Klimaaktivisten

Letzte Generation schreibt Offenen Brief an Scholz: „Kommen Sie Ihrer Pflicht nach?“

Die Letzte Generation wendet sich in einem Offenen Brief an den Bundeskanzler. Darin kündigt die Gruppe weitere Protestmärsche an. Und auch die Sitzblockaden gehen wohl weiter.

Die Letzte Generation bei einem Protestmarsch am Freitag in Friedrichshain. Die Gruppe kündigte weitere Protestmärsche an.
Die Letzte Generation bei einem Protestmarsch am Freitag in Friedrichshain. Die Gruppe kündigte weitere Protestmärsche an.Andreas Friedrichs/imago

Die Klimagruppe Letzte Generation hat sich mit einem Offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gewandt. In dem Schreiben, das sie am Samstag veröffentlichten, teilen die Aktivisten ihre Motivation für die Klebe-Blockaden mit und legen ihre Forderungen an die Politik dar. Wir veröffentlichen den Offenen Brief hier im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Scholz,

in der Bevölkerung gibt es Verunsicherung. Ein Landeskriminalamt missachtet rechtsstaatliche Prinzipien, indem es die Letzte Generation – ohne Urteil eines Gerichts – als „kriminelle Vereinigung“ bezeichnet. Wir finden: Niemand darf sich über den Rechtsstaat hinwegsetzen.

Wenn schon so wie jetzt auf friedliche Sitzblockaden reagiert wird: Was passiert, wenn die Klimakrise unsere Gesellschaft und den Rechtsstaat unter Stress setzt? Wie wird der Rechtsstaat mit anhaltenden Dürren und Hunderten Millionen Geflüchteten umgehen? Wird unser Rechtsstaat dann zerfallen?

Kanzler Scholz, kommen Sie Ihrer Pflicht nach, den Rechtsstaat vor dem Klimachaos zu schützen?

Wir finden, angesichts des drohenden Klimachaos sollte auf die Bevölkerung gehört werden. Jetzt ist der Moment, in dem Sie mit Ihrer Regierung einen Gesellschaftsrat einberufen sollten. Dieses Mittel ist europaweit erprobt, in 11 unserer Nachbarländer gab es in den letzten Jahren nationale Räte mit ausgelosten Bürger*innen zur Klimapolitik.

Wir brauchen einen Gesellschaftsrat, in dem ein Querschnitt der Bevölkerung zusammenkommt – ein Mini-Deutschland. Der Autofan aus Neubrandenburg diskutiert mit der Veganerin aus Freiburg, wie wir als Gesellschaft aus der Klimakrise kommen. Dieser Gesellschaftsrat erarbeitet einen entschlossenen Plan, wie Deutschland sozial gerecht bis 2030 die Nutzung fossiler Brennstoffe beendet. So wird ein Weg aus der Klimakrise dank Bürger*innenbeteiligung aus der Mitte der Gesellschaft gefunden.

Die Menschen in diesem Land wollen mehr Klimaschutz. Immer mehr Menschen können es nicht mehr mit sich vereinbaren, zuzuschauen, wie unsere Lebensgrundlagen zerstört werden. Immer mehr Menschen beteiligen sich an Protestmärschen. Immer mehr Menschen sehen es als ihre Pflicht, sich dem todbringenden Alltag in den Weg zu setzen, sich an Sitzblockaden zu beteiligen. Unignorierbar zu alarmieren. Wir wissen, dass ein Gesellschaftsrat jetzt die beste Chance für die Bevölkerung ist, sodass wir Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein angemessenes Maß an Wohlstand noch erhalten können.

Insbesondere am Mittwoch wird es große Protestmärsche im ganzen Land geben.
Unzählige Menschen haben sich für nächste Woche zu Sitzblockade-Trainings angemeldet. Wir wünschen uns, dass es unseren Protest nicht mehr braucht. Dass Ihre Regierung verfassungsgemäß handelt. Dass all die neuen Menschen, die gerade zur Letzten Generation strömen, es nicht mehr als notwendig erachten, Sitzblockaden zu machen. Wir werden unseren Protest beenden, sobald die Bundesregierung den Gesellschaftsrat einberuft.

Hochachtungsvoll,

die Bürger*innen der Letzten Generation vor den Kipppunkten

Scholz hatte zuletzt gesagt, Aktivisten, die mit Verkehrsblockaden und dem Beschmieren von Kunst Aufmerksamkeit auf sich lenkten, seien „völlig bekloppt“. Im Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger verteidigte er seine Aussage: „Ich nehme da kein Blatt vor den Mund“, sagte der Kanzler. Dass Straftaten der Gruppe geahndet werden, begrüßte er. Zur Frage einer rechtlichen Einstufung als kriminelle Vereinigung wollte er sich nicht äußern. „Darüber habe nicht ich zu entscheiden, sondern unsere Justiz, und sie handelt unabhängig.“ Er fügte aber hinzu: „Erkennbar werden hier wiederholt Straftaten verübt, das kann der Rechtsstaat nicht ignorieren.“

Polizei und Staatsanwaltschaft waren am Mittwoch mit einer Razzia gegen die Letzte Generation vorgegangen. Rund 170 Beamte durchsuchten 15 Wohnungen und Geschäftsräume in sieben Bundesländern, wie die Generalstaatsanwaltschaft München und das Bayerische Landeskriminalamt mitteilten. Der Tatvorwurf lautet auf Bildung beziehungsweise Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Die Aktivisten bestreiten, kriminell zu sein, obwohl mehrere bereits wegen Straftaten verurteilt wurden, teils sogar zu Haftstrafen.

Am Freitag fand erneut ein Protestmarsch der Letzten Generation in Berlin statt. Rund 1000 Demonstranten zogen durch Friedrichshain. Bereits am Mittwoch hatte es einen Protestmarsch der Klimaaktivisten gegeben, um gegen die Razzia gegen die Letzte Generation am gleichen Tag in mehreren Städten bundesweit zu protestieren.

Auf ihrer Internetseite teilte die Gruppe mit, in den nächsten Tagen und Wochen diese Protestmärsche auf möglichst viele Städte ausweiten zu wollen. „Die Protestmärsche werden vorher öffentlich angekündigt, aber nicht mit den Versammlungsbehörden abgesprochen oder angemeldet.“ Ab dem 5. Juni will die Letzte Generation zudem mit „verschiedenen friedlichen Protesten“ die „rücksichtslose Verschwendung und die Überemissionen der Superreichen entlarven“. Nähere Angaben dazu, was genau geplant ist, machte die Gruppe nicht.