Baustellen

Verrücktes aus Köpenick: Das war (oder ist noch) Berlins irrsinnigste Baustelle

Die Regattastraße im kleinen Ortsteil Grünau ist der Inbegriff für Berlins Nicht-Funktionieren, an dem natürlich niemand schuld ist. Eine Bewertung.

Für die Bewohner der Seniorenresidenz und für die Anwohner war es nicht ganz einfach.
Für die Bewohner der Seniorenresidenz und für die Anwohner war es nicht ganz einfach.Andreas Kopietz/Berliner Zeitung

Sollte der Wahnsinn ein Ende haben? Berlins wohl irrsinnigste Baustelle findet in diesen Tagen ihren Abschluss – wenn alles gut geht. Anwohner der Regattastraße in Grünau glaubten nicht mehr daran. Denn es herrschte ein Bau-Chaos, das deutlich machte, wie Berlin (nicht) funktioniert. Panne reihte sich an Panne, weshalb die Straße seit Sommer 2022 gesperrt und ein ganzer Kiez zur Hälfte abgeriegelt war. Natürlich ist niemand verantwortlich, man schiebt sich wechselseitig die Schuld zu.

Die Berliner Zeitung hat mehrfach darüber berichtet, wie die ehemalige denkmalgeschützte Ausflugsgaststätte Gesellschaftshaus an der Regattastraße seit der Wende verfiel. Wie ein Spekulant das Areal für 650.000 Mark kaufte und für 17 Millionen Euro weiterverkaufte und welche dubiose Rolle das Bezirksamt bei der Vermittlung und Planung klotziger Häuser spielte. Diese Zeitung berichtete, wie das Gesellschaftshaus wundersamerweise niederbrannte, als ein Investor das Areal erworben hatte, um eine teure Seniorenresidenz zu bauen. Wie die eingeäscherte Ruine und das benachbarte Ballhaus Riviera in riesige hässliche Neubauten der Seniorenanlage integriert wurden, die beiderseits der Regattastraße entstanden. Es wurde beschrieben, wie eine ungeordnete „Drecksbaustelle“, wie Nachbarn das nannten, einen ganzen Kiez mit Müll überzog.

In dieser und in anderen Zeitungen wurde auch die Serie der Unglücke geschildert: wie jemand von der Baustelle flüssigen Beton in den Schmutzwasserkanal unter der Regattastraße laufen ließ und so diesen auf 150 Metern verstopfte. Wie die Berliner Wasserbetriebe (BWB) beim Versuch, den Kanal freizubekommen, teure Fräsen einbüßten und auch ihr 2000-Bar-Hochdruckreiniger scheiterte, weshalb die Straße 150 Meter weit aufgerissen und die Kanalrohre gewechselt werden mussten. Wie dabei eine bis dahin unbekannte Gasleitung beschädigt wurde und wegen des ausströmenden Gases ein Teil der Seniorenresidenz evakuiert wurde. Wie dann auch noch ein Glasfaserkabel durchtrennt und der Kiez ohne Telefon und Internet war. Wie manchmal wochenlang niemand auf der Straßenbaustelle zu sehen war, weil sich Gasag, Wasserbetriebe und Bezirksamt nicht einig wurden – oder weil die Baufirma im Betriebsurlaub war.

Keine Zufahrt für die Feuerwehr

Mit grenzenloser Geduld ertrugen die Kiezbewohner und die Residenten der Seniorenhäuser das Ungemach. Diese hatten Wohnungen dort gekauft oder teuer gemietet. Wie einige uns berichteten, mussten sie anfangs in Hotels untergebracht werden, weil ihre Quartiere noch gar nicht fertig waren. Bis vorige Woche noch sah man alte Menschen, die ihre Rollatoren durch den Schlamm oder den Staub schoben. Eine Zufahrt für Rettungswagen und Feuerwehrautos gab es bis vor kurzem nicht. Auch nicht für Bestattungsunternehmen.

Findigkeit war gefragt: Fußgänger durften sich durch ein Labyrinth aus Absperrzäunen ihren Weg suchen.
Findigkeit war gefragt: Fußgänger durften sich durch ein Labyrinth aus Absperrzäunen ihren Weg suchen.Andreas Kopietz/Berliner Zeitung

Eigentlich sollte alles längst fertig sein. Im April war ein neuer Schmutzwasserkanal verlegt. Die Gasleitung war wieder angeschlossen, auch das Internet war längst wieder da. Fehlte nur noch die oberste Asphaltdecke auf dem ersten Straßenbelag. Doch dann platzte unter der wiederhergestellten Straße eine gusseiserne Trinkwasserleitung. Sie war alt und stammte aus dem Jahr 1940. Zu allem Überfluss stellte sich heraus, dass unter dem neuen Asphalt auch zwei Gully-Abläufe kaputt waren. Auch sie waren alt und mussten ausgewechselt werden. Der neue Straßenbelag musste dort aufgehackt werden.

Derweil schlängelten sich Passanten und Senioren, die das seit vielen Monaten geübt hatten, auf immer neuen Routen durch wechselnde Absperrgitter-Labyrinthe. Schimpfende Umzugsarbeiter schoben Möbel auf Rollbrettern zu den Wohnungen der Seniorenresidenz, die immer noch neue Bewohner bekommt. Die Fahrbahn wurde vom Bezirksamt zum Materiallager für Pflastersteine und Mutterboden für die Beete auf der noch immer nicht fertigen Außenanlage der Seniorenresidenz umfunktioniert. Die Pflastersteine sind für die Gehwege gedacht, die das Straßen- und Grünflächenamt des Bezirks derzeit erneuert.

Dann wurde der neue Asphalt aufgehackt

Dass die Straße nicht eröffnet wurde, daran geben sich Bezirksamt und Wasserbetriebe gegenseitig die Schuld. Die Wasserbetriebe seien noch nicht fertig, hieß es aus dem Straßen- und Grünflächenamt.

Dem widersprach BWB-Sprecher Stephan Natz Anfang dieses Monats. „Unsere Leitungsbauarbeiten an Rohren und Kanälen sind seit Juni beendet, die Gräben verfüllt und die Straße bis auf die Deckschicht wieder aufgebaut. Uns fehlen die letzten acht Zentimeter Asphalt, dessen Auftragen uns das Straßen- und Grünflächenamt bisher verwehrt hat.“

Auch die Baustelle der Seniorenresidenz war lange Zeit eine vermüllte Chaosbaustelle.
Auch die Baustelle der Seniorenresidenz war lange Zeit eine vermüllte Chaosbaustelle.Andreas Kopietz/Berliner Zeitung

Als Grund sei den Wasserbetrieben genannt worden, dass erst die Bürgersteige hergestellt und während dieser Zeit „die Fußgehenden“ über die noch unfertige Fahrbahn geleitet werden sollten. Zudem wollte das Amt offensichtlich Zeit für die Aufstellung von zahlreichen Pollern gewinnen. Das mag ja alles legitim sein, heißt es bei den Wasserbetrieben. Nur müsse das Amt das auch so kommunizieren und nicht die Wasserbetriebe als Bummler vorschieben.

Zum Erstaunen mancher Nachbarn hackten Arbeiter am 11. September ein weiteres Mal in den neuen Asphalt. Die Deckel mehrerer Armaturen und eines Straßenablaufs waren drei Zentimeter zu tief montiert und mussten angepasst werden.

Als nur noch der oberste Straßenbelag fehlte, musste zweimal wieder aufgehackt werden – zuletzt Mitte dieses Monats, weil Armaturen zu tief eingebaut waren.
Als nur noch der oberste Straßenbelag fehlte, musste zweimal wieder aufgehackt werden – zuletzt Mitte dieses Monats, weil Armaturen zu tief eingebaut waren.Andreas Kopietz/Berliner Zeitung

In der vergangenen Woche fragte die Berliner Zeitung bei Baustadträtin Claudia Leistner (Grüne) nach, wie der Stand der Bauarbeiten in der Regattastraße sei und wann die Straße für den Autoverkehr geöffnet werde. Die Stadträtin teilte daraufhin etwas mit, das den Wasserbetrieben nicht gefallen dürfte: „Die Arbeiten der BWB sind derzeit noch nicht abgeschlossen, und die Baustelle wurde durch die BWB noch nicht an das Bezirksamt übergeben. Die Bauarbeiten der BWB sind erst abgeschlossen, wenn auch der endgültige Deckenschluss über ihren durch die Rohrleistungsarbeiten notwendigen Aufgrabungen erfolgt ist.“

„Wird diese Straße jemals wieder aufgemacht?“, fragte am Freitag ein Kiezbewohner einen der Arbeiter der Tiefbaufirma, der gerade die Absperrungen wegräumte. „Ist doch offen“, antwortete er. Der Deckenschluss, also das Aufbringen der obersten Asphaltschicht, war da schon erfolgt. Und so fahren seit dem Wochenende wieder Autos durch die Straße – auch wenn sie wegen restlicher Bauarbeiten auf dem Fußweg eingeengt ist und es bei sich begegnenden Fahrzeugen nur einen geben kann, weshalb es zu Konflikten kommt.

Wo diese beiden Arbeiter laufen, können neuerdings auch Autos fahren – wenn auch auf etwas beengtem Raum. Es gibt Konflikte, wenn sich Autos begegnen.
Wo diese beiden Arbeiter laufen, können neuerdings auch Autos fahren – wenn auch auf etwas beengtem Raum. Es gibt Konflikte, wenn sich Autos begegnen.Andreas Kopietz/Berliner Zeitung

Am Montag, so ist zu hören, werde es eine gemeinsame Begehung von Vertretern der Wasserbetriebe und des Straßen- und Grünflächenamtes geben. Wenn die Leute vom Amt zufrieden sind, wird die Straße offiziell für eröffnet erklärt. BWB-Sprecher Stephan Natz wäre dann froh, sich den anderen Baustellen der Berliner Wasserbetriebe in der Stadt widmen zu können. Die gibt es nämlich auch noch.