In einer historischen Rede vor dem US-Kongress hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj versichert, dass sich sein Land gegenüber den russischen Aggressoren „niemals ergeben“ werde. Zugleich rief er am Mittwoch in Washington zu weiterer Hilfe auf und betonte, dass diese „eine Investition in die weltweite Sicherheit“ sei - und „keine Wohltätigkeit“. Es war Selenskyjs erste Auslandsreise seit Kriegsbeginn, vor seiner Rede im Kongress traf er US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus.
Für Wolodymyr Selenskyjs Auftritt genau 300 Tage nach Beginn der russischen Invasion kamen beide Kammern des US-Parlaments zu einer gemeinsamen Sitzung zusammen. Abgeordnete und Senatoren empfingen den Gast mit lang anhaltendem stehenden Applaus. „Im Gegensatz zu all den dunklen Vorhersagen ist die Ukraine nicht gefallen“, sagte Selenskyj. „Die Ukraine lebt und kämpft.“

Zugleich bedankte sich der mit einem Pullover in Tarnfarbe bekleidete Präsident für die Unterstützung der USA im Kampf gegen die russischen Angreifer. „Euer Geld ist keine Wohltätigkeit, sondern eine Investition in die weltweite Sicherheit und in die Demokratie, mit der wir auf verantwortungsvollste Weise umgehen werden“, sagte er. Sein Land sei für alle Unterstützung dankbar, aber: „Ist es genug? Ehrlich gesagt, nicht wirklich.“ Um die russischen Truppen aus der Ukraine zu vertreiben, brauche seine Armee noch mehr Waffen.
Selenskyj machte klar, dass es bei dem Krieg gegen die Ukraine nicht nur um das Schicksal der Ukrainer gehe. „Der Kampf wird definieren, in welcher Welt, unsere Kinder und Enkelkinder leben werden, und dann ihre Kinder und Enkelkinder“, warnte er. Ein russischer Angriff gegen Verbündete sei nur eine Frage der Zeit. Die Welt sei zu sehr vernetzt, als dass sich irgendjemand sicher fühlen könne, wenn der russische Angriff weiterginge.
Das kommende Jahr werde einen „Wendepunkt“ in dem Konflikt mit sich bringen, prophezeite er: „wenn ukrainischer Mut und amerikanische Entschlossenheit die Zukunft unserer gemeinsamen Freiheit garantieren müssen – der Freiheit von Menschen, die für ihre Werte einstehen.“

Der ukrainische Präsident fand in seiner Rede immer wieder eindringliche Worte und betonte das Durchhaltevermögen seiner Landsleute. Die Ukrainer hätten keine Angst – und niemand auf der Welt sollte sie haben, sagte er. „Sie haben viel mehr Raketen und Flugzeuge als wir je hatten, das stimmt, aber unsere Verteidigungskräfte stehen.“ Die Ukraine werde niemals kapitulieren.
Anschließend übergab Selenskyj dem US-Kongress eine ukrainische Fahne, die nach seinen Angaben aus der derzeit besonders umkämpften Stadt Bachmut im Osten des Landes stammt und die Unterschriften von dort kämpfenden Soldaten trägt. Im Gegenzug erhielt der Präsident die US-Flagge, die während seines historischen Besuches vor dem Kapitol in Washington gehisst worden war.
I thank @POTUS for the warm welcome and I deeply appreciate all the support of the U.S. and the American people. I am confident that together we will be able to secure a better, prosperous and free future for both of our nations. Ukraine’s victory will also be America’s victory. pic.twitter.com/OhclRtwIJy
— Володимир Зеленський (@ZelenskyyUa) December 22, 2022
Biden empfing Selenskyj zuvor im Weißen Haus
Vor seiner Rede vor dem Kongress war Selenskyj im Weißen Haus empfangen worden, wo Biden ihm die fortdauernde Unterstützung der USA und des Westens zusicherte. „Sie werden niemals allein sein“, sagte Biden bei einer gemeinsamen Pressekonferenz. „Wir werden Ihnen beistehen, so lange es nötig ist.“ Der Kampf der Ukraine gegen die russischen Angreifer sei „Teil von etwas viel Größerem“.

Zuvor hatten die USA im Zuge eines 1,85 Milliarden Dollar (rund 1,74 Milliarden Euro) umfassenden Hilfspakets erstmals auch die Lieferung eines Luftabwehrsystems Patriot zugesagt, auf das Kiew angesichts der anhaltenden massiven russischen Angriffe auf seine Infrastruktur seit Wochen drängt. Selenskyj dankte dafür ausdrücklich – machte aber auch bei Biden klar, dass er sich mehr Waffen wünsche.





