Angesichts des intensivierten Vorgehens Israels in seinem Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen gerät die Regierung Benjamin Netanjahus zunehmend in die Kritik. Während mehrere Länder mit Sanktionen drohen, hat auch der Oppositionsführer der linksgerichteten israelischen „Demokraten“-Partei Yair Golan schwere Vorwürfe gegen die Regierung erhoben.
Laut der israelischen Zeitung Times of Israel sagte Golan in einem Interview mit dem Fernsehsender Kan: „Ein vernünftiger Staat führt keinen Krieg gegen Bürger, tötet keine Babys als Hobby und setzt sich nicht das Ziel, die Bevölkerung zu vertreiben.“ Zudem warnte Golan davor, dass Israel künftig als „aussätziger Staat“ enden könnte. „Diese Regierung ist voll von rachsüchtigen Typen ohne Moral und ohne die Fähigkeit, ein Land in einer Krisenzeit zu führen.“ Dies bedrohe ihm zufolge die Existenz Israels.
Am Sonntag hatte die israelische Armee erklärt, im Rahmen einer neuen verstärkten Offensive zur Zerschlagung der radikalislamischen Hamas „umfassende Bodeneinsätze“ im gesamten Gazastreifen begonnen zu haben. Am Tag darauf erklärte Netanjahu zudem, Israel werde die Kontrolle über „das gesamte Territorium“ übernehmen. In der Nacht zu Dienstag sollen derweil bei israelischen Angriffen 60 Menschen im Gazastreifen getötet worden sein, meldete die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa am Morgen.
Yair Golan sorgt mit Aussagen für Aufruhr
Mehrere Regierungs- und Oppositionspolitiker kritisierten Golan umgehend für seine Aussagen. Golan habe offenbar „eine Notiz vom Hamas-Sprecher übernommen“ und sein eigenes Hobby „war schon immer die Verbreitung antisemitischer Blutverleumdungen gegen den Staat Israel“, so der rechtsextreme Minister für nationale Sicherheit Itamar Ben Gvir.
„Yair Golan ist ein Terrorist“, der „die Bemühungen zur Erreichung von Kriegszielen sabotiert, die Sicherheit der IDF-Kämpfer sabotiert und die israelische Demokratie sabotiert“, sagte Kommunikationsminister Shlomo Karhi. Auch der Oppositionspolitiker Benny Gantz, der sein früheres Amt als Verteidigungsminister wegen Meinungsverschiedenheiten mit Netanjahu zum Gazakrieg aufgegeben hatte, forderte Golan auf, sich zu entschuldigen.
Nach dem Aufruhr ruderte Golan etwas zurück und bezeichnete die IDF-Soldaten als „Helden“, die im Namen einer „korrupten“ Regierung kämpfen würden. „Die Bedeutung meiner Worte war klar: Dieser Krieg ist die Verwirklichung der Fantasien von Ben Gvir und Smotrich, und wenn wir ihnen erlauben, dies in die Tat umzusetzen, werden wir zu einem Paria-Staat. Es ist an der Zeit, dass wir Rückgrat zeigen - aus gehärtetem Stahl. Wir müssen für unsere Werte als zionistischer, jüdischer und demokratischer Staat einstehen“, argumentierte Golan im Onlinedienst X.
EU-Länder, Großbritannien und Kanada drohen Israel mit Sanktionen
Israels Außenminister Gideon Saar hat derweil in den letzten Tagen Bemühungen angestellt, um zu verhindern, dass die EU Maßnahmen gegen Israel einführt. Eine Initiative der Niederlande, die darauf abzielt, die Handelsbeziehungen der EU mit Israel zu überdenken und bestehende Abkommen auszusetzen, sorgte zuletzt für Aufsehen. Saar führte nun nach Informationen der israelischen Nachrichtenseite Ynet mehrere Gespräche mit seinen europäischen Amtskollegen, um für Solidarität mit Israel zu werben und die Initiative zu verhindern.
Der vom niederländischen Außenminister Caspar Veldkamp eingebrachte Vorschlag stützt sich auf Artikel 2 des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel, der eine Aussetzung ermöglicht, wenn die EU feststellt, dass Israel schwere Menschenrechtsverletzungen begeht. Jedoch müssten alle 27 Mitgliedsstaaten für den Vorschlag stimmen.
In den vergangenen drei Tagen habe Saar den Berichten zufolge nun mit den Außenministern von Lettland, Deutschland, Italien, Kroatien, Bulgarien, Ungarn, Litauen und der Tschechischen Republik sowie mit der EU-Außenbeauftragten für Außenpolitik, Kaja Kallas, gesprochen, damit der Vorschlag abgelehnt wird.
Frankreich, Großbritannien und Kanada drohen Israel mit Sanktionen
Auch die Staats- und Regierungschefs von Frankreich, Großbritannien und Kanada hatten zuletzt Israels Vorgehen im Gazakrieg als „völlig unverhältnismäßige“ Eskalation kritisiert und mit Sanktionen gedroht. „Sollte Israel die erneute Militäroffensive nicht einstellen und die Beschränkungen der humanitären Hilfe nicht aufheben, werden wir mit weiteren konkreten Maßnahmen reagieren“, teilten Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der britische Premier Keir Starmer sowie sein kanadischer Amtskollege Mark Carney mit.
„Das menschliche Leid in Gaza ist unerträglich“, hieß es in der Stellungnahme weiter. Die Ausweitung der Angriffe auf den teils bis zur Unkenntlichkeit zerstörten Küstenstreifen lehne man entschieden ab. Man werde „nicht tatenlos zusehen, während die Netanjahu-Regierung diese ungeheuerlichen Maßnahmen fortsetzt“. Welche Konsequenzen die drei Länder konkret in Erwägung ziehen, blieb offen. Zudem wandten sich die drei Politiker gegen den weiteren Siedlungsbau im Westjordanland. Man erwäge „gezielte Sanktionen“.
Die Außenministerien von Deutschland und 21 weiteren Ländern forderten Israel am Montag zudem zu einer vollständigen Wiederaufnahme der Hilfen auf. Israel hatte Anfang März den Gazastreifen nach dem Scheitern einer Waffenruhe abermals abgeriegelt. Am Montag hatten nach Angaben des UN-Nothilfekoordinators Tom Fletcher erstmals seit der erneuten Blockade wieder neun Lkw die Erlaubnis erhalten, in den Gazastreifen zu fahren. (mit AFP)


