Medien

EU-Medienfreiheitsgesetz in Kraft: Schutzschild für Journalisten – oder Einfallstor für Überwachung?

Offiziell soll das EU-Medienfreiheitsgesetz Journalisten schützen. Kritiker fürchten jedoch Schlupflöcher, die Überwachung und politische Einflussnahme ermöglichen könnten.

Menschen demonstrieren in Polen für die Pressefreiheit.
Menschen demonstrieren in Polen für die Pressefreiheit.Zuma Press Wire/imago

Am heutigen Freitag ist das Europäische Medienfreiheitsgesetz (European Media Freedom Act, EMFA) in Kraft getreten. Die Verordnung soll Pressefreiheit, Quellenschutz und die Unabhängigkeit von Medien in der EU stärken. Doch schon vor Inkrafttreten war sie umstritten: Medienverbände, NGOs und Branchenvertreter warnen vor möglichen Überwachungsbefugnissen, politischer Einflussnahme und neuen Hürden für unabhängige Berichterstattung.

Kernkritik: Ausnahmen für „nationale Sicherheit“ bleiben Einfallstor

Zentraler Bestandteil des EMFA ist der Schutz journalistischer Quellen. Artikel 4 verbietet grundsätzlich den Einsatz von Überwachungssoftware gegen Journalisten, ebenso wie die Durchsuchung von Redaktionen. Doch diese Schutzklausel ist nicht absolut: Regierungen dürfen in Ausnahmefällen eingreifen – wenn es nationales oder EU-Recht vorsieht, die Maßnahme im „Allgemeininteresse“ liegt, bei schweren Straftaten und mit Genehmigung einer unabhängigen oder justiziellen Behörde. In besonders dringenden Fällen kann diese Genehmigung sogar nachträglich erfolgen.

62 Medien- und Nichtregierungsorganisationen hatten bereits 2023 in einem offenen Brief an den EU-Rat vor dieser Formulierung gewarnt. Sie verweisen auf Fälle wie die „Predator“-Spionageaffäre in Griechenland, bei der Medienvertreter mithilfe von Überwachungssoftware ins Visier gerieten. Die Sorge: In Staaten, die bereits mit politischer Einflussnahme auf Medien auffallen, könnte der Schutz durch den EMFA faktisch ausgehöhlt werden.

Öffentlich-rechtliche Medien unter Beobachtung

Artikel 5 verpflichtet die Mitgliedstaaten, die redaktionelle und funktionale Unabhängigkeit öffentlich-rechtlicher Medien zu gewährleisten. Entlassungen von Führungskräften dürfen nur in Ausnahmefällen und auf Grundlage transparenter, objektiver Kriterien erfolgen, die einer gerichtlichen Überprüfung standhalten müssen. Auch die Finanzierung muss nachhaltig, vorhersehbar und redaktionell unabhängig sein.

Die Einhaltung dieser Vorgaben wird von unabhängigen nationalen Behörden überwacht, die ihre Erkenntnisse veröffentlichen. Kritiker fragen jedoch: Wer kontrolliert diese Instanzen? In Ländern mit schwacher demokratischer Verankerung könnten sie selbst zu politischen Druckinstrumenten werden.

Verlegerverbände sehen Gefahr „durch europäische Medienbehörde“

Ein zentrales Element des EMFA ist die Schaffung eines Europäischen Gremiums für Mediendienste, in dem nationale Regulierungsbehörden zusammenarbeiten. Offiziell soll es Medienpluralismus und Unabhängigkeit sichern, Konflikte zwischen Plattformen und Medien schlichten, nationale Behörden bei Zusammenschlüssen beraten und die EU-Kommission unterstützen.

Während Befürworter darin eine Absicherung gegen nationale Übergriffe sehen, warnen Kritiker vor einer schleichenden Kompetenzverschiebung nach Brüssel. Verlegerverbände wie der BDZV und der MVFP befürchten, dass der EMFA zu einer „weitreichenden Aufsicht durch eine europäische Medienbehörde“ führen könnte, die redaktionelle Freiheit de facto einschränkt. Auch die deutschen Landesmedienanstalten äußern Zweifel an der Unabhängigkeit des geplanten EU-Gremiums.

Was das Gesetz konkret vorsieht:
  • Transparenzpflichten: Offenlegung der Eigentümerstruktur von Medienhäusern in nationalen Registern.
  • Schutz vor politischer Einflussnahme: Besetzung und Finanzierung öffentlich-rechtlicher Medien müssen unabhängig erfolgen.
  • Regeln für staatliche Werbung: Öffentliche Stellen müssen Ausgaben für Werbung offenlegen, um Marktverzerrung zu vermeiden.
  • Schutz journalistischer Quellen: Einsatz von Spyware gegen Journalist:innen grundsätzlich verboten – mit Ausnahmefällen bei „nationaler Sicherheit“.
  • Plattformpflichten: Große Online-Dienste müssen vor Einschränkungen von Medieninhalten informieren und einen Dialog ermöglichen.
Mögliche Auswirkungen – Chancen und Risiken
  • Für Journalisten: Mehr Rechtsschutz bei Quellen und Unabhängigkeit – wenn nationale Sicherheits-Ausnahmen nicht zur Standardausrede werden.
  • Für Medienhäuser: Höherer Verwaltungsaufwand durch neue Offenlegungs- und Compliance-Pflichten. Unabhängigkeitsregeln können zugleich als Schutzschild und als Eingriff empfunden werden.
  • Für Plattformen: Neue Moderationspflichten können problematische Inhalte länger online halten – bieten aber Schutz vor willkürlichen Löschungen.
  • Für das Publikum: Mehr Transparenz über Medienbesitz und staatliche Einflusskanäle. Aber auch das Risiko, dass Desinformation länger sichtbar bleibt.

Das „Medienprivileg“ auf Plattformen – Schutz oder Schlupfloch?

Besonders umstritten ist Artikel 18, der großen Onlineplattformen mit über 45 Millionen monatlichen Nutzern vorschreibt, Inhalte anerkannter Medien nicht sofort zu löschen oder einzuschränken. Stattdessen müssen sie die Redaktion zunächst informieren und 24 Stunden lang einen Dialog ermöglichen.

Befürworter sehen darin einen wichtigen Schutz vor willkürlicher Löschung journalistischer Inhalte durch Plattformen. Kritiker warnen jedoch, dass sich auch Akteure mit fragwürdigen Inhalten als Mediendiensteanbieter deklarieren könnten, um unter dieses Privileg zu fallen. Die Folge: Die Entfernung von Desinformation oder Hassrede könnte verzögert oder ganz blockiert werden.

Das Digital Services Act (DSA), das schon länger in Kraft ist, legt dafür ein umfassendes Regelwerk für Onlinedienste fest. Mit dem DSA sollen nicht nur solche Inhalte bekämpft werden, die Urheberrechtsverletzungen darstellen könnten, sondern auch solche, die unter dem Stichwort „Hatespeech“ bekannt gewordene Ehr- und Persönlichkeitsrechtsverletzungen darstellen könnten. 

US-Vizepräsident J.D Vance hatte im Februar mit dem Vorwurf fehlender Meinungsfreiheit für viel Wirbel bei der Münchener Sicherheitskonferenz gesorgt. Vance warnte vor einem inneren Werteverfall in Europa. Er kritisierte Wahlannullierungen in Rumänien, Razzien wegen Online-Kommentaren in Deutschland und Drohungen der EU-Kommission, soziale Netzwerke abzuschalten.

Transparenzpflichten und Marktbeobachtung

Das EMFA schreibt vor, dass Medieneigentum und der Umfang staatlicher Werbebuchungen offengelegt werden müssen. Öffentliche Aufträge und Werbegelder sollen nach transparenten und nichtdiskriminierenden Kriterien vergeben werden. Auch hier sehen Beobachter die Gefahr politischer Einflussnahme, etwa durch gezielte Vergabe oder Streichung von Anzeigenbudgets.

Darüber hinaus wird die EU-Kommission gemeinsam mit dem Europäischen Gremium für Mediendienste den europäischen Medienmarkt kontinuierlich beobachten: von Eigentümerstrukturen über Marktanteile bis zu möglichen ausländischen Desinformationskampagnen. Offiziell soll dies der Früherkennung von Risiken dienen – Kritiker befürchten jedoch, dass dadurch eine dauerhafte Überwachungsstruktur entsteht, die auch auf redaktionelle Inhalte durchschlagen könnte.

EU verteidigt das neue Mediengesetz

EU-Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová weist die Bedenken zurück. „Kein System ist absolut immun“, sagt sie. „Wenn eine Regierung die Medienlandschaft kapern will, kann ein EU-weites Sicherheitsnetz entscheidend sein – auch in stabilen Demokratien wie Deutschland, Dänemark oder Schweden.“ Der geplante EU-Medienausschuss werde nicht in Inhalte eingreifen, sondern lediglich Rahmenbedingungen sichern. Dass Verlage nun erstmals auf EU-Ebene reguliert werden, sei zwar ein Einschnitt, aber ein notwendiger.

Auch das Europäische Parlament betont die Schutzfunktion des Gesetzes: Es sichere redaktionelle Unabhängigkeit, erhöhe die Transparenz von Eigentümerstrukturen und staatlicher Werbung, stärke den Quellenschutz und verhindere, dass Plattformen unabhängigem Journalismus willkürlich Reichweite entziehen.

Chancen und Risiken

Das EMFA ist ein doppeltes Signal: einerseits eine Absage an Zensur und politische Vereinnahmung von Medien, andererseits eine Einladung zur Wachsamkeit. Seine Wirksamkeit steht und fällt mit der engen Auslegung der Ausnahmeregeln, der tatsächlichen Unabhängigkeit der Aufsichtsinstanzen und der Frage, ob das „Medienprivileg“ auf Plattformen tatsächlich Qualitätsjournalismus schützt – oder als Deckmantel für problematische Inhalte missbraucht wird.

Ob der EMFA zum Schutzschild für Pressefreiheit oder zum Einfallstor für Kontrolle wird, entscheidet sich nicht in Brüssel allein, sondern im Zusammenspiel von EU-Institutionen, Mitgliedstaaten und der Medienbranche selbst.