Mehr Waffen gefordert

Falls Ukraine den Krieg verliert: Militärexperte warnt vor russischem Einmarsch in Deutschland

Nur durch einen Sieg der Ukraine könne ein Frieden in Europa dauerhaft erreicht werden, sagt Gustav Gressel. Er kritisiert die zögerliche Haltung der Führungsriege bei der EU und im Bundeskanzleramt scharf.

Awdijiwka: Ukrainische Soldaten feuern eine französische Panzerhaubitze vom Typ CAESAR auf russische Stellungen.
Awdijiwka: Ukrainische Soldaten feuern eine französische Panzerhaubitze vom Typ CAESAR auf russische Stellungen.AP/Libkos

Der Militärexperte Gustav Gressel rechnet im Frühjahr mit einer weiteren, massiven Offensive der russischen Armee in der Ukraine.  Im Interview mit dem Stern sagt der Politikwissenschaftler, selbst ein neuerlicher Sturm auf Kiew sei nicht auszuschließen, obwohl ein russischer Erfolg, die ukrainische Hauptstadt einzunehmen, nahezu unmöglich sei. „Aber hat das die politische Führung kapiert und hat das Putin kapiert? Oder befiehlt er seiner Armee Angriffe auf Ziele, die jenseits ihrer praktischen Reichweite und Möglichkeiten liegen“, so Gressel. „Armeeführung und Politik müssen sich nicht unbedingt einig sein.“

Entsprechend erwartet der Militärexperte weitere zähe und blutige Gefechte, die die Entschlossenheit der Ukrainer eher weiter stärken denn schwächen würden. Ein Sieg der Ukraine sei am Ende nicht nur wünschenswert, sondern auch möglich – vorausgesetzt der Westen ringe sich dazu durch, die Ukraine verstärkt mit westlichen Waffen, allem voran dem deutschen Panzer Leopard II, zu unterstützen.

Gressel spricht von „Hosenscheißern in politischen Führungsriegen“

Gressel kritisierte in dem Interview die zögerliche Haltung der Führungsriege bei der EU und im Bundeskanzleramt. „Das Problem ist, wir haben es in Europa weitestgehend mit Hosenscheißern in politischen Führungsriegen zu tun, die sich aufgrund der nuklearen Disparität nicht trauen, über die geringste Hürde alleine zu springen“, sagte Gressel. „Da muss der Amerikaner hergehen und sie an die Hand nehmen und eskortieren, so wie das bei kleinen Kindern der Fall ist.“

Nur durch einen „Siegfrieden“ der Ukraine und eine herbe Niederlage für Russland könne ein Frieden in Europa dauerhaft erreicht werden. „Die Alternative zur militärischen Unterstützung der Ukraine ist, in zehn Jahren selbst Krieg führen zu müssen, gegen ein Russland, das bei uns einmarschiert. Da muss jeder für sich selbst ausmachen, was ihm lieber ist“, so Gressel.

Strack-Zimmermann: Kanzleramt übernimmt bei Ukraine russische Narrative

In der Ampel-Koalition wird weiterhin über zusätzliche Waffenlieferungen an die Ukraine sowie über mögliche Friedensverhandlungen mit Russland debattiert. Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann warf dem Kanzleramt vor, bei der Begründung der Blockade von Kampf- und Schützenpanzerlieferungen an die Ukraine russische Darstellungen zu übernehmen.

„Offensichtlich funktioniert ja das russische Narrativ und hält manchen im Kanzleramt davon ab, der Ukraine die dringend benötigten Panzer zu überlassen“, sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Wer von der Sorge fabuliert, es würde damit eine rote Linie gegenüber Russland überschritten, der erzählt die Geschichte des Aggressors, nicht die der Opfer.“

Strack-Zimmermann warf dem Kanzleramt zudem vor, in den vergangenen Monaten mit Blick auf Waffenlieferungen an die Ukraine immer wieder zu spät gehandelt zu haben. Die Berater von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) seien „immer hinter der Welle, denken überhaupt nicht strategisch“. Jetzt im Winter „gehören ukrainische Soldaten am Marder und Leopard 2 ausgebildet“, sagte sie. Trotz der Bitten aus Kiew lehnt die Bundesregierung die Abgabe moderner Panzer vom Typ „Leopard“ und „Marder“ an die Ukraine bisher ab.

Kiesewetter: „Waffenstillstand würde aktuell vor allem Russland nützen“

Der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter äußerte sich zu der zuletzt von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich beförderten Debatte über mögliche Friedensgespräche mit Russland. Dabei plädierte er für Verhandlungen, aber gegen einen Waffenstillstand als Voraussetzung.

„Ein Waffenstillstand würde aktuell vor allem Russland nützen, das auf Zeit spielen, Kriegsverbrechen vertuschen und sich auf die Fortsetzung der Angriffe bei einem Scheitern der Verhandlungen vorbereiten könnte“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Russland müsse aber „so geschwächt sein, dass es Verhandlungen nicht ausnutzt“. Daher warb auch Kiesewetter für weitere Waffenlieferungen auch von Panzern, an die Ukraine.

Kühnert: Keine Alleingänge bei Waffenlieferungen

Zurückhaltend zu zusätzlichen Waffenlieferungen äußerte sich dagegen erneut SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert. Es dürfe hier „keine Alleingänge“ geben, bekräftigte er im ZDF. Kühnert sprach sich aber gegen Friedensverhandlungen mit Russland „in der jetzigen Situation“ aus. Voraussetzung sei für ihn dafür die territoriale Integrität der Ukraine „und dass Russland klar wird, dass es seine Kriegsziele nicht erreichen kann“.

Mützenich hatte Weihnachten in der taz kritisiert, dass Diplomatie in Verbindung mit dem Ukraine-Krieg derzeit in Deutschland „reflexhaft abgelehnt“ werde. Er halte es jedoch für sinnvoll, „auszuloten, ob es Möglichkeiten für Verhandlungen geben kann“.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte in seiner Weihnachtsansprache ebenfalls den Wunsch auf Frieden geäußert, jedoch hinzugefügt: „Es muss ein gerechter Friede sein, der weder den Landraub belohnt noch die Menschen in der Ukraine der Willkür und Gewalt ihrer Besatzer überlässt.“