Kiezgeschichten

Kugelblitz, Sophien-Eck und Magendoktor: Ein Kartenspiel mit Berliner Kneipen

Martin Emmerling verewigt mit seinem Quartett ureingesessene Kneipen. In Schöneberg besucht er zwei Pubs für die Berliner Auflage. Ist Ihre Stammkneipe dabei?

Der Münchner Martin Emmerling mit dem Berliner Wirt Fred „Puschel“ Eichhorn
Der Münchner Martin Emmerling mit dem Berliner Wirt Fred „Puschel“ EichhornBerliner Zeitung/Markus Wächter

Puschel zieht seine dicke Brille ab und rückt die Mütze mit dem Logo seines Pubs zurecht. Puschel heißt eigentlich Fred Eichhorn und ist seit 1988 Kneipenwirt dieser Bar auf der Potsdamer Straße. Das Puschel’s Pub ist im Kiez eine Institution, ein zweites Wohnzimmer. Heute posiert er für ein Foto, das bald auf der Spielkarte eines Kiezkneipen-Quartetts abgedruckt wird. Deswegen nimmt Puschel lieber seine Brille ab.

Immer mehr ureingesessene Kneipen werden verdrängt, die letzten dieser Art sollen mit einem Kartenspiel gewürdigt werden: ein Kiez, vier Kneipen. Martin Emmerling kam auf die Idee. Heute ist der Münchner für die zweite Berliner Auflage in Schöneberg unterwegs. Ein paar Kneipen haben inzwischen geschlossen und müssen ersetzt werden.

Puschel’s Pub hat die Pandemie nur durch eine Spendenaktion seiner Stammgäste überlebt. Es war nicht die erste Krise, die der Laden überstanden hat, aber die schwerste, sagt er. 1000 Euro Miete zahlt der Wirt monatlich, „auch wenn kein Fußball läuft“. Und nun ziehen die Brauereien die Preise wegen des Ukraine-Kriegs an.

In Emmerlings Notizbuch stehen neun Kategorien, darunter zum Beispiel „Pils: 3,60“, „Tresenplätze: 15“, „Frauenanteil: 30%“. Diese Kategorien entscheiden, wie wertvoll die Karte im Spiel ist. Einige Spieler nehmen die Karten als Anlass für eine Kiezkneipentour, erzählt Emmerling, der sein erstes Kneipenquartett in München entwickelt hat. Früher bei der Recherche in seiner Heimatstadt, da habe er auch das ein oder andere Bier gehoben, erzählt der freie Autor und Künstler. Heute ist er genervt von der Fahrerei durch das weitläufige Berlin und bestellt lieber eine Cola.

Ureingesessen ist Puschels Pub auf alle Fälle. Die Kneipe selbst ist etwa 100 Jahre alt und war die erste Lesbenkneipe Berlins, sagt der Inhaber. „Puschel, ein Bier“, ruft ein Gast vom Außenbereich herüber. Alle nennen Eichhorn Puschel, weil die Tochter seines ehemaligen Chefs ihn nach Puschel dem Eichhörnchen benannt hat.

Puschel steht seit 34 Jahren hinter dem Tresen in der Potsdamer Straße.
Puschel steht seit 34 Jahren hinter dem Tresen in der Potsdamer Straße.Berliner Zeitung/Markus Wächter

An diesem sonnigen Nachmittag sitzen die Gäste vor der Kneipe mit der schlauchigen Form. Von der Decke hängen Fußball-Schals in vielen unterschiedlichen Farben. Seit Puschel im Pub das Bier zapft, verfolgen hier Fußballfans gemeinsam die Spiele. Während sich Emmerling Notizen für die Spielkarten macht, lacht der hoch gewachsene Münchner über den Umstand, dass Puschel Bayern-München- und St.-Pauli-Fan ist. „Wir gucken alle zusammen“, sagt Puschel. „Das krieg ich schon hin, dass es da keinen Stress gibt.“

Emmerling will weiter zur nächsten Kneipe, Hardy’s Pub. Puschel ruft den Inhaber vorsichtshalber an, denn er weiß noch nichts von seinem Glück. Vor der Kneipe wirkt er angespannt. Von außen wirkt der Pub gepflegt, aber nicht unbedingt einladend, es gibt keinen Außenbereich und Tür und Fenster sind geschlossen. Auf rotem Grund steht in altdeutscher Schrift „Blues & Rock“. Als wir eintreten, scheint Emmerling aufzuatmen und sagt sofort: „Auf jeden Fall, oder?“, eine Antwort wartet er nicht ab. Damit meint er die Aufnahme ins Kiezkneipen-Quartett.

Hardy mag seinen Pub verraucht, aber sauber.
Hardy mag seinen Pub verraucht, aber sauber.Maria Häußler

An der Wand hängen Schallplatten, Gitarren und ein Porträt mit den Umrissen von Jimmy Hendrix. Neben beleuchteten Schnapsflaschen stehen gläserne Totenköpfe. Die Frau am Spielautomat dreht kurz den Kopf, um die neuen Gäste zu begutachten. Hinter dem Tresen steht Hardy, in Jägermeister-Shirt und Lederweste, seine tätowierten Arme führen zu Fingern voller Ringe mit großen Steinen. In der Hand hält der Inhaber ein Glas Whisky-Cola, das er bei der Begrüßung bedächtig hin und her schwenkt.

Die Dekoration wirkt etwas überladen und sorgt so für ein gefühltes Chaos, aber kein einziges Staubkorn ist zu sehen. Emmerling merkt das an, nachdem er die Kategorien fürs Quartett abgefragt hat. Stolz deutet Hardy auf ein eingerahmtes Blatt Papier an der Wand. Die Stadt hat ihm offiziell bestätigt, wie hygienisch es hier ist.

Auf dem Tresen kleben ausländische Münzen fest. Auf die Frage nach dem Grund antwortet Hardy: „Einer der Stammgäste hat der Bedienung immer das Trinkgeld geklaut.“ Hardy duckt sich ein wenig und streckt die Hand aus, um zu zeigen, wie. Er lacht laut auf, als er sich daran erinnert, wie der Dieb dann auch nach den festgeklebten Münzen griff.

Emmerling ist nun sichtlich begeistert. Seine Augen leuchten und er geht in der Kneipe umher, um alle Details besser in Augenschein nehmen zu können. Als er hinausgeht, sagt er zu sich selbst: „Wahnsinnstyp“.

Die Kneipen der zweiten Auflage:

Puschel’s Pub – Schöneberg
Willi Mangler – Schöneberg
Möve im Felsenkeller – Schöneberg
Hardy’s Pub – Schöneberg

Bären Eck – Neukölln
Mahlower Klause – Neukölln
Lenau Stuben – Neukölln
Stammtisch – Neukölln

Brüsseler Eck – Wedding
Brüsseler Tor – Wedding
Zum Kugelblitz – Wedding
Zum Magendokor – Wedding

Hally Gally – Prenzlauer Berg
Metzer Eck – Prenzlauer Berg
Willy Bresch – Prenzlauer Berg
Bürgerstuben – Prenzlauer Berg

Bierhaus Urban – Kreuzberg
Zur Mütze – Kreuzberg
Rote Rose – Kreuzberg
Henkel Stuben – Kreuzberg

Zur Glühlampe – Friedrichshain
Tanjas Kiezkneipe – Friedrichshain
Zum Friedrichshainer – Friedrichshain

B§ – Charlottenburg
Wilhelm Hoeck – Charlottenburg
Nante – Charlottenburg
Mittendrin – Charlottenburg

Gittis Bierbar – Mitte
Quell Eck – Mitte
Sophien Eck – Mitte

Kaputter Heinrich – Moabit
Zur Quelle – Moabit

Restauration zur Garderobe – Köpenick