Nach einer ersten Trump-Präsidentschaft ist Europa besser auf eine zweite vorbereitet – aber möglicherweise nicht so gut gerüstet, um mit ihm zu verhandeln, falls er bei den US-Präsidentschaftswahlen in der nächsten Woche ins Weiße Haus zurückkehrt. Zu diesem Schluss kommt ein Bericht der Washington Post (WaPo) über die politischen Vorbereitungen, die hinter den Kulissen in den europäischen Hauptstädten stattfinden. Dem Bericht zufolge werden derzeit Notfallpläne in den Bereichen Sicherheit und Handel ausgearbeitet.
Die WaPo stellt fest, dass während der ersten Präsidentschaft von Donald Trump die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel „Europas Entscheidungsträgerin“ gewesen sei. Die politische Landschaft auf dem Kontinent sieht heute ganz anders aus: Frankreichs Emmanuel Macron sei „geschwächt“, Olaf Scholz (SPD) „in Koalitionskämpfe verstrickt und mit einem Wiederaufleben der extremen Rechten konfrontiert“. Die amerikanische Tageszeitung zitiert CDU-Chef Friedrich Merz mit den Worten, dass Deutschland und Europa „auf sich allein gestellt sein werden“, wenn in Amerika ein Präsident „zum zweiten Mal gewählt wird, der die Nato für überflüssig erklärt und nicht mehr bereit ist, Sicherheitsversprechen einzuhalten“.

Washington Post: Europas Bedenken „konzentrieren sich überwiegend auf Trump“
Für ihren Bericht hat die WaPo 15 Politiker, Diplomaten und Experten aus Europa interviewt. Der Konsens sei, dass es, unabhängig davon, ob Trump oder seine demokratische Herausforderin Kamala Harris das Rennen gewinnt, eine „Realitätsprüfung der Abhängigkeit Europas von den USA“ geben werde. „Aber die Bedenken der europäischen Beamten konzentrieren sich überwiegend auf Trump“, heißt es. „Eine Taskforce für schnelle Reaktionen am Hauptsitz der EU konzentriert sich in erster Linie auf die Strategie für seine Rückkehr, wie Diplomaten sagten.“
In einem Gespräch mit der Zeitung sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Michael Stempfle, dass unabhängig vom Wahlausgang davon auszugehen sei, dass der Fokus der USA in Zukunft zunehmend auf dem Indopazifik liegen werde. „Eines ist klar: Wir sitzen hier nicht wie das Kaninchen vor der Schlange“, so Stempfle. „Die Europäer werden noch mehr für ihre Sicherheit tun müssen.“
Kommt es zu einem Handelskrieg? Deutschland „besonders verwundbar“
Während seiner ersten Präsidentschaft führte Trump Zölle auf europäischen Stahl und Aluminium ein und verspricht nun, dass die Europäer „einen hohen Preis zahlen müssen“, weil sie „Millionen und Abermillionen“ Autos in den USA verkaufen. „Deutschland, ein häufiges Ziel von Trump, scheint besonders verwundbar zu sein“, so die Zeitung. „Europas größte Volkswirtschaft stagniert, die Autoindustrie spricht bereits von beispiellosen Kürzungen und Schließungen. Und die Aussicht auf einen Handelskrieg mit Trump hat die Rezessionsängste hier noch verstärkt.“
Ukraine: Europa setzte Hilfspakete vor einem möglichen Trump-Sieg durch
Die Politik, die Trump in Bezug auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine verfolgen wird, den er nach eigenen Angaben innerhalb eines Tages beenden könnte, stellt ein weiteres großes Fragezeichen dar. „Um sich gegen eine mögliche Kehrtwende des Weißen Hauses in Bezug auf die Ukraine abzusichern, haben europäische Beamte darauf bestanden, Hilfspakete vor der Wahl im November durchzusetzen“, betont die amerikanische Zeitung.

Zudem haben europäische Länder ihre Militärausgaben auf den höchsten Stand seit dem Kalten Krieg erhöht, was zum Teil eine Reaktion auf frühere Anschuldigungen Trumps gegenüber Nato-Mitgliedern ist, die ihre Zusage zur Erhöhung der Militärausgaben nicht eingehalten haben. Weitere Faktoren seien der WaPo zufolge Russlands Drohungen, sowie die Notwendigkeit für Europa, im Bereich der Sicherheit weniger von den USA abhängig zu sein.
Washington Post verliert Hunderttausende Abonnenten
Die Washington Post sorgte letzte Woche für Aufsehen, nachdem Besitzer Jeff Bezos die Zeitung auf eine Wahlempfehlung im Rennen ums Weiße Haus verzichten ließ. Die Entscheidung rund zehn Tage vor der Präsidentenwahl hatte auch für Kritik gesorgt, der Amazon-Gründer sei aus Angst um seine Unternehmen vor Donald Trump eingeknickt. Bezos versicherte, er verfolge bei der WaPo keine persönlichen Interessen. Vielmehr sei es die Realität, dass viele Menschen Medien für parteiisch hielten. Und deshalb solle es bei der Zeitung fortan grundsätzlich keine Wahlempfehlungen mehr geben.


