Es ist kein Geheimnis, dass Berlin ein Drogenproblem hat. Anders gesagt – in der Hauptstadt werden illegale Substanzen nicht hinter vorgehaltener Hand konsumiert, sondern ganz offen und ohne Scheu. Am Moritzplatz riecht es morgens schon nach Heroin. Am Alexanderplatz weht einem der Geruch von Crack entgegen. Und am S-Bahnhof Lichtenberg riecht es zu jeder Tages- und Nachtzeit nach Alkohol.
Der Anblick einer Person, die im Drogenrausch auf dem Boden liegt, ist schwer zu ertragen. Erwachsene können auch das irgendwann ausblenden, laufen mit gesenktem Kopf weiter. Kinder nicht, die wollen wissen, was los ist und fragen nach. Aber wie spricht man mit einem Kind über offenen Drogenkonsum und die weitreichenden Folgen?
Das Mädchen schaut wie paralysiert auf den Bahnsteig
Es ist kurz vor 9 Uhr morgens, in der U-Bahn wird die erste Bierflasche geleert. Die Türen der U-Bahn öffnen sich, die Durchsage „Zurückbleiben bitte“ ertönt und eine Mutter springt in letzter Sekunde mit ihrer Tochter in die Bahn. Das Mädchen schaut wie paralysiert auf den Bahnsteig, hebt seine Hand und deutet auf den dreckigen Boden der U-Bahn-Haltestelle: „Mama, wieso liegt der Mann dort auf dem Boden?“
Bevor die Bahn losfährt, folge ich dem Blick des Mädchens. Sie hat recht, dort liegt jemand. Es wirkt, als würde der Mann schlafen. Neben ihm stehen mehrere Flaschen: Bier, Wodka, Whiskey. Er trägt eine kurze Hose, sodass seine Beine zu sehen sind. Sie sind übersät mit rot verkrusteten Flecken – Einstichstellen.
Bevor ich weiter darüber nachdenken kann, fährt die Bahn los und das etwa fünf Jahre alte Mädchen wiederholt ihre Frage. Ihre Mutter schweigt. Aber die Kleine lässt nicht locker. „Wieso schläft er auf dem Boden, hat er kein Zuhause?“, bohrt sie weiter nach. „Ich denke, dass er kein Zuhause hat“, antwortet die Mutter zögerlich.
„Und wieso hat er so komische Beine?“, entgegnet das Mädchen und blickt erwartungsvoll zu ihrer Mutter. Ich versuche, uninteressiert zu wirken. Niemand soll merken, dass ich der Unterhaltung gebannt lausche. „Dieser Mann ist sehr krank“, sagt die Mutter und setzt erneut an. „Die Krankheit, die er hat, lässt sich nicht so leicht behandeln. Er kann nicht einfach zum Arzt gehen und sich ein paar Tage ausruhen.“


