Mit einem Lächeln betritt Alina W. den Gerichtssaal, grüßt ihren Anwalt und setzt sich auf die Anklagebank. Die 22-Jährige ist selbstbewusst, das merkt man ihr an. Mit blauer Bluse, weißer Hose und Sneakern bekleidet ist sie das typische Abbild einer Berliner Studentin. Auch der Grund, warum sie heute vor dem Amtsgericht Tiergarten erscheint, ist längst nicht mehr außergewöhnlich.
Sie ist „Klima-Kleberin“ und muss sich nach einer Straßenblockade wegen Nötigung und Widerstands gegen einen Vollstreckungsbeamten verantworten. Es soll ein beschleunigtes Verfahren sein – das heißt, dass aufgrund der klaren Faktenlage eine schnelle Entscheidung getroffen werden kann. Doch so einfach will ihr Anwalt Ralf Monneck es dem Richter nicht machen.
Direkt zu Beginn des Verfahrens stellt der Verteidiger von Alina W. den Antrag, ein Regelverfahren durchzuführen. Für ein beschleunigtes Verfahren läge der Vorfall am 5. Dezember 2022 zu lange zurück. Außerdem wäre nicht genug Zeit für die Akteneinsicht gewesen und die Angeklagte sei durch das beschleunigte Verfahren im Nachteil, denn Details gingen verloren.
Ralf Monneck verliest den Antrag knapp 20 Minuten lang, spricht von „offenbar politisch gewollter Verhandlungserschwerung“ und bezieht sich auf die momentan laufenden Ermittlungen gegen die Letzte Generation. Verfahren gegen die Aktivisten, so der Anwalt, sollen häufig beschleunigt ablaufen – zum Nachteil der Angeklagten. Es werde versucht, eine „Sonderjustiz“ zu etablieren.
Richter Simon Herold-Steinhof bleibt ungerührt. Nach der Stellung des Antrags folgt ein kurzer verbaler Schlagabtausch mit Monneck, dann sagt der Richter: Über den Antrag werde später entschieden. Herold-Steinhof will vorankommen.
„Nadelstiche“ und Provokationen
Doch zunächst folgen weitere Anträge; auf sofortigen Entscheid des ersten Antrags (abgelehnt), auf Verschiebung des Verfahrens, um mehr Zeit für die Akteneinsicht zu haben (ebenfalls abgelehnt) und schließlich auf Aussetzung des Verfahrens und den Verweis an das zuständige Gericht (wieder abgelehnt). „Diese Taktik der – ich nenne es jetzt mal Nadelstiche – ist dem Prozess nicht förderlich“, kommentiert Richter Herold-Steinhof scharf. Er wolle, dass man vernünftig miteinander umgehe. Mehrmals erinnert er den Verteidiger daran, dass er als Richter das Wort erteile.
Nach einer 30-minütigen Pause schließlich reicht Monneck einen Antrag auf Befangenheit ein. Der Dialog bleibt angespannt, der Anwalt verlässt den Saal. Alina W., seine Mandantin, bleibt zurück. Dies sei allerdings kein Grund, die Hauptverhandlung zu unterbrechen, sagt der Richter. Die Anklage wird verlesen. Dann können drei Stunden nach Prozessbeginn endlich die geladenen Zeugen befragt werden.
Zwei sind Polizisten. Sergey L. war an dem Einsatz, Alina W. und vier ihrer Mitstreiter von der Straße zu holen, aktiv beteiligt. Seine Kollegin Jenny M. war Schriftführerin. Er kann sich kaum genau erinnern, dafür kann sie viele Details noch sicher berichten. Jenny M. spricht von „Transparenten mit klimapolitischen Inhalten“, die die Demonstrierenden dabei hatten, von den „zwanzig bis dreißig Metern Stau“, die sich bei ihrer Ankunft bereits gebildet hatten, und davon, wie Kollegen den Kleber mit Speiseöl lösten und die Beteiligten einzeln auf den Gehweg trugen.
Dann wird auch noch ein durch die Aktion betroffener Autofahrer befragt. Berat A. ist IT-Spezialist und war gerade auf dem Weg zur Arbeit, als er in den Stau auf der Kreuzung Potsdamer Straße/Varian-Fry-Straße geriet. Der 27-Jährige erzählt ruhig davon, wie er nach 30 Minuten den Stau umfahren konnte: „Das ist eben Berlin.“
Zuletzt wird die Bodycam-Aufnahme eines Polizisten angeschaut. Zu sehen und hören ist auf den Zusammenschnitt nicht viel: stark überlichtete Demonstranten, darunter Alina W., Autohupen und sonstiger Lärm. So einfach, wie erhofft, ist die Beweislage dann doch nicht.





