Berlin-Klimafreundlich unterwegs: Das Berliner Nachtzugnetz wächst weiter – auch in Richtung Süden. Der tschechische Zugbetreiber Regiojet bestätigte, dass er vom kommenden Jahr an über Nacht von Berlin in die Mittelmeerländer Kroatien und Slowenien fahren will. „Dadurch bekommt die deutsche Hauptstadt Direktverbindungen nach Zagreb und Ljubljana“, sagte Firmensprecher Aleš Ondrůj der Berliner Zeitung. Mit möglichst preiswerten Tickets verfolge Regiojet eine andere Philosophie als andere Nachtzugbetreiber. Zudem sei weiterhin geplant, von Berlin aus die Niederlande und Belgien anzusteuern, erklärte er. Zuletzt war das Berliner Nachtzugnetz im Juni erweitert worden – mit einer Route nach Dänemark und Schweden. Doch zumindest bislang sei dort die Zahl der Fahrgäste geringer als erwartet, sagte Marco Andersson von Snälltåget.
Die neue Verbindung in den Süden soll zum Fahrplanwechsel im Dezember 2022 starten. „So haben wir es bei den zuständigen Behörden angemeldet“, teilte Regiojet-Sprecher Ondrůj mit. Nach dem jetzigen Plan, der sich aber noch ändern kann, soll der neue Nachtzug mit der Nummer RJ 1071 täglich um 18.43 Uhr am Berliner Hauptbahnhof abfahren. Über Dresden, Prag und Wien geht es nach Graz in der Steiermark, wo die Ankunft für 6.08 Uhr vorgesehen ist, sowie ins slowenische Maribor (7.00 Uhr). Ein Teil des Zuges rollt dann weiter nach Ljubljana, mit einem geplanten Ankunft um 9.20 Uhr. Der andere Zugteil endet um 9.30 Uhr im prachtvollen Hauptbahnhof von Zagreb.
Auch Fahrräder sollen mitgenommen werden
Der Gegenzug mit der Nummer RJ 1070 soll Zagreb um 19.15 Uhr und Ljubljana um 19.20 Uhr verlassen. Um 10.18 Uhr, so jedenfalls der derzeitige Plan, käme er wieder in Berlin an. Laut Anmeldung soll der neue Nachtzug Sitz-, Liege- und Schlafwagen haben. „Wir investieren laufend in unsere Wagenflotte“, hieß es bei Regiojet. Speisen und Getränke soll es ebenso geben wie die Möglichkeit, Rollstühle und Fahrräder mitzunehmen.
Eine direkte Verbindung über Nacht von Berlin nach Slowenien und Kroatien: Hat es so etwas schon jemals gegeben? Schwer zu sagen, Bahnfans ist nichts dergleichen bekannt. Ein Zug, der tagsüber von Berlin nach Ljubljana und Zagreb verkehrte, stand dagegen schon mal in den Fahrplänen. Doch dafür brauchten die Fahrgäste Sitzfleisch: Der Eurocity Mimara brauchte für die Strecke fast 17 Stunden. Es sei auf jeden Fall bequemer, die mehr als 1200 Kilometer über Nacht im Liegen zurückzulegen, meinte Aleš Ondrůj. Bei Regiojet sieht man mehrere Zielgruppen für das geplante neue Angebot. So leben und arbeiten viele Kroaten in Berlin. Um die Verbindung für sie zusätzlich attraktiv zu machen, erwägt man bei Regiojet, den Zuglauf nach Slavonski Brod zu verlängern. Und dann sind da die vielen Touristen, die diesen Teil des Mittelmeergebiets besonders schätzen. Für sie soll es gute Anschlüsse an die Küste geben, hieß es bei Regiojet.

Einen Regiojet in die Hafenstadt Split, von der aus Fähren in die kroatische Inselwelt starten, gibt es schon. Der Nachtzug rollt von Prag über Brünn, Bratislava und Budapest an die Küste. Lange Kontrollen beim Grenzübertritt zwischen Ungarn und Kroatien bringen derzeit oft den Fahrplan durcheinander. Doch aus ökonomischer Sicht zeigt sich der Betreiber zufrieden. „Bei uns bekommen die Fahrgäste bestmöglichen Service zu günstigen Preisen“, sagte Ondrůj. Bei der Tarifgestaltung unterscheide sich Regiojet vom österreichischen Unternehmen Nightjet, das derzeit der größte Nachtzugbetreiber in Europa ist. Während sich Regiojet an Fernbusfahrpreisen orientiere, könne eine Reise im Nightjet zumal im Schlafwagen schon recht kostspielig sein, hieß es.
Das Ideal bei Regiojet seien 15-Wagen-Züge, die mit 650 Fahrgästen gut ausgelastet seien, so der Sprecher. „Das wünschen wir uns auch für die neue Verbindung nach Berlin.“
Wie berichtet wird das tschechische Bahnunternehmen auch den angekündigten neuen Nachtzug betreiben, der Oostende (Abfahrt voraussichtlich gegen 18 Uhr), Brüssel (19.30 Uhr) und Amsterdam (22.30 Uhr) mit Berlin (6 Uhr) und Prag (10.30 Uhr) verbinden soll. Ein weiterer Partner ist die belgische SNCB. Der European Sleeper, den Nachtzug-Enthusiasten aus Niederlanden und Belgien ins Leben gerufen haben, soll im Frühjahr 2022 den Betrieb aufnehmen – so der aktuelle Stand. Am 23. August werde der endgültige Fahrplan vorliegen, sagte Elmar van Buuren von European Sleeper. „Berlin ist eine wichtige Destination für uns.“
Fahrzeit nach Dänemark und Schweden wird verkürzt
Seit Ende Juni bereits in Betrieb ist der Nachtzug, der Berlin und Hamburg mit der dänischen Hauptstadtregion sowie mit den schwedischen Städten Malmö und Stockholm verbindet. Allerdings wirke sich die Pandemie negativ aus, bedauerte man beim schwedischen Zugbetreiber Snälltåget. Wegen der Covid-Beschränkungen reisten viele schwedische Familien in diesem Jahr nicht nach Deutschland, sagte Sprecher Marco Andersson. Dabei sei der neue Nachtzug vor allem als Angebot für Touristen geplant worden. Gleisbauarbeiten in Deutschland und Dänemark hatten ebenfalls negative Effekte auf das Fahrgastaufkommen. So lautet die erste Bilanz: „Die Zahl der Reisenden war niedriger als erwartet“, so Andersson. Immerhin: Die Fahrten waren bislang pünktlich, und im August steige die Nachfrage. Außerdem liege die Zahl der Fahrgäste aus Deutschland höher als 2019, als Snälltåget schon mal zwischen Berlin und Stockholm gefahren war.
Um den Zug nach Norden noch attraktiver zu machen, werden weitere Wagen mit Wlan, neuen Matratzen und Vorhängen ausgestattet. Auch beim Fahrplan gebe es Verbesserungen. So wird der Zug im September und Oktober abends bis zu zweieinhalb Stunden später in Berlin losfahren als heute. 2022 soll die Fahrt statt wie heute gegen 19 Uhr generell um 21 Uhr beginnen – so jedenfalls der vorläufige Fahrplan.
Rund 25 Prozent der Fahrgäste reisen in den Sitzwagen, das sei mehr als erwartet, so der Sprecher. Ein Ticket pro Weg ist dort ab 49 Euro zu haben. Die übrigen Reisenden nutzen die Liegewagen, in denen aber wegen Corona nur ganze Abteile gebucht werden können. Schlafwagen gebe es in dem Zug nicht, und ihr Einsatz sei derzeit auch nicht geplant. Ganz ausschließen für die Zukunft wolle man dies aber nicht, sagte Andersson. Rund 70 Prozent steigen in Berlin ein oder aus, die anderen in Hamburg.
„Die Fahrgäste kommen nicht von alleine, da muss man als Betreiber schon etwas machen“, kommentierte Peter Cornelius von Pro Bahn. „Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, dass man eine deutsche Website braucht, wenn man Fahrgäste von Deutschland nach Schweden haben will, aber es bleibt offenbar weiterhin bei dem deutschen Text auf der englischen Website.“ Auch wer am Schalter oder im Reisebüro bucht, erlebt Probleme: „Man kann zwar im Agenturbuchungssystem der DB den Nachtzug nach Stockholm finden, aber mögliche Buchungen gestalten sich als äußerst schwierig“, so Cornelius zur Berliner Zeitung.
Das waren noch Zeiten: Vor dem Zweiten Weltkrieg konnte man vom Anhalter Bahnhof ohne Umsteigen über Nacht nach Cannes an der Côte d’Azur, Rom und Neapel fahren. Vom Alexanderplatz ging es zum Beispiel nach Wiesbaden und Den Haag, vom heutigen Ostbahnhof nach Ostende und Paris, ebenfalls im Schlafwagen. Selbst weit nach der Jahrtausendwende gab es noch diverse Nachtzüge, die von Berlin aus unter anderem Paris, Amsterdam, Kopenhagen, Verona und Krakau ansteuerten. In einem durchlaufenden Wagen konnte man vom Bahnhof Lichtenberg sogar ins sibirische Nowosibirsk reisen – mit mehr als 5600 Kilometer sicherlich die längste Direktverbindung auf der Schiene, die in Deutschland begann.
Enorme Kostennachteile für den internationalen Bahnverkehr
Bei Bahnreisen wird pro Platz weniger klimaschädliches Kohlendioxid frei als bei Flugreisen – dort kann der Ausstoß siebenmal so hoch sein. Doch nicht nur Billigflieger, sondern auch Fernbusse machten den Nachtzügen immer mehr Konkurrenz.




