Kommentar

Wird Deutschland zu einer Kriegswirtschaft?

Immer mehr Wirtschaftsbereiche werden für die Notwendigkeiten der aktuellen Krise umgestellt. Das ist notwendig, muss aber zeitlich begrenzt werden.

Landwirtschaft und Krieg: Vor einigen Monaten war das Öl aus solchen Sonnenblumen vor allem in Deutschland sehr begehrt.
Landwirtschaft und Krieg: Vor einigen Monaten war das Öl aus solchen Sonnenblumen vor allem in Deutschland sehr begehrt.AP/The Canadian Press

Die Politik baut Deutschland in eine Art Kriegswirtschaft um. Gemeint sind ökonomische Verhältnisse, bei denen erst einmal möglichst alles darauf ausgerichtet ist, dass ein Land mit den Folgen eines Krieges klarkommt. Der Begriff wird meist bei aktiven Kriegsteilnehmern verwendet. Das ist Deutschland nicht, aber durch die Waffenlieferungen an die Ukraine und die deutliche Energieabhängigkeit von Russland ist nicht nur die deutsche Wirtschaft massiv von Putins Krieg betroffen.

In Zeiten der Kriegswirtschaft sind die schönsten politischen Ideale schlagartig nicht mehr so wichtig. Statt grüner Energie aus Wind, Sonne, Wasser und Erdwärme stehen nun die bisherigen Schmuddelkinder Kohle und Atomstrom vor einer Renaissance.

Die gefährlichste Blase der Welt

Von Michael Maier

06.08.2022

Dabei gefiel sich Deutschland doch so sehr in seiner Rolle als selbst erklärter Öko-Vorreiter. Die Realität sah zwar auch anders aus, da zum Beispiel in keiner anderen Autoklasse so viel verkauft wird wie bei völlig unökologischen SUV-Riesenkarossen. Trotzdem finden es viele Bürger irgendwie toll, dass ihre Kinder und Enkel bei Fridays for Future mitmachen.

Aber nun kommt eine Kehrtwende. Seit Monaten muss der Energieminister Robert Habeck die neue Realität ernster nehmen als das grüne Parteiprogramm oder den Koalitionsvertrag. Auch sein grüner Parteifreund Cem Özdemir hat nun als Landwirtschaftsminister Öko-Standards geschliffen: Auf Ackerflächen, die nächstes Jahr eigentlich stillgelegt werden sollten, um die Artenvielfalt zu sichern, darf nun Getreide angebaut werden. Umweltschützer protestieren, wirtschaftsfreundliche Kreise nicken hingegen.

Forderung: Getreide statt Biosprit

All diese Schritte sind geprägt von ideologischen Kämpfen. Die CDU liebt wieder die Atomkraft, die Grünen tun dies nicht. Die FDP und Bauernvertreter fordern noch mehr Anbauflächen für Getreide und verzichten auch mal auf Artenschutz. Dagegen protestieren Umweltverbände und plädieren für einen Ausstieg aus dem Biosprit: Auf den bisherigen Maisflächen für die Biogasanlagen solle lieber Brotgetreide angebaut werden.

Klar ist: Deutschland kann sich mit Getreide selbst versorgen. Doch sollte tatsächlich jemand hungern, wandert sicher kein Mais mehr in Biogasanlagen sondern wird zu Tierfutter oder zu Mais-Tortillas.

Dieses Reagieren zeigt, wie flexibel Menschen in der Krise sind. Es zeigt, dass Dogmatismus nicht satt macht, keine Wohnung heizt und keine Maschine laufen lässt. Und Pragmatismus ist dringend notwendig.

Es wäre absurd und ein Fest für Putin und Co, wenn die deutsche Gesellschaft ihre vorhandenen Energiebringer – egal wie überlebt sie sind – nicht einen Winter länger nutzen würde. Wenn die deutsche Politik also aus ideologischen Gründen und moralischer Prinzipientreue der eigenen Gesellschaft massiv schaden würde. Das hätte gravierende wirtschaftliche, soziale und eben auch ökologische Langzeitfolgen, weil nach einem wirtschaftlichen Desaster auch kein Geld da wäre für zukunftsweisende, aber teure Öko-Konzepte.

Doch die Umweltschützer müssen dranbleiben. Ihre unverzichtbare Aufgabe ist es, zu mahnen und zu fordern, dass nach dem Krieg die anderen Probleme der Welt wieder verstärkt angegangen werden.

Denn nichts ist so langlebig wie Provisorien. Klassisches Beispiel ist die deutsche Sektsteuer: Sie wurde 1902 vom Reichstag beschlossen, um kurzfristig die kaiserliche Kriegsflotte zu finanzieren. Später wurde sie auf null gesenkt, aber 1939 von den Nazis für den U-Boot-Bau wieder aktiviert. Eine solche Steuer gibt es bis heute.