Noch mehr Geld und noch mehr Sozialarbeiter: Das ist das Rezept, mit dem man in Berlin der Jugendgewalt beikommen will. Entsprechende Ankündigungen machte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) am Mittwoch vor gut hundert Vertretern von Presse, Funk und Fernsehen, die ihrer Einladung ins Rote Rathaus gefolgt waren.
Die Silvesternacht, in der etliche Jugendliche und Erwachsene – oft mit Migrationshintergrund – randaliert und Rettungskräfte und Polizisten angegriffen hatten, war nach Ansicht von Giffey eine Zäsur für die Arbeit, die in Berlin zu leisten sei.
Es gehe nicht nur darum, Maßnahmen der Strafverfolgung und der Ausstattung der Justiz voranzubringen. „Sondern wir haben auch die Aufgabe, uns mit den tiefer gehenden Problemen auseinanderzusetzen und genau hinzuschauen, wie es zu solchen Gewalteskalationen kommen konnte.“
Giffey hatte deshalb zu einem „Gipfel gegen Jugendgewalt“ ins Rote Rathaus geladen. Etwa 30 Teilnehmer waren am Vormittag zusammengekommen – aus den Senatsverwaltungen, den Bezirken, der Polizei sowie Sozialarbeiter. Giffey zufolge wurde gemeinsam festgestellt, dass in den letzten Jahren schon „unheimlich viel“ angeschoben worden sei. Aber man müsse darüber reden, was es darüber hinaus brauche und gute Vorhaben „in die Verstetigung zu bringen“.
Jetzt soll es bei Straftaten „klare Konsequenzen“ geben
In den kommenden Wochen sollen Maßnahmen erarbeitet und laut Giffey „finanziell untersetzt“ werden: im Bereich der Elternarbeit und Schulsozialarbeit und bei der außerschulischen Jugendsozialarbeit mit Streetworkern und mobilen Teams. Es soll auch mehr Jugendclubs geben.
In den Beratungen und in der abschließend veröffentlichten gemeinsamen Erklärung fielen viele Fachbegriffe. So sollen „passgenaue, zielgruppenspezifische und sozialraumorientierte Maßnahmen“ entwickelt werden. Auch von „Stärkung des Sozialraums“ ist die Rede. Das Quartiersmanagement und die Programme für Großsiedlungen, die Präventions- und Bildungsarbeit in sozial benachteiligten Stadtteilen sollen verbessert werden.
Nach der Silvesternacht in Berlin muss es im Roten Rathaus offenbar gleich etwas ganz Großes zu verkünden geben. pic.twitter.com/bVFEEV3zsy
— Andreas Kopietz (@KopietzAndreas) January 11, 2023
Bei Straftaten und Grenzüberschreitungen soll es jetzt klare Konsequenzen geben. „Geeignete Fälle einfacher Kriminalität sollen über entsprechende Anträge dem beschleunigten Jugendgerichtsverfahren zugeführt werden“, heißt es etwa in der Erklärung. Durch eine intensive Netzwerkarbeit werde sichergestellt, dass eine angemessene Reaktion auf die jeweilige Tat erfolge. Dabei werde auf das in Berlin entwickelte „Neuköllner Modell“ zurückgegriffen, bei dem Staatsanwaltschaft, Polizei und Gerichte besonders eng kooperieren.
7384 vereinfachte Jugendverfahren in den vergangenen vier Jahren
In einer danach verschickten gesonderten gemeinsamen Mitteilung erklärten die Berliner Strafjustizbehörden, für die Justizsenatorin Lena Kreck von der Linkspartei zuständig ist: Das „Neuköllner Modell“ werde schon seit 2010 stadtweit angewandt. In Fällen des vereinfachten Jugendverfahrens lägen zwischen Anzeigenerstattung und Urteil etwa vier bis acht Wochen. Von 2018 bis 2022 seien 7384 solcher vereinfachter Jugendverfahren geführt worden.
„Die einen Rechtsstaat auszeichnende Strafverfolgung umfasst eine Verfahrensführung, die mit der bestmöglichen Beschleunigung, aber auch der erforderlichen Sorgfalt, zu fairen, durchdachten Einzelfallentscheidungen führt“, ließ etwa Generalstaatsanwältin Margarete Koppers mitteilen. „Die Forderung nach lediglich ‚schneller‘ und ‚konsequenter‘ Strafverfolgung verkürzt diese Anforderungen in besorgniserregender Weise.“
Die Pressekonferenz im Roten Rathaus war im aktuellen Wahlkampf vor allem Giffeys Auftritt. Sie hatte außerdem noch die Geschäftsführerin von Gangway, eines Vereins für Straßenarbeit, sowie den Leiter einer Vätergruppe des Vereins Aufbruch Neukölln und einen Polizisten mitgebracht. Auch sie gaben vor den Mikrofonen zufriedene Statements über den Gipfel gegen Jugendgewalt ab.
Wahlkämpfer kritisieren den Wahlkampf der anderen
Der Gipfel soll „der Beginn eines Arbeitsprozesses“ sein. Die federführenden Senatsverwaltungen sollen nun konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendgewalt und Stärkung der Prävention erarbeiten sowie der „finanziellen Untersetzung“ – zu Deutsch: den entsprechenden Kostenvoranschlägen. Am 22. Februar gibt es die nächste Sitzung.
Wie die ganze zusätzliche Sozialarbeit bezahlt werden soll, ist noch unklar. Der Senat sei sich einig, dass es darum gehe, in einer fachlichen Debatte geeignete Mittel und Maßnahmen zu identifizieren, formuliert ein Sprecher von Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) vorsichtig. „Gegebenenfalls ist dann auch zu prüfen, welche zusätzlichen Ressourcen dafür zur Verfügung gestellt werden können. Die Diskussionen sollten aber in dieser und nicht in der umgekehrten Reihenfolge geführt werden.“
Naturgemäß kam von der Opposition Kritik. „Der Gipfel ist purer Aktionismus“, erklärte etwa der CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner. „Vier Wochen vor der Wahl entdeckt Frau Giffey plötzlich, dass es Jugendgewalt in Berlin gibt.“ Und sein innenpolitischer Sprecher Frank Balzer, der vom Senat die Vornamen der festgenommenen Randalierer wissen will, erklärte: „Mit dieser Koalition rückt ein friedlicheres Silvester in unserer Stadt in weite Ferne.“





