Am Wochenende habe ich einem Kind in Brandenburg den Berliner Wohnungsmarkt erklärt. Und den Kapitalismus, glaube ich. Das Kind war die Tochter von Freunden, sie ist neun. Wir saßen im Garten des Hauses, in dem sie mit ihren Eltern wohnt, in der Märkischen Schweiz und warteten auf die Würstchen und den Käse vom Grill. Die Würstchen hatte mein Freund aus Berlin mitgebracht, vom Fleischer in der Nähe seiner Wohnung, der gerade die Metzger-Weltmeisterschaft gewonnen hat.
Seine Wohnung? Die Tochter unserer Freunde fragte meinen Freund und mich: Warum wohnt ihr denn nicht zusammen? Sie sah uns skeptisch an. Ich fing an, von alten Mietverträgen zu reden. Wenn man in Berlin schon sehr lange in einer Wohnung wohnt, dann könne man nicht so leicht rausgeworfen werden und die Miete sei bezahlbar, erklärte ich ihr. Wenn man umzieht, ändert sich alles. Aus einer Wohnung, in die man gerade erst eingezogen ist, kann man schneller wieder rausfliegen. Und man muss viel mehr Miete bezahlen, wenn man neu irgendwo einzieht.
Die Tochter unserer Freunde zog ihre Stirn in Falten. Ich redete weiter und erklärte, dass es nicht mal helfen würde, wenn wir statt der Miete für zwei Wohnungen nur noch die Miete für eine Wohnung bezahlen würden. Die Miete für eine neue Wohnung wäre sogar teurer als die Miete für unsere beiden jetzigen Wohnungen zusammen, sagte ich. Ich habe das auf Partys und bei Abendessen in Berlin schon oft erklärt, die Zuhörer nicken meist nur resigniert. Ist bekannt, die Lage. Meine Zuhörerin in Brandenburg stand vom Tisch auf und lief hinüber zum Trampolin, um im Dämmerlicht auf und ab zu springen. Diese Reaktion erschien mir angemessener.

Der Markt regelt das!
Ich dachte an die Serie mit Fallgeschichten zum Wohn-Wahnsinn in Berlin, die wir in der Zeitung gerade recherchieren. Ich hatte eine Frau getroffen, der nach elf Jahren plötzlich der Mietvertrag gekündigt worden war. Obwohl sie einen festen Job hat und gut verdient, erlitt sie bei der Wohnungssuche Panikattacken. Monatelang fand sie nichts Neues, ihr Vermieter drohte schon mit Räumung. Bin ich auch ein Fall?, fragte ich mich. Ich ertappe mich manchmal bei dem Gedanken, dass ich gern mit meinem Freund zusammenziehen würde, verdränge ihn aber schnell wieder.
Die Mietverträge, die mein Freund und ich haben, sind beide älter als unsere Beziehung. Wir leben in zwei eher kleinen Zweiraumwohnungen. Weil mein Freund als Freiberufler auch zu Hause arbeitet, bräuchten wir zusammen drei Zimmer. Wir würden ein Zimmer, eine Küche und ein Bad einsparen, auf weniger Quadratmetern pro Person leben, weniger hin und her fahren und natürlich eine Wohnung in Berlin freimachen, wenn wir zusammenziehen würden. Es würde den Mietmarkt der Stadt ebenso entlasten wie das Weltklima. Aber gerade Dreiraumwohnungen sind in Berlin kaum noch zu bekommen. Und viel zu teuer, wenn man sie neu anmietet.
Meine Mutter, die mit einem Zimmer weniger auskommen würde, kann übrigens auch nicht umziehen. So wie viele andere Berliner, die gern in eine kleinere Wohnung wechseln würden. Weil kleinere Wohnungen zu den jetzigen Konditionen teurer sind als größere Wohnungen zu alten Konditionen. Das hat der Markt, wie so oft im Kapitalismus, wirklich gut geregelt.

