Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth hat mit der Forderung, die Ukraine – unter bestimmten Umständen – trotz des andauernden russischen Angriffskriegs in die Nato aufzunehmen, für heftige Kritik aus den eigenen Reihen gesorgt. In einem Interview hatte Roth dafür plädiert, im Falle eines Einfrieren des Krieges die Bedingungen für eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine zu lockern – und Teile des Landes sofort in das Militärbündnis zu integrieren.
Roth sagte in dem Interview mir der Wochenzeitung Zeit, man könne „die vertraglichen Grundlagen für eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine etwas weiter auslegen“. Sollte sich der Krieg in der Ukraine zu einem „eingefrorenen Konflikt“ entwickeln, könnte man diejenigen Teile des Landes, die nicht von Russland besetzt sind, „schnellstmöglich“ ins Nato-Gebiet aufnehmen, so Roth, der seit Ende 2021 Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag und damit ranghöchster Außenpolitiker des Parlaments ist.
Nato-Beitritt trotz Ukraine-Krieg? SPD-Fraktion distanziert sich
„Ich würde einen perfekten Frieden nicht zur Bedingung einer Aufnahme machen“, sagte Roth weiter. In einem solchen Szenario würde die Ukraine „zwar als ganzes Land aufgenommen, aber Artikel 5 erst einmal nicht auf die Gebiete angewandt, die Russland völkerrechtswidrig besetzt hat.“ In Artikel 5 des Nordatlantikvertrags ist der sogenannte Bündnisfall definiert. Dieser sieht vor, dass sich die Mitgliedsstaaten im Falle eines Angriffs gegenseitigen militärischen Beistand leisten. Laut Roth würde diese Beistandspflicht bei einer Teilaufnahme der Ukraine dann auch für die nicht-besetzten Gebiete des angegriffenen Landes gelten.
In der SPD sorgten die Vorschläge des Außenpolitikers für scharfe Kritik. „Wir brauchen keine Alleingänge von Abgeordneten, sondern eine gemeinsame Politik mit unseren Verbündeten“, sagte der SPD-Außenexperte Ralf Stegner dem Spiegel. „Der Wettbewerb um die radikalsten Forderungen wird eher Eskalationsgefahren verstärken als eine tragfähige Friedenslösung herbeiführen.“ Der SPD-Verteidigungsexperte Joe Weingarten bezeichnete Roths Vorschlag als „ziemlichen Unsinn“, und auch die SPD-Fraktion im Bundestag erklärte, es handele sich um eine nicht abgesprochene „Einzelmeinung“ Roths.
Roth kritisiert Medien: „Russlands Krieg eignet sich nicht für Schlagzeilen“
Roth verteidigte sich am Donnerstag auf Twitter. „Der Vernichtungskrieg Russlands (...) eignet sich nicht für Schlagzeilen und Zuspitzungen“, schrieb Roth. In der Berichterstattung zu dem Gespräch seien seine Aussagen missverständlich dargestellt worden. Die Idee sei nicht, der Ukraine noch während des Krieges eine Nato-Mitgliedschaft zu eröffnen. Stattdessen beziehe sich der Vorschlag lediglich auf den Fall, „dass nach einer Friedenslösung ein ‚Frozen Conflict‘ ungelöst bleibt“.
Die Idee bezieht sich auf den theoretischen Fall, dass nach einer Friedenslösung ein „Frozen conflict“ ungelöst bleibt. Hier könnte ich mir durchaus vorstellen, dass die 🇺🇦 beitritt, sich daraus aber keine NATO-Beistandsverpflichtungen für von 🇷🇺 besetzte Gebiete ergeben. 6/6
— Michael Roth - official 🇪🇺🇺🇦 (@MiRo_SPD) July 6, 2023



