Ein Amateurhistoriker hat eine verschollene Kurzgeschichte von Bram Stoker entdeckt, die nur sieben Jahre vor seinem legendären Grusel-Roman „Dracula“ veröffentlicht wurde. Stoker-Fan Brian Cleary stieß beim Stöbern in den Archiven der irischen Nationalbibliothek auf die 134 Jahre alte Geistererzählung, berichtet die BBC. Bis zu diesem Jahr war die Geschichte selbst Stoker-Biografen und Literaturwissenschaftlern unbekannt.
Die Geistergeschichte „Gibbet Hill“ erzählt von einem Mann, der drei mysteriöse Kinder trifft, die vor einem Denkmal für einen Seemann stehen, der von drei Verbrechern ermordet wurde. Die Leiche des Seefahrers wurde auf dem Gibbet Hill in Surrey aufgehängt. Der Ort kommt übrigens auch in dem Roman von Charles Dickens „Nicholas Nickleby“ aus dem Jahr 1839 vor. Die Kinder, die mit einer Schlange kommunizieren und sie offenbar kontrollieren können, greifen den Protagonisten an. Die Geschichte gipfelt darin, dass sich die Schlange aus der Brust des Erzählers windet.
Wie und wo entdeckte Brian Cleary die Geschichte von Bram Stoker?
Cleary machte die Entdeckung laut BBC, nachdem er sich nach einem plötzlichen Hörsturz im Jahr 2021 eine Auszeit von der Arbeit genommen hatte – in dieser Zeit verbrachte er seine Tage in der Nationalbibliothek in Stokers Heimatstadt Dublin. Im Oktober 2023 stieß er in einer Weihnachtsbeilage der Dubliner Ausgabe des Daily Express von 1890 auf einen ihm unbekannten Titel. Clearly sagte später der Nachrichtenagentur AFP: „Ich las die Worte Gibbet Hill und wusste, dass das keine Geschichte von Bram Stoker war, von der ich jemals in einer Biografie oder Bibliografie gehört hatte.“
Er habe überrascht auf den Bildschirm gestarrt und sich gefragt: „Bin ich der einzige lebende Mensch, der das gelesen hat? Was in aller Welt soll ich damit machen?“ Die Leiterin der Bibliothek, Audrey Whitty, sagte der BBC zufolge, Cleary habe sie angerufen und gesagt: „Ich habe etwas Außergewöhnliches in Ihrem Zeitungsarchiv gefunden – Sie werden es nicht glauben.“ Sie fügte hinzu, dass seine „erstaunliche Amateurdetektivarbeit“ auch ein Qualitätsbeweis für die Archive der Bibliothek sei: „Dort warten wirklich weltbedeutende Entdeckungen darauf, gefunden zu werden“, sagte sie.
„Gibbet Hill“: Eine wichtige Station auf dem Weg zu Dracula
Cleary habe daraufhin den bekannten Stoker-Biografen Paul Murray kontaktiert, der bestätigte, dass es seit über einem Jahrhundert keine Spur mehr von der Geschichte gegeben hatte. Er sagte, dass Stoker 1890 als junger Schriftsteller seine ersten Notizen für „Dracula“ gemacht hatte. „Es ist eine klassische Stoker-Geschichte, der Kampf zwischen Gut und Böse, das Böse, das auf exotische und unerklärliche Weise auftaucht“, fügte er demnach hinzu. Laut Murray wirft die wiederentdeckte Kurzgeschichte ein Licht auf Stokers Entwicklung als Autor und war eine wichtige „Station auf seinem Weg zur Veröffentlichung von ‚Dracula‘“.
„Gibbet Hill“ wird dem BBC-Bericht zufolge zusammen mit Bildern des irischen Künstlers Paul McKinley von der Rotunda Foundation herausgegeben – der Stiftung des Dubliner Rotunda-Krankenhauses, für das Entdecker Cleary gearbeitet hatte. Der Fund werde auch im Rahmen des Bram-Stoker-Festivals Ende dieses Monats gefeiert, heißt es weiter.


