Jahrzehntelang galt Müllverbrennung in Europa als „grüner Fortschritt“: Statt Abfall auf Deponien zu kippen, wird er verbrannt – und dabei Strom oder Fernwärme erzeugt. Doch das vermeintlich umweltfreundliche Modell wankt. Wie eine umfangreiche Recherche des US-Magazins Politico zeigt, verursachen viele der rund 500 Waste-to-Energy-Anlagen in Europa deutlich mehr Umwelt- und Klimaschäden als bisher angenommen.
Ein Beispiel ist das baskische Dorf Zubieta in Nordspanien. Nur 300 Menschen leben dort, doch am Ortsrand verbrennt eine Anlage jährlich 200.000 Tonnen Müll – importiert aus der gesamten Region. Ursprünglich als ökologisches Vorzeigeprojekt gedacht, steht das Werk nun im Zentrum einer Klage wegen Verstößen gegen EU-Umweltrichtlinien. Der Vorwurf: Luft, Wasser und Böden in der Umgebung seien belastet – mit Rückständen aus der Verbrennung. Die lokale Initiative GuraSOS wirft der Betreiberfirma und der Regionalregierung vor, die Genehmigung auf unzureichender rechtlicher Grundlage erteilt zu haben.
Verbrennung von Haushaltsmüll ist klimaschädlich
Doch Zubieta ist dem Bericht zufolge kein Einzelfall. Überall in Europa geraten Müllverbrennungsanlagen unter Druck. Denn: Studien belegen, dass bei der Verbrennung von Haushaltsmüll enorme Mengen an klimaschädlichem CO₂ entstehen – vor allem durch Kunststoffe, die aus fossilen Rohstoffen bestehen. Laut der NGO Zero Waste Europe setzt eine Tonne verbrannter Hausmüll zwischen 0,7 und 1,7 Tonnen CO₂ frei. Diese Belastung liegt teils über den Emissionen vieler fossiler Gaskraftwerke.
Peter Kurth, Präsident des Entsorgerverbands BDE, widerspricht dieser Sichtweise: „Die Vorstellung, dass wir alle Abfälle recyceln oder vermeiden können, ist illusionär. Es wird immer Reste geben, die nicht verwertbar sind – genau dafür braucht es moderne Müllverbrennungsanlagen.“ Auch der Branchenverband CEWEP betont, dass kontrollierte thermische Behandlung besser sei als Deponierung, die deutlich klimaschädlicher sei.
Überkapazitäten, Schuldenlast und politische Kehrtwende
Viele der Anlagen seien laut Politico hoch verschuldet. Allein das Werk in Zubieta wurde durch 80 Millionen Euro an Anleihen finanziert – Rückzahlung bis 2047. Damit die Investition sich rechnet, muss die Anlage weiterlaufen – auch wenn der Müll zur Verbrennung längst knapp wird. Ähnliches gelte für das spektakuläre Müllkraftwerk in Kopenhagen, auf dessen Dach eine Skipiste gebaut wurde: Auch dort muss inzwischen Abfall aus dem Ausland importiert werden, um die Brennöfen zu füttern. Laut Dänemarks Energieministerium liegt die Überkapazität des Landes bei bis zu 700.000 Tonnen jährlich. Ein Rückbau sei teuer – ein Weiterbetrieb nur mit hohem ökologischem Preis möglich, heißt es.
Kritiker wie Zero Waste Europe, CEE Bankwatch und zahlreiche kommunale Umweltinitiativen warnen: Das Prinzip sei in sich widersprüchlich. Je besser eine Stadt Abfälle vermeidet oder recycelt, desto weniger Brennmaterial steht zur Verfügung – was den Weiterbetrieb der teuren Anlagen infrage stelle.
EU zieht sich zurück – einzelne Länder halten an der Technik fest
Die Europäische Union hat die Zeichen erkannt – und sich weitgehend von der Technologie abgewendet. Schon 2020 strich die EU-Kommission Müllverbrennung aus ihrer offiziellen „grünen Investitionsliste“ (EU-Taxonomie), weil der CO₂-Ausstoß zu hoch sei. Auch die Europäische Investitionsbank (EIB) vergibt heute kaum noch Kredite für neue Anlagen – zumindest nicht ohne strenge Umweltauflagen. „Wir finanzieren nur, was mit EU-Recht vereinbar ist“, sagte Patrick Dorvil, Senior Economist bei der EIB, gegenüber Politico.
Die Subventionen der EU fließen inzwischen fast ausschließlich in Recycling-Infrastruktur. Dennoch halten manche Mitgliedstaaten weiter an der Müllverbrennung fest: In Polen etwa wird derzeit ein neues Werk im Wert von 97 Millionen Euro geplant – finanziert durch die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD). Die Bürgermeisterin von Lodz, Hanna Zdanowska, verteidigt das Projekt mit Verweis auf Energieunabhängigkeit. Doch selbst sie räumt ein, dass die Anlage künftig überregionalen Müll braucht, um ausgelastet zu sein.
- reduziert Abfallmengen schnell und zuverlässig
- senkt Methanemissionen durch Deponievermeidung
- liefert Energie aus Abfallstoffen
- hilfreich bei nicht recycelbarem Müll
- hoher CO₂-Ausstoß, besonders durch Kunststoffanteile
- wirtschaftlicher Druck zur „Müllproduktion“
- Risiko gesundheitsschädlicher Emissionen
- Investitionsmittel fehlen dann für echte Kreislaufwirtschaft
Kritiker sprechen längst von „stranded assets“ – also Infrastruktur, die nicht mehr gebraucht wird, aber weiterbetrieben werden muss, weil Kredite bedient werden. Eine Art fossile Falle, gebaut aus Müll.
Die NGO CEE Bankwatch warnt: „Viele dieser Anlagen werden sich als obsolet erweisen, weil die EU auf Abfallvermeidung und Recycling umschwenkt.“ Auch in Frankreich wächst der Widerstand: Dort forderten Senatoren im März ein Verbot neuer Müllverbrennungsanlagen.
Die Zukunft liegt für viele nicht mehr im Feuer, sondern in der Kreislaufwirtschaft. Europas Müllverbrennungsprojekt – einst als nachhaltige Innovation verkauft – könnte am Ende als teurer Irrtum in die Geschichte eingehen.


