach dem Eingriff liegt die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges bei etwa 90 Prozent. Nach zehn Jahren sind es jedoch bereits nur noch 70 Prozent. Laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) sind in Deutschland nur etwa drei Prozent der Männer sterilisiert.

In den USA nimmt die Nachfrage seit der Entscheidung des Supreme Courts indes zu. Laut einem Planned-Parenthood-Sprecher ist die Zahl der Suchanfragen zum Thema Vasektomie in den vergangenen 100 Tagen um 53 Prozent gestiegen. „Es ist ein Schritt, zu dem ich im Hinblick auf die Entscheidung Roe vs. Wade irgendwie gezwungen wurde“, sagt Denny Dalliance, der sich im November kostenlos bei Dr. Guarin unters Messer legen möchte. Als Grund für die Entscheidung nannte der 31-Jährige auch die enormen Kosten, die die Geburt eines Kindes mit sich bringe. „Es ist die richtige ethische Entscheidung für mich, aber es ist keine, die man leichtfertig trifft.“