Deutschland droht nach Einschätzung des Expertenrats der Bundesregierung seine Klimaziele für das Jahr 2030 deutlich zu verfehlen. „Im Moment sieht es nicht so aus, als könnten wir die Ziele erreichen“, sagte die stellvertretende Vorsitzende Brigitte Knopf am Freitag in Berlin bei der Vorstellung eines Gutachtens zum Stand der deutschen Klimapolitik. „Mit einem „Weiter so“ werden wir die Klimaziele für das Jahr 2030 definitiv nicht erreichen“, warnte Knopf. Die Bundesrepublik will ihren Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 um mindestens 65 Prozent senken im Vergleich zum Jahr 1990.
Zwei Tage vor dem Beginn der nächsten Weltklimakonferenz im ägyptischen Scharm el Scheich übergab der Expertenrat für Klimafragen seinen Bericht zum Stand der deutschen Klimapolitik an Regierung und Bundesrat. Das unabhängige Gremium aus fünf Sachverständigen veröffentlichte dieses im Klimaschutzgesetz festgeschriebene sogenannte Zweijahresgutachten erstmals, weitere Gutachten folgen dann im Rhythmus von zwei Jahren.
Energieeinsparungen reichen nicht aus
„Die jährlich erzielte Minderungsmenge müsste sich im Vergleich zur historischen Entwicklung der letzten 10 Jahre mehr als verdoppeln“, erklärte Ratsmitglied Thomas Heimer mit Blick auf den deutschen Ausstoß an Treibhausgasen. „Im Industriesektor wäre etwa eine 10-fache und beim Verkehr sogar eine 14-fache Erhöhung der durchschnittlichen Minderungsmenge pro Jahr notwendig.“
Zwar habe es durchaus Entwicklungen hin zu einem sparsameren Einsatz von Energie gegeben, stellte das Gremium fest. Allerdings würden diesen ein stärkerer Verbrauch und Konsum entgegenwirken. „Effizienzgewinne wurden also beispielsweise durch das allgemeine Wirtschaftswachstum, größere Wohnfläche oder gestiegene Transportleistungen konterkariert“, erläuterte der Vorsitzende Hans-Martin Henning
So viel kostet uns der Klimawandel
Im Gegensatz zu Extremwetter-Ereignissen in anderen Teilen der Welt sind die Auswirkungen in Deutschland noch vergleichsweise mild. Trotzdem sterben durch den Klimawandel auch zwischen Alpen und Nordsee jedes Jahr Hunderte, wie aus einer Studie des Prognos-Instituts im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums hervorgeht. Die Schäden im Jahresdurchschnitt seit der Jahrtausendwende: mindestens 6,6 Milliarden Euro. Tendenz zunehmend.
Dürre und Hitze
Die im Juli veröffentlichte Studie beziffert die Schäden durch Dürre und Hitze allein in den Sommern 2018 und 2019 auf knapp 35 Milliarden. Mit 17,8 Milliarden Gesamtschäden war die Forstwirtschaft am schlimmsten betroffen. 9,2 Milliarden Kosten verursachten hitzebedingte Produktionsausfälle in Industrie und Gewerbe: Untersuchungen zufolge arbeitet man bei extremen Temperaturen langsamer und macht mehr Fehler. Ertragsverluste in der Landwirtschaft – vor allem bei Weizen und Kartoffeln – wurden mit 7,8 Milliarden beziffert. Zudem seien mindestens 7500 Todesfälle auf die hohen Temperaturen 2018/19 zurückzuführen.
Sturzfluten und Überschwemmungen:
Durch die Sturzflut und die Überschwemmungen an Ahr und Erft im Juli 2021 kamen mindestens 183 Menschen ums Leben – mehr als bei allen anderen Katastrophen dieser Art in Deutschland seit 2000 zusammengerechnet. Den Gesamtschaden beziffert die Studie auf 40,5 Milliarden – davon 14 Milliarden in Privathaushalten. Es folgen Bau (6,9 Milliarden) sowie Verkehr und Verkehrsinfrastruktur (6,8 Milliarden). Andere Hagelunwetter und Stürme verursachten darüber hinaus Kosten von 5,2 Milliarden Euro.
Weitere Schäden
Die tatsächlichen Klimafolgekosten in Deutschland liegen Prognos zufolge über den 6,6 Milliarden im Durchschnitt pro Jahr seit 2000. „Wir können nur die Schäden erfassen, die sich greifen lassen. Auch gibt es große Erfassungslücken, was die Schäden vergangener Hitze- und Dürreereignisse wie beispielsweise 2003 angeht“, sagt Jan Trenczek von Prognos. Beispielsweise zu hitzebedingten Kosten im Gesundheitssystem oder zu Auswirkungen des Klimawandels auf die biologische Vielfalt seien weitere Forschungen notwendig.
In ihrer Studie berücksichtigten die Wissenschaftler auch Waldbrände nicht. Hintergrund: Nach der offiziellen Statistik lag der Schaden hierdurch aufgrund eines niedrig angesetzten Kostensatzes im Sommer 2018 nur bei 2,6 Millionen. Auch in vielen anderen europäischen Ländern wüteten in diesem Sommer jedoch Waldbrände. Nach Angaben des Deutschen Feuerwehrverbandes verbrannten bis Mitte August bundesweit fast 4300 Hektar – ein Vielfaches des jährlichen Durchschnittswerts von knapp 776 Hektar (seit 1991). Trenczek beziffert die Schäden auf 615 Millionen.
Konsequenzen
Die Bundesregierung will mehr Geld in Klimaschutz und Klimaanpassung investieren. Grundlage dafür ist die Klimawirkungs- und Risikoanalyse von 2021. Notwendig seien mehr Schutzgebiete und eine nachhaltige Landnutzung, heißt es in der Studie, die alle sechs Jahre herauskommt. Darüber hinaus müsse die Versiegelung durch Siedlungs- und Verkehrsflächen zurückgefahren werden.
Bei den meisten Maßnahmen dauert es der Analyse zufolge allerdings sehr lange, bis sie wirksam werden – der Waldumbau in der Forstwirtschaft mehr als 50 Jahre. Wegen Hitzewellen und Trockenjahren gerät vor allem die eigentlich in Skandinavien beheimatete Fichte unter Druck. Im Harz und anderen Regionen Deutschlands sind riesige Flächen abgestorben. Auf Monokulturen sollen stabilere, gemischte Wälder folgen.
1,5-Grad-Ziel
Insbesondere Forst- und Landwirtschaft müssen sich an den Klimawandel anpassen – jede eingesparte Tonne CO2 zählt. Schon vor der COP27 haben die Vereinten Nationen weltweit radikale Veränderungen in allen Wirtschaftszweigen gefordert: Mit den vor einem Jahr bei COP26 in Glasgow auf den Weg gebrachten CO2-Einsparungen werde sich die Erde bis zum Ende des Jahrhunderts um 2,4 bis 2,6 Grad erwärmen – deutlich mehr als der 2015 in Paris beschlossene Wert von höchstens 1,5 Grad.



