Aktivisten in Berlin

Wut auf die Weltenretter: Klima-Aktivisten gegen Autofahrer auf der A100

Aktivisten der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ kleben sich an der Fahrbahn auf der A100 fest. Autofahrer verlieren die Nerven.

Die Ausfahrt Messedamm wird blockiert.
Die Ausfahrt Messedamm wird blockiert.Volkmar Otto

Der Mann im Kamelhaarmantel packt selbst mit an. Er steigt aus seinem Wagen aus, greift einem Aktivisten unter die Achseln und zieht ihn von der Fahrbahn an der Halenseestraße am Funkturm. Der Aktivist entspannt alle Glieder und macht sich schwer wie ein Sack Kartoffeln.

Ein anderer Autofahrer in Handwerkerkluft nimmt sich ein Beispiel an dem Kamelhaarmantelträger. Auch er zerrt einen Aktivisten über den Straßenbelag und zischt dabei einen Fluch nach dem anderen. Doch sobald einer der beiden Autofahrer sich wieder aufmacht, um einen anderen Aktivisten von der Fahrbahn zu entfernen, steht der von ihnen gerade an den Rand Geschleppte wieder auf. Er setzt sich dann an anderer Stelle auf den Asphalt. Es folgt ein Katz-und-Maus-Spiel mit Püffen und Beschimpfungen. Es wird untermalt von einem Konzert aus Hunderten von Hupen.

15 Aktivisten der Gruppe „Essen Retten – Leben Retten – Aufstand der letzten Generation“ haben nach Angaben der Polizei im Montagmorgenverkehr die Halenseestraße blockiert. Einige haben ihre Finger und Handflächen mit Klebstoff beschmiert, um sie dann auf die Fahrbahn zu pressen. Andere sitzen mit nicht angeklebten Händen in der sogenannten Rettungsgasse. Sie sollen laut der Sprecherin der Gruppe, Carla Hinrichs, in der Lage bleiben, jederzeit aufzustehen und einem Krankenwagen Platz zu machen.

Feuerwehrsprecher Rolf Erbe hatte am vergangenen Freitag auf seinem privaten Twitter-Account kritisiert, dass die Protestaktion der Klimaschützer an der Seestraße, am Jakob-Kaiser-Platz und am Kaiserdamm im Berliner Nordwesten Rettungsfahrzeuge auf dem Weg zum Notfallzentrum Virchow-Klinikum behindert hätten. Die Berliner Feuerwehr teilte allerdings offiziell mit, dass sie keine Beeinträchtigungen bestätigen könne. Darauf bezieht sich auch Sprecherin Hinrichs. Sie hat vom Fahrbahnrand das Geschehen im Blick. Es sei klar, dass Krankenwagen die Blockade immer passieren dürften, betont sie.

Der Stau zieht sich nach Angaben der Polizei an diesem Morgen um die Kurve der Halenseestraße noch weit in Richtung Wedding. Und auch anderen Stellen in der Stadt gibt es Blockaden. Laut Polizei haben sich sechs Personen auf der Autobahnauffahrt am Kurfürstendamm auf die Fahrbahn begeben, vier hätten sich an den Asphalt geklebt. Eine Blockade an der A100-Zufahrt Hohenzollerndamm sei am raschen Eingreifen der Einsatzkräfte gescheitert, heißt es in einer Erklärung.

Blockade: Feuerwehr-Frau versucht, zum Dienst zu kommen

Ein Autofahrer, der seine Tochter zum Dienst bei der Feuerwehr fahren wollte und nun in der zweiten Reihe hinter den auf der Fahrbahn sitzenden Aktivisten im Stau steckt, nennt die Blockade „menschenverachtend“.  Die Erklärung der Aktivisten, Krankenwagen passieren zu lassen, beeindruckt ihn nicht. Seine Tochter vertrete sich jetzt erst einmal die Beine, statt im Einsatz vielleicht Menschenleben zu retten, meint der Vater. „Und es reicht doch schon, wenn ein Rettungswagen irgendwo nicht mehr vorwärtskommt. Bei einem Herzinfarkt zählt jede Minute“, sagt er und schaut in Richtung der hupenden Blechlawine hinter sich.

Einige Meter weiter vorne, direkt vor den an der Fahrbahn klebenden Aktivisten, fragt sich eine Autofahrerin, wie sie eine Augenoperation ihres Vaters belegen kann. Sie hat das Fenster ihres Autos heruntergekurbelt und spricht auf einen Mistreiter der Sitzstreikenden ein. Sie habe Verständnis für das Anliegen der Klimaschützer, aber der Vater verpasse gleich seinen Termin, meint sie. Sie appelliert an den Aktivisten, auch an die anderen Patienten zu denken. „Wenn mein Vater jetzt später operiert wird, verschieben sich dann auch alle anderen OP-Termine“, sagt sie. Der Aktivist fordert von der Autofahrerin einen Beleg für die Operation. „Sonst können wir ja jeden durchlassen“, meint er. Wenig später lässt er die Frau mit ihrem augenkranken Vater passieren.

Das Klima und der Frust einer ganzen Generation

Die 19-jährige Carla Rochel klebt mit dem rechten Arm auf der Fahrbahn der Halenseestraße. Es tue ihr leid, dass so viele Menschen im Stau stünden, sagt sie. „Es tut mir aber auch leid, dass wir nur noch auf diese Art die Regierung dazu bringen können, ihren Job zu machen“, sagt sie.

Aus Rochel scheint der Frust einer Generation zu sprechen, die sich seit Jahren auf ordentlich gemeldeten Demonstrationen der „Fridays for Future“-Bewegung für den Klimaschutz die Beine in den Bauch steht. Dabei hört sie die Uhr ticken, sieht, wie die Zeit für das von der neuen wie der alten Bundesregierung formulierte Ziel einer Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad verstreicht. Ihre Gruppe macht sich für ein auch „Wegwerfverbot“ genanntes Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung stark.

In Frankreich gibt es bereits seit 2016 etwa Bußgelder für Supermarktketten, die übrig gebliebene Ware nicht an soziale Einrichtungen spenden. Für Carla Rochel steht fest, dass ein entsprechendes Gesetz in Deutschland „von heute auf morgen“ umsetzbar wäre.  In der neuen Bundesregierung unterstützen die Grünen ein Verbot der Lebensmittelverschwendung. Rochel begrüßt es, dass die neue Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang Verständnis für gewaltfreie Straßenblockaden als Mittel des zivilen Ungehorsams äußerte und Sympathie für das Anliegen. „Ich erwarte aber von ihr, dass sie das dann auch umsetzt“, sagt Rochel.

Die Aktivistin ist sich bewusst, dass ihr Protest für sie juristische Folgen haben kann. Doch ihre Angst, in einer Welt mit einer Erderwärmung von mehr als zwei Grad zu leben, übersteigt jedes Bedenken in Hinsicht auf mögliche Sanktionen des Staates. „Wir haben laut Wissenschaftlern noch zwei bis drei Jahre Zeit, um die Klimakatastrophe zu verhindern“, meint sie. Die Frage, ob es nicht schon zu spät ist, beantwortet sie mit der Gegenfrage, was sie denn sonst tun solle.

Die Klima-Aktivisten kommen aus der Mitte der Gesellschaft

„Essen retten – Leben retten“ vermeidet Systemkritik. Auf ihrer Internetseite und in ihren Erklärungen sind stattdessen Bezüge auf das Grundgesetz zu finden und das vom Klimawandel bedrohte Recht auf körperliche Unversehrtheit. Laut Sprecherin Hinrichs seien die Aktivsten aus der „Mitte der Gesellschaft“ und beispielsweise Bauingenieur oder Bankkaufmann von Beruf. Auf Nachfrage erklärt sie, dass manche sich zuvor bei Gruppen wie „Extinction Rebellion“ oder „Ende Gelände“ engagiert haben. Um die Einschätzung von „Ende Gelände“ als linksextrem durch den Berliner Verfassungsschutz 2019 gab es in der rot-rot-grünen Landesregierung eine Kontroverse.

Die Aktivisten sehen die Mehrheit der deutschen Bevölkerung auf ihrer Seite. Sie berufen sich darauf, dass sie lediglich Forderungen des 2020 vom Verein „BürgerBegehren Klimaschutz“ und den „Scientists for Future“ unter Schirmherrschaft des früheren Bundespräsidenten Horst Köhler initiierten Bürgerrats Klima durchsetzen wollen. Das Gremium gleicht einer losbestimmten Bürgerversammlung. Es soll damit möglichst repräsentativ sein und vertritt etwa das von den Aktivisten mit Straßenblockade eingeforderte Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung.

Als sich die Polizei mit Blaulicht nähert, ruft ein Mann in Richtung der Klimaschützer, dass sie Glück hätten. „Wenn nicht Polizei in der Nähe wäre, würde ich gegen euch gewalttätig werden“, meint er. Die Beamten bilden mit ihren Körper eine Barriere zwischen den Aktivisten und den zunehmend aufgebrachten Autofahrern. Sie bekommen den Ärger derjenigen ab, denen es mit der Räumung nicht schnell genug geht.

Die Klimaschützer, die die gesellschaftliche Mehrheit vertreten wollen, werden sogar noch von der Gegenspur beschimpft. „Wir richten uns nicht gegen diese Menschen, sondern gegen die Regierung“, sagt Sprecherin Hinrichs. Es klingt, als wären zwei Welten durch Blech und Polizei voneinander getrennt.