Deutsche Einheit

Welche Ideen und Träume von DDR-Frauen nach 1989 verwirklicht wurden

Abtreibungsrecht, Teilzeitarbeit, Gleichberechtigung forderten DDR-Frauen 1990. Eine Ausstellung in Potsdam zeigt, was durchgesetzt wurde. Und was nicht.

Jeanette Toussaint, Kuratorin der Ausstellung „Wir dachten, wir könnten die Welt aus den Angeln heben“
Jeanette Toussaint, Kuratorin der Ausstellung „Wir dachten, wir könnten die Welt aus den Angeln heben“Sabine Gudath

So viel Schwung gab es, so viel Kraft, so viele Forderungen und Pläne von privater und gesellschaftlicher Gleichberechtigung bis hin zur Teilhabe an den politischen Prozessen. Aber was blieb übrig von den Träumen der DDR-Frauen zu Wendezeiten? 33 Jahre später zeigt jetzt die Ausstellung „Wir dachten, wir können die Welt aus den Angeln heben. Die Unabhängige Initiative Potsdamer Frauen (1989 bis 1995)“ die Ergebnisse in der Gedenkstätte Lindenstraße. Die Kuratorin Jeanette Toussaint erzählt die Geschichte einer erwachsen gewordenen Revolution.

Gleich beim Hereinkommen signalisiert ein großes Transparent aus weißem Baumwollstoff Demo-Atmosphäre. „Stasi raus“ steht handgeschrieben darauf. Davor ein Ormig-Apparat. Jeanette Toussaint erklärt: „Damit druckten DDR-Oppositionelle 1989 heimlich die ebenfalls per Hand geschriebenen Flugblätter für die  Demonstrationen.“ Bei der übervollen Führung staunen die wenigen jüngeren Besucherinnen und Besucher über das altmodische Gerät aus Vor-Computer-Zeiten. Die meisten aber sind älter, zwischen 60 und 70. Sie wissen, dass es zu dieser Zeit in der DDR keine privaten Fotokopierer gab.

„Stasi raus“-Transparent in der Ausstellung in der Gedenkstätte Lindenstraße in Potsdam
„Stasi raus“-Transparent in der Ausstellung in der Gedenkstätte Lindenstraße in PotsdamSabine Gudath
Auf dem Ormig-Apparat ließen sich mit Matrize und Spiritus in kleinen Auflagen Flugblätter vervielfältigen.
Auf dem Ormig-Apparat ließen sich mit Matrize und Spiritus in kleinen Auflagen Flugblätter vervielfältigen.Sabine Gudath

Es war die Zeit, in der Bürgerinnen und Bürger der DDR ihren Staat infrage stellten. Als sie mit ihren Protesten begannen, war auch Jeanette Toussaint dabei. Sie war damals 26, arbeitete in ihrem Traumberuf: als Gärtnerin. Aus einem unpolitischen Elternhaus kommend, „würde ich mich als Mitläuferin bezeichnen, bei den Wahlen habe ich mein Kreuz gemacht, und das war es für mich“, sagt sie heute. 

Bis eine Arbeitskollegin sie in ihren privaten Freundeskreis einführte. „Plötzlich war ich Teil intellektueller Kreise und entdeckte meine politische Seite.“ Gemeinsam in der Gruppe zu sein, „hat mir Mut gemacht, die Wahl am 7. Mai 1989, bei der wir Fälschungen vermuteten, zu beobachten“. Mit eigenen Augen sah sie, wie die offiziellen Wahlhelfer Zahlen unverfroren wahrheitswidrig veränderten.

Überall in der DDR wurden solche unabhängigen Beobachter Zeugen der Straftaten. „Für immer mehr Menschen in der DDR war es der Beginn des Aufbruchs.“ Der mündete nach dem friedlichen Protest-Herbst im November 1989 in den Fall der Mauer. Da hatte Jeanette Toussaint längst ein neues Leben. Gemeinsam mit etwa 20 weiteren Frauen, alle zwischen 20 und 30, viele aus kirchlichen Kreisen, wollte sie im Übergang der politischen Systeme die Rechte der Frauen verteidigen. 

Alte diskriminierende Strukturen

Obwohl die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau in der DDR-Gesellschaft verankert war, zeigten sich 1990 in den neuen oppositionellen Gruppen alte diskriminierende Strukturen. „Die Männer hielten die Reden, die Frauen organisierten das Büro“, berichtet Jeanette Toussaint. Da lächelt manche ältere Frau in der Besuchergruppe schmallippig.

Aber nicht mit uns, beschlossen 1989 die Potsdamer Gründerinnen des regionalen Ablegers vom Unabhängigen Frauenverband der DDR. An den runden Tischen begannen die Frauen, für ihre Träume zu kämpfen. 

Jeanette Toussaint zeigt zu der Ausstellungswand, da hängt ein kleiner Din-A5-Zettel.  Darauf steht selbstbewusst – natürlich auch handgeschrieben: „Wir wollen“.  Darunter dann Forderungen: von „keinen Sozialabbau für Frauen und Kinder“ über „Mitbestimmung und Gleichstellung von Frauen in allen politischen und gesellschaftlichen Bereichen“ bis hin zu „Gleichstellung außerehelicher und gleichgeschlechtlicher Partnerschaften“. 

Kleines Flugblatt, große Forderungen: die Ziele der Unabhängigen Initiative Potsdamer Frauen aus dem Jahr 1990.
Kleines Flugblatt, große Forderungen: die Ziele der Unabhängigen Initiative Potsdamer Frauen aus dem Jahr 1990.Sabine Gudath

Bei den ersten freien Wahlen der DDR im März 1990 errang die Unabhängige Initiative Potsdamer Frauen (UIPF) nur kleine Erfolge unter der Fünf-Prozent-Hürde. Nur eine der Frauen kam ins Potsdamer Parlament. „Das war ernüchternd.“ Dennoch war es ein Beginn. Stolz beschreibt Jeanette Toussaint diese „nicht lange, aber anstrengend schöne und intensive Zeit, die Auswirkungen bis heute hat“.

Auf der anderen Seite der Ausstellungswand sind die Folgen der Träumereien von damals zusammengetragen. Während Jeanette Toussaint, finanziert vom Bundesausbildungsförderungsgesetz, im vereinigten Deutschland wieder zur Schule ging und für ihr Abitur lernte, bauten Mitstreiterinnen Strukturen für die neue Wirklichkeit auf. „Dazu gehörten das Frauenzentrum Potsdam, wo sich jetzt auch Ukrainerinnen treffen, das Landesministerium Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen mit dem Ressort Frauen und Gleichstellung – einmalig unter den ostdeutschen Bundesländern. Und sie stellten die erste Gleichstellungsbeauftragte.“ In all den Jahren sei „der Stolz gewachsen, was wir alles angefangen haben. Seit 1997 ist Vergewaltigung in der Ehe strafbar, seit 2002 Maßnahmen gegen häusliche Gewalt wie der Verweis von Täter oder Täterin aus der gemeinsamen Wohnung möglich.“ Auch die Forderung nach Teilzeit stand 1990 auf dem kleinen Zettel. 2001 kam das Gesetz dazu. 

Entwicklung eines neuen persönlichen Lebensplans

Dem Unabhängigen Frauenverband der DDR war solch weithin sichtbarer Erfolg nicht gegönnt. Er tat sich für die erste Bundestagswahl im Dezember 1990 mit dem Bündnis 90/Grüne – BürgerInnenbewegungen zusammen und löste sich mangels Bedeutung 1998 auf. Erfolgreich war hingegen Jeanette Toussaints Lebensplan. „Ab 1995 studierte ich Ethnologie, Psychologie, Gender Studies.“ Als Historikerin forscht und dokumentiert sie heute Nationalsozialismus-, Frauen- und Geschlechtergeschichte.

Weiterhin ist sie nicht zufrieden mit dem, was ist. „Die schlechtere Bezahlung von Frauen muss aufhören. Mehr Frauen in die Parlamente!“ Auch der Paragraf 218 ist ihr ein Dorn im Auge. „Eine erlaubte Abtreibung wie in der DDR ist heute in der Bundesrepublik nicht möglich, das ist unbefriedigend für Frauen. Sie sollten selbst über sich entscheiden dürfen.“ Mit dem Paritätsgesetz, das 2020 vom Verfassungsgericht Brandenburg gekippt wurde, „waren wir ganz nah dran. Aber der Kampf dafür wird weitergehen.“ 

Kristin Aechtner, 26, geht es mit der Gleichberechtigung zu langsam in Deutschland.
Kristin Aechtner, 26, geht es mit der Gleichberechtigung zu langsam in Deutschland.Sabine Gudath

Für die jüngeren unter den Besucherinnen und Besuchern scheint der Fortschritt allerdings eine Schnecke zu sein. Die IT-Studentin Kristin Aechtner, 26, ist beeindruckt, „aber unzufrieden bin ich mit dem Abtreibungsrecht, wie es jetzt existiert“. Ulrike Fischer, 25, Verwaltungsangestellte, schüttelt verwundert den Kopf. „Vieles geht zu langsam. Dass die gleichgeschlechtliche Ehe erst 2017 Gesetz wurde, kann ich kaum glauben.“

Die Ausstellung „Wir dachten, wir können die Welt aus den Angeln heben. Die Unabhängige Initiative Potsdamer Frauen (1989 bis 1995)“ in der Gedenkstätte Lindenstraße, Potsdam, läuft  bis 8. Januar. Di–So von 10–18 Uhr.