Verkehr

Vertrag nicht verlängert: Warum Eva Kreienkamp die BVG verlassen muss

Die Berliner Verkehrsbetriebe müssen ihren Chefposten neu besetzen. Die Entscheidung im Aufsichtsrat fiel unter ungewöhnlichen Umständen.

Seit Oktober 2020 leitet Eva Kreienkamp das größte kommunale Verkehrsunternehmen in Deutschland. Nun muss die BVG eine neue Chefin oder einen neuen Chef finden.
Seit Oktober 2020 leitet Eva Kreienkamp das größte kommunale Verkehrsunternehmen in Deutschland. Nun muss die BVG eine neue Chefin oder einen neuen Chef finden.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Es ist gerade erst zwei Jahre her, da trat Eva Kreienkamp ihren Posten als Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) an. Jetzt ist absehbar: Sie wird ihn nicht mehr lange bekleiden. „Der Aufsichtsrat der BVG hat sich gegen eine Verlängerung des Vertrages ausgesprochen“, sagte Verkehrs-Staatssekretärin Meike Niedbal am Mittwoch im Mobilitätsausschuss des Abgeordnetenhauses. „Wir brauchen mehr Impulse in Richtung Strategie“, und dabei müssten die Beschäftigten des Landesunternehmens mitgenommen werden, forderte die Grünen-Landespolitikerin. Wie jetzt bekannt wurde, fiel die Entscheidung unter ungewöhnlichen Umständen.

Das Votum im Aufsichtsrat, über das die Berliner Morgenpost zuerst berichtet hatte, wurde am 5. Oktober einstimmig und ohne lange Debatte gefällt. Sowohl die Vertreter der Arbeitgeber- als auch die der Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat übernahmen die Empfehlung des BVG-Personalausschusses. Beide Seiten stimmten dafür, den Drei-Jahres-Vertrag mit Kreienkamp nicht über den 30. September 2023 hinaus zu verlängern und von der zuvor ebenfalls diskutierten fünfjährigen Verlängerung abzusehen. „Das ist deshalb ungewöhnlich, weil Einstimmigkeit bei solchen Entscheidungen nicht die Regel ist“, sagte ein Mitglied des Gremiums der Berliner Zeitung am Mittwoch.

Streit um Corona-Maßnahme im Berliner Busverkehr führte zum Bruch

Normalerweise enthalten sich die Arbeitnehmervertreter der Stimme, wenn es um die Besetzung des Chefpostens geht, lautete die Erklärung. Bei ihnen herrscht die Auffassung vor, dass dies zunächst ein Thema der Arbeitgeberseite sowie der Landespolitik sei. Doch im Falle der Diplom-Mathematikerin, die von der Mainzer Verkehrsgesellschaft zum größten kommunalen Nahverkehrsunternehmen Deutschlands wechselte und im Oktober 2020 Nachfolgerin von Sigrid Nikutta wurde, wich man nun von dieser Selbstbeschränkung ab.

Immer wieder kam es zwischen Kreienkamp auf der einen sowie Personalvertretern und der Gewerkschaft Verdi auf der anderen Seite zu Auseinandersetzungen. Als „größten Bruch“ bezeichnen Beobachter den Streit um den Vordereinstieg für Fahrgäste in den rund 1500 Linienbussen der BVG. Nachdem sich in der Corona-Pandemie die erste Welle aufzubauen begann, wurden die vorderen Bustüren für Fahrgäste im März 2020 gesperrt, um das Fahrpersonal vor Ansteckungen zu schützen.

Mehrmals versuchte der BVG-Vorstand, die Maßnahme rückgängig zu machen. Der Senat übte Druck auf ihn aus, denn durch die Einstellung des Fahrscheinverkaufs im Bus gingen Erträge verloren – allerdings betrug der Anteil an den Gesamteinnahmen vor Corona gerade mal vier Prozent. Doch der Gesamtpersonalrat und Verdi leisteten Widerstand. Erst nachdem ein Gutachten die Gefahren durch Aerosole als niedrig eingeschätzt hatte, ging der Vordereinstieg im Juli 2021 wieder auf. Doch bis dahin war unternehmensintern schon viel Porzellan zerschlagen worden, sagte ein Insider.

Eine Kette von Themen – und eine atmosphärische Störung

Letztlich sei es eine ganze Kette von Themen gewesen, die zu dem Votum am Mittwoch vergangener Woche geführt hat. Derzeit gebe es Streit um die Ausstattung des Fahrpersonals mit Mobiltelefonen, bei der sich die Personalvertretung nicht ausreichend eingebunden fühlt.

Das wesentliche Argument ist allerdings ein atmosphärisches, hieß es weiter. „Frau Kreienkamp hat bis heute keinen Draht zu den BVG-Mitarbeitern gefunden.“ Bei der BVG sei es üblich, dass Manager in Betriebshöfen, Werkstätten oder in anderen Bereichen auftauchen, um sich zu erkundigen, wo der Schuh drückt. Von der jetzigen Chefin wird dies nicht berichtet. Als 2021 auf einem Betriebshof ein Video zur „Jerusalema Dance Challenge“ gedreht wurde, sei sie erst kurz vorher gekommen, so der Bericht. Die Chance, bei der Gelegenheit länger mit Mitarbeitern zu sprechen, habe sie nicht ergriffen.

„Zuletzt fehlte das Vertrauen“

Dem Vernehmen nach ging die Initiative, den Vertrag mit der 60-Jährigen nicht zu verlängern, allerdings von der Arbeitgeberseite aus. Und offensichtlich soll es schnell gehen, denn eigentlich hätte es ausgereicht, dass Thema erst in der Dezembersitzung des Aufsichtsrats auf die Tagesordnung zu setzen. Wie lange Kreienkamp noch in ihren Chefzimmern in der 12. Etage der BVG-Hauptverwaltung in der Holzmarktstraße anzutreffen ist, gilt als ungewiss.

Auch auf der Arbeitgeberseite ist man unzufrieden, erfuhr die Berliner Zeitung. So fühlten sich die Vertreter des Landes in strittigen Themen nicht immer richtig informiert. „Zuletzt fehlte das Vertrauen“, so eine Einschätzung.

„Die beiden passten einfach nicht zueinander“

Im Senat vermisst man auch strategische Ansätze, wie die BVG schneller als bisher aus der coronabedingten Krise herauskommen könnte. Noch immer hat die Zahl der Fahrgäste nicht den Vor-Corona-Stand erreicht – zuletzt waren es 86 Prozent. Damit die Mobilitätswende in Berlin gelingt, müsse die BVG wieder eine größere Rolle im Nahverkehr spielen, hieß es. Allerdings wurden die Probleme, Personal zu gewinnen, noch nicht überwunden. Rund 900 Stellen sind unbesetzt.

Schon früh hat sich Eva Kreienkamp, die eine Mädchenschule der Ursulinen besuchte, als lesbisch geoutet. Sie ist Mitgründerin eines LGBT-Netzwerks und des Netzwerks „Wirtschaftsweiber“, das sich für mehr Diversität einsetzt. 2019 belegte sie bei „Germany’s Top 100 Out Executives“ den ersten Platz. Seit Langem setzt sich Kreienkamp, die mit ihrer Ehefrau in Reinickendorf lebt, für Diversität ein.

Noch mehr als zuvor präsentiert sich die BVG heute als ein Großunternehmen, das die Vielfalt in der konzernweit mittlerweile fast 16.000-köpfigen Belegschaft fördert – unter anderem mithilfe eines Diversity-Managements. Unter Kreienkamp wurde zudem die Digitalisierung vorangetrieben. Dank des Rufbusangebots Muva, das den Fahrgästen seit September zur Verfügung steht, und einer App gibt es nun im Osten Berlins Nahverkehr auf Bestellung. Doch im regulären Angebot gibt es immer wieder Ausfälle.

FDP: BVG muss handlungsfähig bleiben

Trotz unbestrittener Leistungen vermisst man vor allem im Senat grundlegende strategische Impulse. Zur Kenntnis genommen wurde dort auch, dass das Verhältnis zwischen der Vorstandsvorsitzenden und dem BVG-Betriebsvorstand Rolf Erfurt von Anfang an gespannt war. „Die beiden passten einfach nicht zueinander“, hieß es.

Dass Dirk Schulte im vergangenen Jahr seinen Vorstandsposten für Personal und Soziales vorzeitig aufgab, um zu einem anderen Unternehmen zu wechseln, bringen Insider ebenfalls mit Kreienkamp in Verbindung. Intern wurde kritisiert, dass die Vorstandsvorsitzende versucht habe, sich auch in seinen Bereich einzumischen. Auch die langjährige Sprecherin Petra Nelken, die trotz Überschreitens der Altersgrenze geblieben und in dem Unternehmen 67 Jahre alt geworden war, verließ Ende 2021 die BVG.

Bevor Eva Kreienkamp Co-Geschäftsführerin der Mainzer Verkehrsgesellschaft und dann BVG-Chefin wurde, arbeitete sie unter anderem im Management der Allianz-Versicherung, der Berlinwasser Holding und des privaten Fernzugbetreibers HKX. Das Bahnunternehmen und sie trennten sich 2014 in gegenseitigem Einvernehmen. 

„Die BVG steht vor einem Jahrzehnt der Investitionen in neue Strecken, Fahrzeuge und Betriebsabläufe“, sagte Felix Reifschneider, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, am Mittwoch. „Damit sich die Bau- und Beschaffungsvorhaben nicht immer weiter verzögern oder die Preise explodieren, braucht es an der Spitze der BVG jemanden mit Bau- und Projektmanagementfähigkeiten. Darum muss unverzüglich dafür gesorgt werden, dass die BVG bis Herbst nächsten Jahres entscheidungs- und handlungsfähig bleibt. Berlin darf hier nicht noch weiter ausgebremst werden.“