Libanon

Tausende Hisbollah-Pager zeitgleich explodiert: Miliz droht Israel mit „gerechter Strafe“

Die Hisbollah wurde mutmaßlich gehackt. Tausende Kommunikationsgeräte detonierten am Mann. Es gibt Tote und Verletzte. Die Schiitenmiliz macht Israel dafür verantwortlich, die UN ist besorgt.

Ersthelfer des Zivilschutzes bringen einen verletzten Mann, dessen Pager explodiert ist, ins al-Zahraa-Krankenhaus.
Ersthelfer des Zivilschutzes bringen einen verletzten Mann, dessen Pager explodiert ist, ins al-Zahraa-Krankenhaus.Hussein Malla/dpa

Die Hisbollah hat Israel die Verantwortung für die mutmaßlich koordinierten Explosionen von Pagern im Libanon zugewiesen. In der Erklärung der Miliz hieß es, sie mache Israel „in vollem Umfang für diese kriminelle Aggression verantwortlich, die auch Zivilisten zum Ziel hatte. Dieser verräterische und kriminelle Feind wird mit Sicherheit seine gerechte Strafe für diese sündhafte Aggression erhalten“. Die bewaffnete libanesische Gruppe bekräftigte außerdem ihre „Unterstützung und Rückendeckung für den tapferen palästinensischen Widerstand“.

Die Hamas erklärte daraufhin am Abend: „Wir verurteilen die zionistische terroristische Aggression auf libanesische Bürger durch detonierende Kommunikationsgeräte in mehreren Gebieten des Libanon aufs Schärfste“. Der Iran verurteilte die mutmaßlich koordinierten Explosionen als „Terrorakt“.

Sohn von prominenten Hisbollah-Abgeordneten Ali Ammar getötet

Mindestens neun Menschen wurden nach Angaben der libanesischen Regierung am Dienstag getötet, als tragbare Kommunikationsgeräte der Hisbollah fast zeitgleich in die Luft gingen. Unter den Toten befinden sich mehrere Hisbollah-Mitglieder und die Söhne zweier Hisbollah-Abgeordneter im libanesischen Parlament, meldete die Nachrichtenagentur AFP. Der prominente Hisbollah-Abgeordnete Ali Ammar sprach mit der Nachrichtenagentur Associated Press (AP), nachdem sein Sohn Mahdi getötet worden war. „Dies ist eine neue israelische Aggression gegen den Libanon“, sagte Ammar. „Der Widerstand wird in geeigneter Weise und zum geeigneten Zeitpunkt Vergeltung üben“.

Im Osten des Libanon wurde zudem die zehnjährige Tochter eines Mitglieds der Miliz getötet, als sie neben ihrem Vater stand und dessen Pager explodierte, wie ihre Familie sowie eine Quelle aus dem Hisbollah-Umfeld gegenüber der AFP angaben. Laut Gesundheitsminister Firass Abiad seien zudem rund 2750 Menschen verletzt worden, mehr als 200 von ihnen schweben demnach in Lebensgefahr.

Irans staatliche Nachrichtenagentur IRNA berichtete zudem, dass der iranische Botschafter im Libanon, Moschtabi Amani, bei der Explosionen eines Pagers leicht verletzt wurde. Er habe dem Staatsfernsehen mitgeteilt, dass es ihm trotz der Verletzung gut gehe und „keinerlei Gefahr“ für ihn bestehe.


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Bericht: Hisbollah erhielt erst vor kurzem neue Pager

Bei den explodierten Geräten soll es sich um tragbare Funkrufempfänger handeln, die auch als Pager bekannt sind. Dabei handelt es sich offenbar um einen ausgeklügelten, ferngesteuerten Anschlag, der zu einer Zeit zunehmender Spannungen an der libanesischen Grenze erfolgte. Arabische Nachrichtensender meldeten, die Operation sei „unter Einsatz modernster Technologie“ durchgeführt worden. Dem mit der Hisbollah verbundenen Fernsehsender Al Mayadeen zufolge, habe das libanesische Gesundheitsministerium die Bürger aus Sicherheitsgründen aufgefordert, ihre Walkie-Talkies zu entsorgen.

Das Wall Street Journal berichtete, die Pager stammten aus einer Lieferung, die die Hisbollah erst kürzlich erhalten habe. Hunderte Kämpfer hätten solche Geräte, berichtete die Zeitung unter Berufung auf einen namentlich nicht genannten Hisbollah-Vertreter. Dieser vermutete demnach, die Geräte seien mit Schadsoftware versehen gewesen, die zu einer Überhitzung und zur Explosion geführt hätten.

Der ehemalige CIA-Analyst Mike Dimino von der in den USA ansässigen Denkfabrik Defense Priorities erklärte, dass den Bildern der Verletzungen nach zu urteilen ein „sehr kleiner Sprengstoff“, der in die Geräte eingepflanzt wurde, die wahrscheinlichste Ursache sei, und nicht eine überhitzte Batterie. „Dies war eine klassische Sabotageaktion“, sagte er auf der Onlineplattform X und fügte hinzu, dass eine solche Operation „Monate, wenn nicht sogar Jahre“ in Anspruch nimmt, um sie zu planen.

Explosionen auch in Syrien

Die Explosionen ereigneten sich im Süden des Libanon und in den südlichen Vororten von Beirut, beides Hochburgen der schiitischen Bewegung. Ein Reuters-Journalist berichtete, er habe im Süden Beiruts zehn Hisbollah-Mitglieder mit stark bluteten Wunden gesehen. Eine Live-Übertragung vom Ort des Geschehens zeigt mehrere verletzte Männer, die am Boden liegen. Auch in Syrien seien Pager explodiert, meldete die Nachrichtenagentur AP. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte bestätigte, dass mehrere Mitglieder der Hisbollah durch explodierende Kommunikationsgeräte in der Nähe der Hauptstadt Damaskus verletzt wurden. Aus syrischen Sicherheitskreisen hieß es, ein Pager sei unter anderem in einem Auto in der Hauptstadt Damaskus explodiert.

Auch israelische Medien berichteten mit Eilmeldungen über den Vorfall. In der Jerusalem Post oder Israel HaYom hieß es beispielsweise: „Zahlreiche Verletzte nach Explosion in Beiruts Hisbollah-Hochburg“. Im Live-Ticker der linksliberalen israelischen Tageszeitung Haaretz hieß es, ein enger Berater von Premierminister Benjamin Netanjahu habe angedeutet, dass Israel hinter den Explosionen im Libanon stecke. Das israelische Militär hat sich bis dato nicht zu den Explosionen im Nachbarland geäußert.

Krankenhäuser im Libanon in Alarmbereitschaft

Das libanesische Gesundheitsministerium rief alle Krankenhäuser auf, in Alarmbereitschaft zu sein, um Notfallpatienten aufzunehmen, und forderte die Besitzer von Pagern auf, sich von diesen zu trennen. Es forderte auch das Gesundheitspersonal auf, keine drahtlosen Geräte zu benutzen.

AP-Fotografen in den Krankenhäusern der Region berichteten, dass die Notaufnahmen mit Patienten überfüllt waren, viele von ihnen mit Verletzungen an den Gliedmaßen, einige in ernstem Zustand. Die staatliche Nationale Nachrichtenagentur meldete, dass Krankenhäuser im Südlibanon, im östlichen Bekaa-Tal und in den südlichen Vororten von Beirut - alles Gebiete, in denen die Hisbollah stark vertreten ist - die Menschen zu Blutspenden aller Art aufgerufen hätten.

UN warnt vor weiterer Eskalation in Nahost

Die Vereinten Nationen warnten vor einer Eskalation zwischen Israel und der Hisbollah. „Diese Entwicklungen sind äußerst besorgniserregend, insbesondere angesichts der Tatsache, dass dies in einem äußerst instabilen Kontext geschieht“, sagte Sprecher Stéphane Dujarric in New York. Die UN beobachteten die Situation. „Wir können die Risiken einer Eskalation im Libanon und in der Region nicht genug betonen“, fügte Dujarric hinzu.

Die USA waren über die Massenexplosion von Pagern im Libanon nach Angaben aus Washington vorab nicht informiert und auch nicht daran beteiligt. „Ich kann Ihnen sagen, dass die USA nicht daran beteiligt waren und dass die USA nicht im Voraus von diesem Vorfall wussten“, sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller. „Im Moment sammeln wir Informationen.“ 

Zugleich mahnte die US-Regierung den Iran, nichts zu tun, was die derzeit angespannte Lage verschärft. „Wir möchten den Iran dringend bitten, diesen Vorfall nicht auszunutzen, um weitere Instabilität zu schaffen“, sagte Miller. Der Iran unterstützt die Hisbollah im Libanon, die nach dem Beginn des Gaza-Krieges ihre Angriffe auf Israel intensiviert hatte.

Seit fast einem Jahr kommt es zu schweren Gefechten zwischen der libanesischen Hisbollah-Miliz und dem israelischen Militär. In den vergangenen Tagen verdichteten sich die Anzeichen, dass der Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah zu einem offenen Krieg eskalieren könnte.

Erst am Dienstag wurden nach israelischen Angaben bei einem Angriff auf einen Ort im Südlibanon drei Hisbollah-Kämpfer getötet. Der israelische Inlandsgeheimdienst Schin Bet erklärte am Dienstag, einen Bombenanschlag der Hisbollah auf einen ehemaligen ranghohen Sicherheitsvertreter Israels vereitelt zu haben. Die Attacke sei in den kommenden Tagen geplant gewesen, hieß es. Der Sprengsatz sei mit einem Fernzünder ausgestattet gewesen, verbunden mit einer Kamera und einem Handy. So hätte die Bombe demnach vom Libanon aus von der Hisbollah gezündet werden können. (mit AFP)