Tianjin-Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ist in der Hafenstadt Tianjin zu ihrem mit Spannung erwarteten Antrittsbesuch in China eingetroffen. In der Stadt südöstlich der Hauptstadt Peking will die Grünen-Politikerin unter anderem den Unterricht an einer Pasch-Partnerschule besuchen und ein deutsches Unternehmen besichtigen, das Windturbinen produziert. Die zentralen politischen Gespräche sind am Freitag in Peking geplant.
Baerbock betonte zu ihrem Antrittsbesuch in China das Ziel, Chancen für eine künftige Zusammenarbeit auszuloten und Gefahren einseitiger Abhängigkeit abzubauen. „Für unser Land hängt viel davon ab, ob es uns gelingt, unser zukünftiges Verhältnis mit China richtig auszutarieren“, sagte die Grünen-Politikerin vor dem Abflug zu ihrem ersten Besuch in China. Ganz oben auf ihrer Agenda stehe aber auch das Interesse, „den Krieg vor unserer europäischen Haustür in der Ukraine schnellstmöglich, dauerhaft und gerecht zu beenden“.
„Partner, Wettbewerber, systemischer Rivale – das ist der Kompass der europäischen China-Politik. In welche Richtung die Nadel künftig ausschlagen wird, liegt auch daran, welchen Weg China wählt“, sagte Baerbock. Sie wolle Chancen für mehr Zusammenarbeit bei der Förderung der Zivilgesellschaft, beim Klimaschutz und in Zukunftsbranchen wie erneuerbare Energien ausloten. Es sei klar: „An einer wirtschaftlichen Entkopplung haben wir kein Interesse – dies wäre in einer globalisierten Welt ohnehin schwer möglich.“ Man müsse aber die Risiken einseitiger Abhängigkeiten systematischer in den Blick nehmen und abbauen, „im Sinne eines De-Risking“.
Baerbock warnt vor „Horrorszenario in der Taiwanstraße“
Dies gelte gerade auch „mit Blick auf das Horrorszenario einer militärischen Eskalation in der Taiwanstraße, durch die täglich 50 Prozent des Welthandels fließen“, sagte Baerbock. Sie werde deshalb auch die gemeinsame europäische Überzeugung unterstreichen, dass eine einseitige Veränderung des Status quo in der Meerenge der Taiwanstraße und erst recht eine militärische Eskalation inakzeptabel wären.
Selbstverständlich wolle sie in China auch über den Schutz der universellen Menschenrechte sprechen, sagte die Ministerin. Dieser müsse Bestandteil fairer Wettbewerbsbedingungen sein.
Baerbock betont nach Macron-Äußerung zu Taiwan Einigkeit der EU
Am Rande ihres China-Besuches versuchte Baerbock auch, angesichts umstrittener Äußerungen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zum Konflikt um Taiwan den Eindruck europäischer Unstimmigkeit zu zerstreuen. Macron habe am Vortag „noch einmal unterstrichen, dass die französische Chinapolitik eins zu eins die europäische Chinapolitik widerspiegelt“, sagte die Grünen-Politikerin. Bei allen Differenzen in der EU sei es eine Stärke, „dass wir bei den zentralen Fragen von unseren Interessen und Werten nicht nur nah beieinander sind, sondern gemeinsame strategische Ansätze verfolgen“.
Macron hatte in Interview-Äußerungen nach seinem China-Besuch in der vergangenen Woche Europa zu einem eigenständigeren Kurs in der Taiwan-Frage aufgerufen und betont, Europa solle gleichermaßen Distanz zu China und zu den USA halten.
Baerbock unterstrich, es sei „ein sehr wichtiges Zeichen“ gewesen, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der französische Präsident gemeinsam in China gewesen seien. Wenn man einen Binnenmarkt teile, könne man „gar keine unterschiedlichen Positionen zu dem größten Handelspartner der EU“ - China - „und insbesondere zu Deutschland fahren“. Zugleich warnte Baerbock angesichts der möglichen weltweiten Folgen für die Lieferketten vor einer militärischen Eskalation in der Straße von Taiwan.
Die EU habe schon vor einiger Zeit deutlich gemacht, dass China Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale sei, sagte Baerbock. Man könne das China von heute nicht mehr mit den Maßstäben von gestern messen. Es sei aber auch klar, dass man „an dieser aufstrebenden Weltmacht, an einem Volk mit Milliarden von Menschen, an einem unserer größten Handelspartner“ nicht nur nicht vorbeikomme. Vielmehr sei ein enger Austausch nötig, gerade auch im Sinne der Menschen, der Beschäftigten und der Wirtschaft.
„Klar ist aber auch, dass wir in einigen Bereichen Abhängigkeiten von China haben, die nicht gesund sind“, stellte Baerbock fest. Dies bedeute „nicht Entkopplung. Aber es bedeutet, seine Risiken zu minimieren und sich bewusst zu machen, dass man durch wirtschaftliche Abhängigkeiten auch Gefahren hervorbringen kann.“ Deswegen werde die wirtschaftliche Sicherheit eine zentrale Frage in der Chinastrategie sein, die die Bundesregierung derzeit in enger Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern schreibe.
Auch angesichts der Rückendeckung Pekings für Russlands Präsident Wladimir Putin dürfte die Reise für Baerbock eine der diplomatisch schwierigsten Missionen ihrer bisherigen Amtszeit werden. China trage als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine besondere Verantwortung für den Weltfrieden, betonte Baerbock. Welche Rolle China mit seinem Einfluss auf Russland übernehme, „wird für ganz Europa und unsere Beziehung zu China Folgen haben“, sagte sie.
Für Freitag und Samstag sind laut Auswärtigem Amt unter anderem Gespräche Baerbocks mit dem chinesischen Außenminister Qin Gang, dem ranghohen chinesischen Außenpolitiker Wang Yi und dem stellvertretenden Staatspräsidenten Han Zheng geplant. Im Anschluss will die Ministerin am Samstag nach Südkorea weiterfliegen. Am Sonntag reist Baerbock dann zum Außenministertreffen der G7-Staatengruppe nach Japan.
Kurz vor Baerbocks Antrittsbesuch: Nordkorea testet neuartige Raketen





