Wenn CDU, SPD, Grüne und Linke in seltener Einigkeit dieselbe Kritik teilen, dann könnte der Verdacht aufkommen, dass an dieser Kritik etwas dran ist. Sie lautet: Die Deutsche Bahn hat Mist gebaut. Wieder einmal.
Diesmal geht es nicht um Verspätungen oder um ausgefallene Züge, Toiletten und Klimaanlagen. Es geht um die Sitzplatzreservierung im Fernverkehr, die man kostenpflichtig dazu buchen kann, um eine längere Reise im Stehen oder auf dem Boden sitzend in überfüllten Zügen zu vermeiden. Ab Mitte des Monats kostet dieser „Service“ eines garantierten Sitzplatzes, der in anderen Ländern und Verkehrsmitteln oft Standard ist, 5,50 statt wie bisher 5,20 Euro.
Dass sich Grüne schwarzärgern und Konservativen die Zornesröte ins Gesicht steigt, liegt aber an einem anderen Detail: Die bisherige Familienreservierung, mit der Eltern und Kinder zum Fixpreis von 10,40 Euro, also dem Preis für zwei Reservierungen für Erwachsene, ihre Plätze sichern konnten, soll künftig entfallen.
Wenn eine vierköpfige Familie, so rechnet es der Verband Pro Bahn vor, zum Großelternbesuch aufbricht (und auch wieder zurückfahren will), zahlt sie statt 20,80 künftig 40 Euro. „Das sind 80 Mark!“, ließe sich spöttisch anfügen. Oder eben: Fast 100 Prozent Mehrkosten. Nur für die Reservierung wohlgemerkt. Die um ein Vielfaches teureren Kosten für die Fahrkarten kommen weiterhin noch hinzu. Für die Eltern – und für Kinder ab 15 Jahren. Einem Alter also, in dem man gemeinhin ins Berufsleben eintritt und die Familienkasse auch sonst durch geringeren Konsumbedarf von Lebensmitteln bis Kleidung entlastet. Logisch, oder?
Die neuen Aufschläge sorgen jedenfalls für Unmut. Sie seien „eine Frechheit angesichts der gebotenen Leistungen von DB-Fernverkehr“, zitierte die Rheinische Post den Grünen-Verkehrspolitiker Matthias Gastel und dem ist einerseits nichts hinzuzufügen.
Andererseits vielleicht doch. Denn das Vorgehen der Bahn zeigt eine grundsätzliche Ignoranz gegenüber Zukunftsfragen.
Ein klares Symbol: Mit Familien kann man es ja machen
Schon klar, niemand lässt die Familienplanung entgleisen, weil Sitzplatzreservierungen auch für Kinder bezahlte werden müssen. Aber in einer Zeit, in der auch in Deutschland ein massiver Geburtenrückgang beklagt wird, der Folgen für Wirtschaft und Rentensystem haben dürfte, sind auch solche scheinbar kleinen Einschnitte symbolisch bedeutsam. „Mit Familien kann man es ja machen“, lautet die Botschaft – und steht in eklatantem Widerspruch zu den Sonntagsreden über die Relevanz von Kindern. Statt zu überlegen, wie man den Alltag für Familien verbessern kann, fährt auch die Bahn hier in die völlig falsche Richtung.
Konkreter dürften die Folgen derweil bei einem anderen Zukunftsthema sein, der Verkehrswende. Die Bahn ist das bevorzugte Transportmittel, wenn es um klimafreundliche Fortbewegung geht – doch arbeitet ohnehin schon an allen Fronten daran, möglichst unattraktiv gegenüber ihren Alternativen zu sein. Dass Familien nun häufiger aufs Auto oder gar Flugzeug umsteigen, ist durch den neuesten diesbezüglichen Einfall der Bahn nicht gerade unwahrscheinlicher geworden. Und jene Familien, die sich die Reservierung zum Preis eines neuen Paares besserer Kinderschuhe künftig lieber sparen und ohne sicheren Sitzplatz zusteigen, dürften mit quengelnden Kindern im Gang und auf dem ICE-Boden dafür sorgen, dass auch andere Reisende Fahrvergnügen eher mit anderen Verkehrsmitteln assoziieren.
Wobei: Weil die sich Bahn auch beim Zukunftsthema Digitalisierung regelmäßig um ein möglichst schlechtes Abschneiden bemüht, sind Fahrgäste hier ebenfalls längst Kummer gewohnt. Wer nicht genau aufpasst und die Plätze händisch auswählt, wird von der Bahn-App mit seiner naturgemäß eher nicht so schweigsamen Familie schon mal ins Ruheabteil verfrachtet – oder so merkwürdig im Zug verteilt, dass Kleinkinder nicht neben, sondern hinter ihren Erziehungsberechtigten platziert werden. Da freut sich der Sitznachbar mit dem Laptop, der eigentlich ein bisschen arbeiten wollte.


