Mitglieder der ukrainischen Community stellen sich auf mögliche Konfrontationen und Provokationen am Wochenende und am Montag in Berlin ein. Man erwarte möglicherweise auch Gewalt gegen Ukrainer – ausgeübt von Menschen, die das Gedenken an das Kriegsende zum Anlass nehmen wollen, Wladimir Putin und den Krieg in der Ukraine zu feiern.
Das sagten Mitglieder des Vereins Vitsche Berlin am Donnerstag bei einer Pressekonferenz, bei der es auch um die Bedeutung der Gedenktage am 8. und 9. Mai für Menschen aus der Ukraine ging.
Man werde momentan ständig an „die unfassbaren menschlichen Verluste des letzten Jahrhunderts“ erinnert, so Eva Yakubovska, die eine führende Rolle im Kulturprogramm des Vereins spielt. Für viele ukrainische Familien habe der 8. Mai auch in Sowjetzeiten nichts mit dem Pomp und Prunk der Feierlichkeiten in Russland und anderen postsowjetischen Ländern am 9. Mai zu tun gehabt, sagte sie.
Putin-Freunde auf Telegram
Aber auch in der Ukraine war der 9. Mai bis 2014 ein offizieller Feiertag. Seit 2015 wird aufgrund der Krimannexion und russischen Unterstützung für ostukrainische Separatisten stattdessen am 8. Mai einen Tag des Gedenkens und der Versöhnung in der Ukraine gefeiert.
In Berlin befürchten die Ukrainer von Vitsche nun Auseinandersetzungen. „Wir erwarten, dass die 8. und 9. Mai in Berlin sehr gefährliche Tage für Ukrainer und für unsere Community insgesamt werden“, sagte Iryna Shulikina. Vor allem haben sie Angst vor Aktionen unter falscher Flagge, die Mitgliedern ihrer Community zugeschoben werden könnten.
Die Vitsche-Social-Media-Managerin Nata Lastivka hat seit mehreren Wochen Putin-freundliche Telegram-Kanäle mit Berlin-Verbindung beobachtet. Sie berichtete von Hinweisen auf große Pläne prorussischer Gruppen für die zwei Gedenktage.

„Da sieht man, wie prorussische Propaganda und Hassreden gegen Ukrainerinnen und Ukraine verbreitet werden“, so Lastivka über ihre Beobachtungen in den sozialen Netzen. Entsprechende Materialen würden nicht nur auf Telegram geteilt, sondern auch als Videos bei TikTok oder YouTube.
Oft werde in den Kanälen nur vage über Pläne für den 8. und 9. Mai gesprochen. Die Aktivisten von Vitsche vermuten, das vieles nur in geschlossenen Telegram-Gruppen besprochen werde. In diese Gruppen komme nur, wer sich mit einem Videoanruf bei einem Administrator der Gruppe und der Vorlage des Reisepasses identifiziert.
Awareness-Teams stehen bereit
Von ihrer Recherche konnte Nata Lastivka deshalb nicht genau feststellen, was prorussische Gruppen für die beiden Tage vorhaben. Aber vor allem der prorussische Autokorso von Anfang April dient für sie als Vorwarnung, was zu erwarten sein könnte. „Wir glauben, dass die Absage des zweiten Autokorsos am 24. April uns ein deutliches Signal für die Größe der geplanten Aktion gibt“, so Lastivka. „Die Organisatoren wollten vermutlich einen zweiten Skandal vermeiden, damit sie ihre Pläne für den 9. Mai nicht einschränken müssten.“
Um die ukrainische Community – zu der auch die vielen ukrainische Geflüchteten in Berlin zählen – an diesem Tag zu schützen, wollte das „Awareness-Team“ von Vitsche drei sichere Anlaufpunkte am Alexanderplatz und in der Nähe der sowjetischen Ehrenmäler im Tiergarten und Treptower Park aufbauen.
Dort sollte man sich mit Essen und Trinken erholen können, aber auch beraten lassen und ihre Erfahrungen offiziell melden, falls man Opfer von Belästigungen, Beschimpfungen oder sogar Gewalt geworden ist. „Was wir tun können, ist, den Menschen physisch sichere Räume in der Nähe der Hauptversammlungsorte zu bieten“, so Anton Dorokh, der Mitgründer von Vitsche und Koordinator des Awareness-Teams. Ab dieser Woche soll auch ein Telegram-Bot Ukrainern in Berlin helfen, die bedroht worden sind – egal von wem.
Dennoch gab es am Freitag Probleme für den Verein. So wurden Mitglieder von der Polizei informiert, dass Hilfe-Zelte von Vitsche am Treptower Park und am Tiergarten nicht mehr aufgestellt werden können. Das sei ein Zeichen dafür, dass die Polizei die Initiative als Teil des Konflikts betrachte, teilte der Verein dazu mit. Harte Worte fand man auch für das Verbot ukrainischer Flaggen im Bereich der Gedenkstätten am 8. und 9. Mai: Die Gruppe betrachtet beide Entscheidungen als diskriminierend gegenüber Ukrainern. Jetzt überarbeitet der Verein sein Sicherheitskonzept. Die freiwilligen Helfer der Gruppe sind entschlossen, weiterhin an den geplanten Standorten anwesend zu sein.
Am 8. Mai bemüht sich die Gruppe, vor allem mit einem Kulturprogramm der Gemeinschaft Halt zu geben. In der Markthalle Neun in Kreuzberg wird zum zweiten Mal die Veranstaltung „Leuchtturm Ukraine“ stattfinden – „damit alle in unserer Community zusammenkommen und sich gegenseitig unterstützen können“, so Eva Yakubovska.
Gedenken an Zwangsarbeiter und Musik in der Kirche
Zwischen 10 und 18 Uhr am Sonntag sind Mitglieder der ukrainischen Community außerdem eingeladen, Blumen am Handwerkervereinshaus der Sophienstraße 18 niederzulegen: Hier gab es in der NS-Zeit ein Arbeitslager für Zwangsarbeiter aus Osteuropa. Am Abend geht das Programm in der Zionskirche weiter mit zwei Gesangsdarbietungen im Stil der ukrainischen „Golosinnya“ – eine gesungene Verabschiedung nach dem Tod eines geliebten Menschen.
Im ersten Teil der „Golosinnya“ mit dem Stück „Non verba“ von der ukrainischen Sängerin Maryana Danchenko werden die Worte einer Überlebenden eines KZ-Arbeitslagers musikalisch interpretiert.




