Mögliche Proteste wegen hoher Energiepreise im Herbst und Winter werden den Worten von Außenministerin Annalena Baerbock zufolge nicht zur Aufhebung von Sanktionen gegen Russland führen. „Wir werden an der Seite der Ukraine stehen, und das bedeutet, dass die Sanktionen auch im Winter aufrechterhalten werden, selbst wenn es für Politiker sehr schwierig wird“, sagte die Grünen-Politikerin bei einer Podiumsdiskussion am Mittwoch in Prag.
Ihr sei bewusst, dass Menschen auf die Straße gehen und sagen würden: „Wir können unsere Energiepreise nicht bezahlen.“ Dagegen müsse man mit Sozialmaßnahmen vorgehen, aber sie werde deswegen nicht sagen, man müsse die Sanktionen gegen Russland aufheben.
Twitter: Gekürztes Video von Baerbocks Äußerungen geht viral
„Wenn ich den Menschen in der Ukraine das Versprechen gebe: ‚Wir stehen an eurer Seite, solange ihr uns braucht‘, dann will ich es einhalten. Egal, was meine deutschen Wähler denken. Aber ich will das Versprechen dem ukrainischen Volk gegenüber einhalten“, betonte die Außenministerin.
Auf Twitter ging eine gekürzte Version der Aufnahme von Baerbocks Äußerungen auf der Podiumsdiskussion mit einer falschen Übersetzung viral. Demnach habe Baerbock gesagt: „Ich werde die Ukraine an erste Stelle stellen, egal, was meine deutschen Wähler denken und egal, wie hart es wird.“ Die Annahme, dass Baerbock diesen Satz sagte, führte dazu, dass der Hashtag #BaerbockRuecktritt trendete.
Tatsächlich sagte die Außenministerin auf Englisch aber folgende Worte: „If I give the promise as a politician – and luckily in democracy it could be the chance that people disagree with me and they say in four years ‚Well, you didn't tell us the truth‘. But if I give the promise to people in Ukraine, ‚we stand with you as long as you need us‘, then I want to deliver. No matter what my German voters think, but I want to deliver to the people of Ukraine. And this is why for me it’s important to be always frank and clear. And this means, every measure I’m taking, I have to be clear that this holds on as long as Ukraine needs me. And this is why I think it’s so important that we have to be frank. Yes everybody wishes from us that tomorrow the war stops, but in case tomorrow it wouldn’t stop, I will be also there in two years time. “
Die AfD-Vorsitzende Alice Weidel forderte Baerbocks Rücktritt: „Wer ausdrücklich auf die Interessen der Wähler in Deutschland pfeift, hat in einem Ministeramt nichts mehr verloren“, schrieb Weidel bei Twitter.
Der Rücktritt der Außenministerin @ABaerbock ist überfällig. Wer ausdrücklich auf die Interessen der Wähler in Deutschland pfeift, hat in einem Ministeramt nichts mehr verloren. [1/2] #BaerbockRuecktritt
— Alice Weidel (@Alice_Weidel) September 1, 2022
Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen von der Linken kritisierte an gleicher Stelle, eine Außenministerin, die nach dem Motto „Ukraine first, Bürger egal“ handle, sei ein „Totalausfall“.
77% der Bürger fordern Verhandlungen zwecks Beendigung des Krieges. Eine Außenministerin, die Diplomatie ablehnt & mit "Ukraine first, Bürger egal" Verachtung für alle zeigt, die gegen die Folgen ihrer Irren #Sanktionen protestieren,ist ein Totalausfall! https://t.co/fLV7WZlQYA
— Sevim Dağdelen, MdB (@SevimDagdelen) September 1, 2022
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen schrieb auf Twitter von „Schein-Heroismus“, weil die Mehrheit der Deutschen zur Unterstützung der Ukraine bereit sei. „Demokratische Politiker müssen versuchen, die Anderen mit guten Argumenten zu überzeugen und nicht mit Basta.“
Im Rahmen der Prager Diskussion hatte Baerbock allerdings auch vor einer Spaltung der westlichen Demokratien gewarnt. In diesem Zusammenhang versicherte sie, sie stehe ebenso in Solidarität zu den Menschen in Deutschland wie zu den Menschen in der Ukraine.
Außenamt: Kritisiertes Baerbock-Video sinnentstellend geschnitten
Nach Darstellung des Auswärtigen Amts wurde die Kritik an Baerbocks Ukraine-Äußerung durch prorussische Desinformation befördert. „Der Klassiker: Sinnenstellend zusammengeschnittenes Video, geboostert von prorussischen Accounts und schon ist das Cyber-Instant-Gericht fertig, Desinformation von der Stange“, schrieb der Ministeriumsbeauftragte für strategische Kommunikation, Peter Ptassek, am Donnerstag auf Twitter. „Ob wir uns so billig spalten lassen? Glaube ich nicht.“ Sein Tweet wurde vom offiziellen Twitterkanal des Auswärtigen Amts weiterverbreitet.
Der Klassiker: Sinnenstellend zusammengeschnittenes Video, geboostert von prorussischen Accounts und schon ist das Cyber-Instant-Gericht fertig, Desinformation von der Stange. Ob wir uns so billig spalten lassen? Glaube ich nicht. pic.twitter.com/kHe6DjW75N
— Peter Ptassek (@Ptassek) September 1, 2022
Die Kritik war noch am Mittwochabend unter anderem auf Twitter von einem Account geteilt worden, der während des Ukraine-Krieges häufig pro-russische Inhalte verbreitete. Dieser Tweet wurde binnen weniger Stunden über Nacht tausendfach geteilt und gelikt.
Baerbock wirbt für strategische Neuausrichtung der Russlandpolitik der EU
Baerbock hatte beim informellen EU-Außenministertreffen zudem für eine strategische Neuausrichtung der Russlandpolitik der EU geworben. Der Vorschlag der Außenministerin umfasste vier Punkte: die Stärkung der eigenen Wehrhaftigkeit, die Unterstützung von russischen Regimegegnern, die Unterstützung der Ukraine sowie die Zusammenarbeit mit weltweiten Partnern bei der Verteidigung des internationalen Rechts.
Den Vorschlag für die vier Punkte hat Baerbock nach eigenen Angaben zusammen mit ihrer französischen Kollegin Catherine Colonna erarbeitet. Er wurde den anderen Mitgliedstaaten zu dem informellen EU-Außenministertreffen an diesem Dienstag und Mittwoch in Prag als Diskussionsvorschlag zugeschickt.
Unterstützung der Ukraine hat einen Preis
In dem Text wird auch ganz deutlich festgehalten, was das Ziel der Unterstützung der Ukraine sein sollte. „Um künftigen Aggressionen vorzubeugen, muss sich Russlands Krieg gegen die Ukraine in ein strategisches Scheitern verwandeln“, heißt es in dem als Verschlusssache eingestuften Papier, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Dieses Scheitern definiere man im weitesten Sinne und es umfasse auch eine Entkopplung von Russland im Bereich der Energie.


