Nahostkonflikt

Gaza-Krieg: Viele Tote bei Angriff auf Flüchtlingslager – Israel nennt Grund

Israel hatte das Gebiet Al-Mawasi, in dem das Lager liegt, ursprünglich als „humanitäre Zone“ erklärt. Schätzungen zufolge leben dort zwischen 60.000 und 75.000 Geflüchtete. 

Eine palästinensische Frau trägt nach dem Angriff auf das Flüchtlingslager von Al-Mawasi ein verletztes Kind zu Rettungskräften. 
Eine palästinensische Frau trägt nach dem Angriff auf das Flüchtlingslager von Al-Mawasi ein verletztes Kind zu Rettungskräften. Eyad Baba/AFP

Bei einem israelischen Luftangriff auf ein Flüchtlingslager im Süden des Gazastreifens sind nach Angaben der radikalislamischen Hamas am Samstag mindestens 71 Palästinenser getötet worden. Weitere 289 Menschen seien bei dem Angriff auf das Camp von Al-Mawasi verletzt worden, gab das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium im Gazastreifen bekannt. Es sprach von einem „abscheulichen Massaker“.

Der Leiter des kuwaitischen Krankenhauses in Rafah, Subaib al-Hams, bezeichnete die Situation als „wahre Katastrophe“. Die meisten Opfer seien mit schweren Verletzungen eingeliefert worden.

Das israelische Militär erklärte, der Angriff nahe der Stadt Chan Junis habe dem Militär-Chef der Hamas, Mohammed Deif, und einem weiteren hochrangigen Hamas-Führer, Rafa Salama, gegolten. Beide seien „Drahtzieher des Massakers vom 7. Oktober“. Ob die Männer bei dem Angriff getötet wurden, blieb offen. Die Hamas erklärte hingegen, bei dem Angriff sei ein Flüchtlingslager getroffen worden.

Der Einsatz sei in einem „umzäunten Gebiet“ erfolgt, „das von der Hamas verwaltet wird und in dem sich nach unseren Informationen nur Hamas-Terroristen aufhielten und keine Zivilisten anwesend waren“, erklärte die israelische Armee. Demnach handelte es sich um ein „offenes Gebiet, das von Bäumen, mehreren Gebäuden und Hangars“ umgeben war und nicht „um einen Zeltkomplex“.

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vom Mai haben dort zwischen 60.000 und 75.000 Menschen Schutz gesucht, vor allem nach dem Beginn der israelischen Offensive in der Stadt Rafah ganz im Süden des Gazastreifens. Hilfsorganisationen warnten vor prekären Lebensbedingungen in dem Lager.

Wer ist Mohammed Deif?

Als Anführer der Essedin-al-Kassam-Brigaden, dem militärischen Arm der Hamas, ist Mohammed Deif eines der von Israel am meisten gesuchten Mitgliedern der islamistischen Palästinenserorganisation. Bei Salama handelt es sich israelischen Angaben zufolge um den Kommandeur der Hamas-Brigade in Chan Junis.

Die Hamas reagierte umgehend: Israel stelle „falsche Behauptungen“ auf, „um das Ausmaß des schrecklichen Massakers zu verschleiern“, hieß es in einer Erklärung.

Einem Vertreter des Zivilschutzes im Gazastreifen zufolge, befanden sich noch zahlreiche sterbliche Überreste auf den Straßen des Lagers, unter den Trümmern und um die Zelte der Vertriebenen. Wegen des intensiven Beschusses könnten diese nicht erreicht werden, sagte er. Eine Palästinenserin, die neben einer Leiche auf einer Straße saß, rief: „Was haben wir getan? Wir saßen einfach nur am Strand.“

Das Büro von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erklärte, dieser habe seit Beginn des Krieges die „ständige Anweisung gegeben, hochrangige Hamas-Führer zu eliminieren“. Netanjahu sei über die Entwicklungen informiert worden und werde noch am Samstag „mit Sicherheitsbeamten eine Einschätzung der Lage vornehmen“, hieß es weiter.

Rund 1,5 Millionen Menschen leben in dem betroffenen Gebiet

Das Gebiet Al-Mawasi liegt an der Küste zwischen Rafah und Chan Junis und war von Israel ursprünglich als „humanitäre Zone“ deklariert worden. Im Mai hatte Israel die Menschen aus der Stadt Rafah aufgerufen, dort Schutz vor einer Militäroffensive zu suchen. Schätzungen des UN-Palästinenserhilfswerks (UNRWA) zufolge befinden sich in dem gesamten Gebiet von Al-Mawasi, Chan Junis und Rafah rund 1,5 Millionen Menschen. Hilfsorganisationen warnten vor prekären Lebensbedingungen in dem Lager.

Der Krieg im Gazastreifen war vor mehr als neun Monaten durch einen Großangriff von Kämpfern der Hamas und weiterer militanter Palästinensergruppen auf Israel am 7. Oktober ausgelöst worden. Dabei wurden nach israelischen Angaben 1195 Menschen getötet und 251 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt.

Als Reaktion auf den Überfall geht Israel seither massiv militärisch im Gazastreifen vor. Erklärtes Ziel ist die Zerstörung der Hamas. Nach Angaben des von der islamistischen Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden dabei bislang mehr als 38.440 Menschen getötet.

Israel hat angeblich weitere Hamas-Tunnel zerstört

Auch in anderen Gebieten des Gazastreifens setzte die israelische Armee ihre Angriffe fort. In der Stadt Gaza seien in Zusammenarbeit mit der Luftwaffe „mehrere Terroristen eliminiert“ worden, hieß es am Samstag. In der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens wurden demnach „zahlreiche Tunneleingänge“ zerstört und ebenfalls Kämpfer der radikalislamischen Hamas getötet. Zudem habe die Luftwaffe ein Lagerhaus ins Visier genommen, in dem bei dem Hamas-Angriff am 7. Oktober benutzte Gleitschirme gelagert worden seien.

Ein Korrespondent der Nachrichtenagentur AFP berichtete am Samstag von Artilleriebeschuss im Südosten von Gaza sowie im Zentrum der Stadt. Das Viertel Tal al-Hawa wurde den Angaben zufolge mit Drohnen beschossen.

Guten Morgen, Berlin Newsletter
Vielen Dank für Ihre Anmeldung.
Sie erhalten eine Bestätigung per E-Mail.