Mobilität

Von wegen Berliner Tempo: Die Straßenbahn ist langsamer geworden

Neue BVG-Daten zeigen, wie sich die Geschwindigkeit des Berliner Nahverkehrs entwickelt hat. Pop-up-Radwege in der Kantstraße bremsen Busse aus.

Straßenbahnen unterwegs in Berlin. Mit mehr als 193 Kilometern gehört das Netz zu den größten weltweit. Im vergangenen Jahr haben Fahrgäste die Bahnen für fast 139 Millionen Fahrten genutzt.
Straßenbahnen unterwegs in Berlin. Mit mehr als 193 Kilometern gehört das Netz zu den größten weltweit. Im vergangenen Jahr haben Fahrgäste die Bahnen für fast 139 Millionen Fahrten genutzt.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Berlin-Tempo, Tempo! Arbeit, Warenlieferungen, Herstellungsprozesse – viele Menschen haben das Gefühl, dass alles immer schneller wird. Doch es gibt einen wichtigen Bereich in Berlin, in dem das Tempo zurückgegangen ist: Bei der Straßenbahn ist die durchschnittliche Geschwindigkeit gesunken, wie Daten der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) belegen. Der Linke-Politiker Kristian Ronneburg setzt sich dafür ein, dass bei den rot-grün-roten Koalitionsverhandlungen auch über die Beschleunigung des Nahverkehrs gesprochen wird.

Nach den Zahlen der BVG waren die Berliner Straßenbahnen 2017, im ersten Jahr der nun abgelaufenen Wahlperiode, im Durchschnitt mit 19,1 Kilometern pro Stunde unterwegs. Wie üblich wurden Stopps an Ampeln und Haltestellen eingerechnet. 2018 und 2019 waren es 18,8 Kilometer. Im vergangenen Jahr belief sich das Durchschnittstempo auf 18,7 Kilometer. Diesen Wert meldete die BVG nun auch für den Sommer dieses Jahres.

Tram wird systematisch ausgebremst

Auf den ersten Blick mutet der Rückgang nicht groß an. Doch schon wenige Minuten mehr Fahrzeit auf einer Linie können sich für die Pendler, die dort regelmäßig unterwegs sind, übers Jahr auf einige Dutzend Stunden summieren. Lebenszeit, die sich auch anders nutzen ließe, als sie in der Straßenbahn abzusitzen oder abzustehen. Die BVG wiederum muss mehr Fahrzeuge und mehr Personal einsetzen, was die Kosten nach oben treibt.

Was sind die Gründe? Vor Corona könnte die allgemeine Zunahme des Straßenverkehrs in Berlin die Straßenbahn ausgebremst haben, sagen Beobachter. Die Benachteiligung dieses klimafreundlichen Verkehrsmittels, die sich in Form von Ampelschaltungen oder Fahrbahnmarkierungen zugunsten der Autos zeigt, kam offenbar stärker zum Tragen.

Beim Linienbusverkehr zeigen die nun gemeldeten Zahlen der BVG dagegen eine leichte Verbesserung. Zu Beginn der Wahlperiode, im Jahr 2017, betrug die errechnete Durchschnittsgeschwindigkeit 17,9 Kilometer pro Stunde. Im folgenden Jahr blieb es dabei, 2019 sank das Tempo auf 17,8 Kilometer. Für 2020 wurde mit 18,2 Kilometer pro Stunde ein höher Wert gemeldet, im Sommer dieses Jahres waren es noch 18,1.

„Die wesentliche Ursache für die Steigerung der Geschwindigkeit sind die verkehrlichen Gegebenheiten aufgrund der Corona-Pandemie“, erklärte Jannes Schwentu von der BVG. „Insbesondere in den Lockdownphasen waren unsere Busse etwas schneller unterwegs.“

Senat ordnet Busspuren an – doch die Bezirke setzen das nicht um

Doch ein Grund zur Entwarnung ist das nicht, sagen Experten. So gebe es zahlreiche Buslinien, die so stark ausgebremst werden, dass sie als gestört gelten. Vielerorts hätten sich Bus-Fahrzeiten verlängert – etwa dort, wo während der Pandemie Pop-up-Radwege entstanden sind. In der Kantstraße in Charlottenburg blieb pro Richtung jeweils ein Fahrstreifen übrig, den sich Busse und andere Kraftfahrzeuge seitdem teilen müssen. Wenn Parkplätze in Radwege umgewandelt werden, ist das aus Sicht der BVG kein Problem. „Doch an Orten, wo neue Pop-up-Radwege zu Lasten bestehender Fahrstreifen, ohne die parallele Bevorzugung des öffentlichen Verkehrs umgesetzt werden, können sie in der Hauptverkehrszeit die Reisegeschwindigkeit der Busse senken“, sagte BVG-Sprecher Markus Falkner. „In der Kantstraße stellten wir zum Beispiel eine Reduzierung der Geschwindigkeit um circa vier Prozent fest.“ Dem Vernehmen nach sank das Durchschnittstempo um rund einen Kilometer pro Stunde.

„Die Zahlen bestätigen unser Mantra als Linke: Wir brauchen überall Busspuren und Vorrangschaltung sowie die Straßenbahn im Vorrangnetz grundsätzlich auf eigenem Gleis. Es wird eine Hauptaufgabe in den Koalitionsverhandlungen sein, wirksame Maßnahmen zur Beschleunigung zu verabreden“, sagte Linke-Politiker Ronneburg.

Verstöße gegen das Berliner Mobilitätsgesetz

In der vergangenen Wahlperiode war unter Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) angeordnet, das Busspurennetz um ein Viertel zu verlängern. Doch die Umsetzung geriet in den dafür zuständigen Bezirken bald ins Stocken. Dabei zeigen Rechnungen, wie wichtig auch im Busverkehr Minutengewinne sind. Als auf der Linie M27 das Tempo nur leicht sank, summierte sich die zusätzliche Fahrzeit auf 27 Stunden – pro Tag.

„Die Stadt mit den besten Voraussetzungen im öffentlichen Nahverkehr ist das Schlusslicht deutscher Verkehrspolitik – was sagt das über unsere Politik und Verwaltung?“, fragte Jens Wieseke vom Fahrgastverband IGEB und monierte „klare Verstöße gegen das Mobilitätsgesetz“. Es dürfe nicht dazu kommen, dass durch unausgegorene Maßnahmen wie an der Kantstraße der Busverkehr langsamer wird.