Der Europarat will ein Schadensregister für die Kriegszerstörungen in der Ukraine einrichten. Insgesamt 40 der 46 Mitgliedsstaaten haben sich dazu bereit erklärt, beizutreten oder in der Zukunft beizutreten, teilte das internationale Gremium am Mittwoch bei seinem Gipfel in Reykjavik mit. Mit dem Register sollen Zerstörungen in der Ukraine dokumentiert werden, um Russland später dafür zur Rechenschaft ziehen zu können. Es gilt demnach als erster Schritt auf dem Weg zu möglichen Entschädigungszahlungen an die Ukraine.
Am Dienstag war der Europarat zum vierten Mal in seiner Geschichte und zum ersten Mal seit 18 Jahren zusammengekommen – vor allem, um über die weitere Unterstützung der Ukraine zu sprechen. Über 30 Staats- und Regierungschefs trafen sich zu dem Gipfel in der isländischen Hauptstadt. „Die Ukraine kämpft für die Demokratie und für die Freiheit“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in der Eröffnungssitzung, zu der auch der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj zugeschaltet wurde. „Es ist unser gemeinsamer Kampf.“
Schadensregister für die Ukraine: Nicht alle Länder sind dabei
Die Generalsekretärin des Europarats, Marija Pejčinović Burić, bezeichnete die Entscheidung für das Schadensregister als „historisch“. Es sei eines der ersten rechtlich bindenden Instrumente, um Russland für seine Taten zur Verantwortung ziehen zu können. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) befürwortete den Beschluss. Der Europarat leiste damit „einen wesentlichen Beitrag zu den internationalen Bemühungen, Russland für die Folgen seines brutalen Handelns zur Rechenschaft zu ziehen“, sagte Scholz in Reykjavik.
Reykjavik Summit @coe will be remembered as a place of reaffirmed determination, where the democratic renewal began/Sommet de Reykjavik @coe_fr restera dans les mémoires comme le lieu d’une détermination réaffirmée, où la reconquête démocratique a commencé pic.twitter.com/TgmZ8J71aW
— Marija Pejčinović Burić (@MarijaPBuric) May 17, 2023
Sechs der seit dem Austritt Russlands insgesamt 46 Mitgliedsstaaten wollen sich allerdings nicht an dem Register beteiligten. Armenien, Aserbaidschan, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Ungarn und die Türkei wollen das Vorhaben vorerst nicht Unterstützen, wie es am Mittwoch aus Reykjavik hieß. Dafür sind die von dem Gremium formal unabhängige EU, Kanada, Japan und die USA dabei.
Selenskyj dankt Europarat: „Es ist wichtig, dass Europa so geeint ist“
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj begrüßte die Entscheidung des Europarats zur breiten Unterstützung der Ukraine. „Der Europarat hat eine wichtige Entscheidung getroffen: Die endgültige Entschließung des Gipfels in Island unterstützt die ukrainische Friedensformel“, sagte Selenskyj am Mittwoch in seiner allabendlichen Videoansprache. „Es ist wichtig, dass Europa im Interesse eines ehrlichen Friedensplans so geeint ist.“ Er danke allen Staats- und Regierungschefs Europas und allen Mitgliedstaaten des Europarats für ihre Haltung.
Die Positionen des Europarats seien hilfreich für den Kampf der Ukraine gegen Russland. „Auf der Grundlage dieser Konsolidierung werden wir die Möglichkeiten des terroristischen Staates (Russland), seine Aggression fortzusetzen, weiter einschränken und unsere Fähigkeit, Gerechtigkeit zu schaffen, unser Land zu befreien und unser Volk zu retten, weiter ausbauen“, sagte der ukrainische Staatschef.
Today, the 🇷🇺 shelling of our Kherson region claimed the life of another child. A boy. His name was Vsevolod. He would have turned six years old in July.
— Володимир Зеленський (@ZelenskyyUa) May 17, 2023
It was another artillery attack by 🇷🇺 terrorists. People were just on the street near an ordinary store.
Regular 🇷🇺 shelling… pic.twitter.com/gsHZPNDpSd
Olaf Scholz: Keine deutschen Kampfjets für die Ukraine
Deutschland will zudem auch den Europarat selbst stärker finanziell unterstützen. So kündigte Scholz am Mittwoch insgesamt zehn Millionen Euro zusätzlich zum deutschen Pflichtbetrag für die Organisation an. Regierungsangaben zufolge beträgt der Haushalt des Europarats für dieses Jahr 479 Millionen Euro, wovon Deutschland circa 44 Millionen Euro beiträgt.
Hinsichtlich der Lieferung von Kampfjets an die Ukraine sieht sich die Bundesregierung hingegen nicht unter Zugzwang. „Im Hinblick auf uns sind keine Anforderungen da“, gab Scholz am Mittwoch zu verstehen. Deutschland konzentriere sich wie gehabt auf Panzer, Munition, die Etablierung „eines funktionierenden Systems für die Reparatur“ und die Luftabwehr. Diese Dinge seien „sehr relevant“ für die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine.
Großbritannien und die Niederlande hatten am Dienstag ihre Pläne für eine „internationale Koalition“ bekannt gegeben, welche die Ukraine mit Kampfflugzeugen beliefern soll. Demnach soll die Ukraine F-16-Kampfjets erhalten und bei der Ausbildung unterstützt werden. Auch Frankreich hatte sich zuletzt bereiterklärt, bei der Ausbildung ukrainischer Kampfjet-Piloten zu helfen.
Scholz in Reykjavik: Brücken zum „anderen Russland“ aufrechterhalten
Auch die Frage nach der Ahndung russischer Kriegsverbrechen spielte bei dem Gipfeltreffen in Island eine Rolle. Olaf Scholz unterstützte die Aufarbeitung mutmaßlicher Verbrechen, sprach sich aber auch dafür aus, die Brücken zum „anderen Russland“ – jenseits von Präsident Wladimir Putin – nicht abzubrechen. Irgendwann werde Russlands Krieg gegen die Ukraine enden, so der Kanzler, und er werde nicht mit einem Sieg des „Putin'schen Imperialismus“ enden. Bis dahin solle man die Perspektive einer demokratischen, friedlichen Zukunft in Russland und Belarus offenhalten – „so unwahrscheinlich sie uns heute auch erscheinen mag“.





