Verkehr

Berlin-Strecke bleibt unterbrochen: Oderbrücke wird erst Mai 2023 fertig

Niedriger Wasserstand des Grenzflusses bremst das Bauprojekt aus. Auch Personalengpässe sorgen für Verzögerungen. Das hat Folgen für die Fahrgäste.

Baustelle an der Grenze: Im November 2021 beginnen Bauarbeiter damit, die alte Bahnbrücke zwischen Küstrin-Kietz und Kostrzyn abzutragen. Fahrgäste müssen auf Busse umsteigen.
Baustelle an der Grenze: Im November 2021 beginnen Bauarbeiter damit, die alte Bahnbrücke zwischen Küstrin-Kietz und Kostrzyn abzutragen. Fahrgäste müssen auf Busse umsteigen.Deutsche Bahn/Volker Emersleben

Sie hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Nun entsteht die Überquerung der Oder zwischen Küstrin-Kietz und Kostrzyn neu. Dort wird für den Schienenverkehr eine Hightech-Brücke gebaut, deren Tragseile aus Carbon bestehen werden. Doch nun muss das Großprojekt zwischen Deutschland und Polen einen Rückschlag hinnehmen. Die Deutsche Bahn (DB) teilte auf Anfrage mit, dass die neue Oderbrücke deutlich später als ursprünglich vorgesehen fertig wird. Das hat Folgen für die Fahrgäste auf der wichtigsten Route zwischen Polen und Berlin – aber auch für die Niederbarnimer Eisenbahn (NEB), die für den Betrieb der Regionalbahnlinie RB26 verantwortlich ist.

„Material- und Personalengpässe bei Baufirmen, die zurzeit in Deutschland sehr viele Branchen betreffen, beeinflussen auch den Neubau der Oderbrücke für die Bahn in Küstrin“, sagte ein Bahnsprecher der Berliner Zeitung. „Es hat sich außerdem gezeigt, dass der niedrige Wasserstand der Oder beim Abbau der alten Brücke eine große Herausforderung ist. Wir mussten daher die Bauweise noch einmal anpassen, um unabhängig vom Wasserstand arbeiten zu können.“

Im SEV können nur kleine Busse verkehren

Diese Änderung wirke sich auf den Zeitplan aus. „Die Inbetriebnahme der Oderbrücke verschiebt sich daher um fünf Monate auf Mai 2023“, berichtete der Sprecher weiter. „Wir haben einen großen Park & Ride-Parkplatz in Küstrin eingerichtet, der sehr gut angenommen wird. Damit minimieren wir die Unannehmlichkeiten für alle Reisenden.“

Die Visualisierung zeigt, wie die neue Oderbrücke der Bahn aussehen wird.
Die Visualisierung zeigt, wie die neue Oderbrücke der Bahn aussehen wird.Deutsche Bahn (DB) Netz AG

Wer den Grenzfluss ohne Auto überqueren will, kann den Schienenersatzverkehr (SEV) der Niederbarnimer Eisenbahn nutzen. Auf der Regionalbahnlinie RB26 enden die Züge aus Berlin, Strausberg und Müncheberg seit dem vergangenen November in Küstrin-Kietz. Von dort aus fahren Busse über die Bundesstraße B1 nach Kostrzyn. Doch weil die Straßenbrücke für reguläre Busse nicht ausgelegt ist, können nur kleine Busse im Auftrag der NEB eingesetzt werden. Selbst wenn mehrere Fahrzeuge unterwegs sind, erreicht der SEV Berichten zufolge nicht selten die Grenzen seiner Kapazität.

Die erste Brücke an dieser Stelle wurde 1857 fertig

Für mehrere Busse sind mehrere Fahrer notwendig. Das erhöht den Aufwand, den die NEB tragen muss, zusätzlich. Dem Vernehmen nach gibt es nur für den kurzen Abschnitt bis zur Grenze Geld vom Aufgabenträger, für das Teilstück in Polen bekommt das Verkehrsunternehmen keine Zahlungen. Beobachter erwarten, dass nun über die Finanzierung gesprochen werden muss.

Rund um Kostrzyn (Küstrin) gibt es mehrere große Brücken, die Oder und Warthe überspannen. Die Flussüberquerung, die nun neu errichtet wird, gehört zur früheren Preußischen Ostbahn, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts eine größtenteils schnurgerade Verbindung zwischen Berlin und Königsberg herstellte.

So sah die Oderbrücke im Sommer des vergangenen Jahres aus.
So sah die Oderbrücke im Sommer des vergangenen Jahres aus.Deutsche Bahn (DB) Netz AG

Das erste Bauwerk an dieser Stelle wurde 1857 für den Verkehr freigegeben. Nachdem es im Ersten Weltkrieg Schäden davontrug, wurde es Mitte der 1920er-Jahre abgerissen. Daneben entstand eine neue Brücke für die Oder und ihre Vorflut. Auch im Zweiten Weltkrieg war diese Flussüberquerung hart umkämpft. Nach der Sprengung entstand ein Provisorium, das wiederum Anfang der 1950er-Jahre durch Teile der 1945 von der Wehrmacht gesprengten Karniner Brücke nach Usedom ersetzt wurde.

Einst nach Danzig, Königsberg und zur Grenze nach Russland

Wo einst Schnellzüge nach Danzig, Königsberg oder zur Grenze nach Russland fuhren, verkehrten nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch Güterzüge. Der Personenverkehr begann erst wieder nach der Wende, 1992 wurde der Betrieb aufgenommen. Rasch entwickelte sich die Strecke von Berlin nach Kostrzyn zu der am stärksten frequentierten Route zwischen Deutschland und Polen. Bis zur Sperrung im vergangenen November verkehrten Dieseltriebwagen der NEB im Stundentakt. Berliner Ausflügler und Einkaufstouristen sowie polnische Wochenendpendler waren dort unterwegs.

2015 schrieb die DB den Wettbewerb zum Neubau der Oderbrücke aus. Gewinner waren das Büro Schüßler-Plan und Knights Architects aus London („Europe’s leading bridge architects“). Von ihnen stammt der Entwurf für eine 260 Meter lange Netzbogenbrücke, der nun verwirklicht wird. Auch die neue Brücke bekommt zwei Gleise. Allerdings werden die Züge dort mit 120 Kilometer in der Stunde fahren können – zuletzt war nur Tempo 30 möglich. Zudem werden Vorkehrungen getroffen, die Strecke zu elektrifizieren, teilte die Bahn weiter mit. Beim Baustart wurden die Kosten mit 65 Millionen Euro beziffert.

Symbol für das Zusammenwachsen Europas

Die Tragseile, die sogenannten Hänger, werden aus Carbon gefertigt, teilte die DB mit. Dabei handelt es sich um mit Carbon verstärkten Kunststoff. „Der im Vergleich zu Stahl deutlich elastischere Werkstoff sowie die innovative Bautechnik ermöglichen eine besonders schlanke, materialsparende und umweltfreundliche Konstruktion“, so die Bahn. Die Brücke sei ein Symbol für das Zusammenwachsen Europas sowie ein Ort, an dem sich Deutschland und Polen in der Mitte eines Flusses begegnen.