Justiz

Koalition will Lügen verbieten? „Kann nicht sein, dass sich der Staat zum Wahrheitsministerium aufschwingt“

Die zukünftige Regierungskoalition will zukünftig stärker gegen Falschaussagen vorgehen – besonders in den sozialen Medien. Ein Medienanwalt sieht dies hingegen kritisch.

Friedrich Merz und seine Partei arbeiten gemeinsam mit der SPD an einer Regierungskoalition.
Friedrich Merz und seine Partei arbeiten gemeinsam mit der SPD an einer Regierungskoalition.Juliane Sonntag/imago

Die zukünftige schwarz-rote Regierungskoalition will offenbar stärker gegen Falschbehauptungen von Tatsachen – also Lügen – vorgehen. Wie die Bild-Zeitung aus dem Verhandlungspapier der Arbeitsgruppe „Kultur und Medien“ zitiert, soll besonders der Druck auf Soziale Medien in Sachen Fake News erhöht werden.

„Desinformation und Fake News“ bedrohten die Demokratie, heißt es in dem Papier. „Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt.“

Die Koalition will daraus folgende Konsequenzen ziehen: „Deshalb muss die staatsferne Medienaufsicht unter Wahrung der Meinungsfreiheit auf der Basis klarer gesetzlicher Vorgaben gegen Informationsmanipulation sowie Hass und Hetze vorgehen können.“

Anwalt: Juristen streiten selbst über Tatsachenbehauptung und Meinung

Doch was würde dies juristisch bedeuten? Medienanwalt Christian Conrad, von der Kölner Kanzlei Höcker sagte der Berliner Zeitung auf Anfrage, dass der Sachverhalt differenziert betrachtet werden müsse. In der Rechtsprechung werde ausdifferenziert, was Tatsache und was Meinung sei. Eine bewusste Behauptung von Unwahrheiten sei nicht geschützt. Allerdings sei damit eine Äußerung gemeint, die einen anderen Menschen konkret betreffe und eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte darstelle.

Gehe es um Unwahrheiten, die Menschen nicht konkret beträfen und beispielsweise in den sozialen Medien verbreitet würden, „wird es richtig krumm“, so Conrad. Eine Medienanstalt müsse dann „wie eine Art Zensor“, selbst unsinnige Äußerungen löschen. Dabei nennt Conrad das Beispiel der Aussage „Die Erde ist eine Scheibe“.  Dies sei klar eine Falschbehauptung, die einer Person jedoch nicht konkret schade. Würde jeder Beitrag dieser Art in den sozialen Medien gelöscht, ginge dies zu weit und laufe in die Gefahr in die Meinungsfreiheit einzugreifen. „Es kann nicht sein, dass sich der Staat zum Wahrheitsministerium aufschwingt“, so Conrad. Klar gebe es unumstößliche Wahrheiten, wie etwa die Existenz des Holocaust – dessen Leugnung sei in Deutschland jedoch ohnehin schon verboten.

Kein „Wahrheitsministerium“ bei der Regierung

Der Satz „Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt“ stamme aus einer juristischen Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Meinungsfreiheit und könne nicht so einfach auf jedwede Falschbehauptung ausgebreitet werden. Dies führe sonst zu einer „ganz gefährlichen Schieflage“, der demokratische Diskurs könne verstummen. Ursprünglich seien die Pläne der Koalition sicherlich „gut gemeint“, besonders in Bezug auf Bots in den sozialen Medien, die reihenweise Fake News verbreiteten oder Wahlbeeinflussung betrieben.

Es sei jedoch nicht so einfach zu unterscheiden, was eine (falsche) Tatsachenbehauptung und was eine Meinung sei. Juristen stritten sich selbst vor Gericht darüber, so Conrad. Das Bundesverfassungsgericht selbst habe einen Sachverhalt in einem Urteil so formuliert: „Das BVerfG geht deswegen in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptung nicht vom Schutz der Meinungsfreiheit umfasst wird. Allerdings dürfen die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so bemessen werden, dass darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leidet und auch zulässige Äußerungen aus Furcht vor Sanktionen unterlassen werden“.

Letztendlich dürfe die Entscheidung nicht allein beim Staat liegen, was unwahr ist und was nicht, so Conrad. Die Ansätze der rot-schwarzen Koalition sehe er kritisch. „Man will die Demokratie schützen und die Maßnahmen führen jedoch dazu, dass man sie letztendlich gefährdet“.