Betonungen können im Deutschen über Leben und Tod entscheiden. „Umfahren – nicht umfahren!“, schreit der Fahrlehrer den Fahrschüler an. Und der hält volle Kanne aufs Reh drauf (Blatsch!), weil der Fahrlehrer die Worte falsch betont hat. „Umfahren“ bedeutet nun mal das Gegenteil von „umfahren“. Warum nur hat irgendjemand diese fiesen Fallen ins Deutsche eingebaut? Wer soll so etwas beim Deutschlernen verstehen?
Es gibt noch viel mehr Beispiele für mehrdeutige Begriffe, wenn auch nicht ganz so lebensgefährliche. Da ist bei jemandem „der Reisepass abgelaufen“, er hat sich deswegen „die Schuhe abgelaufen“. Es gibt „ausgelassene Kinder“ und „ausgelassene Butter“. Der Zug ist „längst abgefahren“ und die Party „total abgefahren“.
Oder im Berlinischen das Wort „uffziehn“. Da heißt es: „Du loofst ja rum wie uffjezooren“ (gemeint ist: hyperaktiv, unruhig). Oder: „Ick hab dir doch nur’n bisschen uffjezooren“ (veralbert). Oder: „Wer hat dir nur uffjezooren?“ (erzogen?). Das könnte man ewig fortsetzen.
Fröhlich-kumpelhafte Duzerei ist weit verbreitet
Während ich über die Sprache nachdenke, erreicht mich plötzlich eine Mail, in der mich eine völlig fremde Person mit „Hallo Torsten, ich hoffe, dir geht es gut“ anspricht. Sie gehört zu einer Public-Relations-Agentur und weist mich auf irgendein Event hin, zu dem ich unbedingt kommen müsse. Und tut so, als ob wir gute Kumpels seien.
Diese fröhlich-kumpelhafte Duzerei ist heute weit verbreitet. Ich glaube, dahinter steckt der Wunsch, locker zu sein, Barrieren einzureißen. Vielleicht lernt man so etwas in der Public-Relations-Schulung. (Wir sind ja alle super gut drauf und total angesagt.) Mich dagegen schreckt das eher ab.
Menschen spielen im Leben nun mal verschiedene Rollen. Nur so kann die Gesellschaft funktionieren. Ein Richter brüllt nicht einfach durch den Gerichtssaal: „Mein lieba Scholli, jetzt kannste mal’n paar Jahre jesiebte Luft atmen, du Feife!“ Die Ärztin sagt auch nicht plötzlich zum Patienten: „Na du, altet Klapperjestell, du siehst ja janz schön dürre aus!“ – und haut ihm die Spritze rein wie einen Dartpfeil. Und eine fremde Agentur-Vertreterin, die was von einem will, kumpelt nicht wild drauflos.
Der Ruf „Hau ab, du Voorel!“ kann Zugereiste verschrecken
Zugegeben, es gibt das typische Berliner Du, das in bestimmten Situationen durchaus lustig sein und auflockern kann. Wenn zum Beispiel die Bahn ewig auf der Strecke steht und jemand zu einem sagt: „Du hast ja heute ooch nischt mehr vor, wa?“ Das erzeugt ein Gefühl leidender Gemeinsamkeit. Aber es kann auch Zugereiste verschrecken, wenn plötzlich irgendwo ein Wildfremder brüllt: „Hau ab, du Voorel!“ Wie unfreundlich!
Es geht noch drastischer. Ein Comedian erzählte folgende Geschichte. Ein Mann steht an einer Bushaltestelle, ganz nahe an der Straße. Mit der Folge, dass ihm der Seitenspiegel des herandonnernden Busses an den Kopf knallt. Der Busfahrer sorgt sich nicht etwa, ob dem Mann was passiert ist. Er macht die Tür auf und brüllt: „Wenn der Spiegel kaputt is, kriegste andere Seite ooch noch eene!“



