Es ist nicht leicht, im Sommer 2023 jemanden zu finden, der gern von seinem letzten Geflügel-Döner erzählt: Die meisten sagen, sie bestellen nur Halloumi oder einen Gemüse-Döner. Erst nach einer Weile sagt eine 19-jährige Moabiterin: „Ich hatte vor kurzem einen Hähnchen-Döner, er war ziemlich trocken.“ Dann überlegt sie und ergänzt noch: „Da war so ein seltsamer Knorpel drin, aber nichts Schlimmes, glaub ich.“
Der Hähnchen-Döner ist bei vielen in Verruf geraten. Es häufen sich derzeit in Europa schwerwiegende Salmonellenerkrankungen: in Deutschland, Belgien, Frankreich, Großbritannien, Irland und den Niederlanden. In Österreich allein seien schon mehr als 25 Menschen erkrankt, eine Person ist dort sogar an den Folgen einer Salmonellenerkrankung gestorben. Laut der österreichischen Gesundheitsbehörde geht die Gefahr speziell von aus Polen importierten, fertig zubereiteten Hähnchen-Dönerspießen aus, die in ganz Europa verwendet werden. In Deutschland seien es bereits zehn Fälle, teilt das Robert-Koch-Institut mit, vier davon in Berlin.
Salmonellen: „Schwachstellen im System der Lebensmittelüberwachung“
Salmonellen sind auf der ganzen Welt verbreitet und können zu teils schweren Krankheitsbildern mit Durchfall, Erbrechen und Fieber führen. Die polnischen Spieße wurden durch die österreichischen Behörden mit den Erkrankten in Verbindung gebracht. Laura Knauf von Foodwatch e.V. ist alarmiert: „Der Fall zeigt einmal mehr die Schwachstellen im System der Lebensmittelüberwachung.“ Sie bemerke seit Monaten im europäischen Behörden-Schnellwarnsystem Meldungen über Salmonellenfunde bei polnischen Hähnchen-Produkten. „Doch Rückrufe oder öffentliche Warnungen bezüglich konkreter Produkte fehlen bisher offenbar.“ Foodwatch fordert, dass die Öffentlichkeit besser über Salmonellenbefall aufgeklärt wird, aber das passiere nur selten oder zu langsam.
Pro Tag werden in Berlin rund 160.000 Döner verkauft, wie viele davon aus Hähnchenfleisch sind, ist unklar. Berlin ist mit durchschnittlich 18 Dönerbuden pro 100.000 Einwohner ganz klar Döner-Hauptstadt. Laut dem Experten Ibrahim Ferah gibt es rund 2500 Läden in Berlin. Diese werden von mehr als 30 verschiedenen Produzenten beliefert. Deutschlandweit ist der Markt circa 2,4 Milliarden Euro schwer, das sind rund zwei Drittel des europaweiten Umsatzes.
Deutsches Kultgericht in Polen produziert
Die Dönerspieße – auch die mit Hähnchen – werden jetzt wegen der Lohnkosten größtenteils in Polen produziert, das Fleisch kommt aus den Niederlanden, die Produktionsfirmen sind überwiegend deutsch. Es ist ein europäisches Erfolgsprodukt mit immer mehr internationaler Anerkennung. Mit Saudi-Arabien, England und sogar der Türkei werden neue Märkte für den Döner-Kebab, den „Drehspieß“ aus Berlin erschlossen. Das türkisch-deutsche Kultgericht gilt als günstiger Sattmacher, doch schon lange kämpfen Vertreter der Branche um ein besseres Image für den Döner. Seit dem letzten Gammelfleischskandal 2007 hat sich einiges geändert, das will man geltend machen. Droht jetzt die nächste Infektionswelle, diesmal vom Geflügel-Döner?
Mehrere Eigentümer von Dönerimbissen in Neukölln, Kreuzberg und Moabit sagen gegenüber der Berliner Zeitung, dass sie keinen Rückgang an Kundschaft feststellen konnten. Die Alternative zum Lammfleisch-Döner ist populär, die „Chicken-Variante“ wird auch von vielen Herstellern als „kalorienbewusste Option“ beworben.
Neco vom Döner-Turm an der U-Bahn-Station Turmstraße in Moabit ist entspannt. Sein Laden benutze keine Fleischspieße aus Polen, sagt er. „Wir haben so was nicht nötig.“ Er zeigt auf ein Zertifikat, das an einem kleinen Stand neben der Theke hängt. Dort sollen die genauen Zutaten und die Herkunft des Dönerfleisches nachgewiesen sein. Neco verkauft seit zwölf Jahren Döner in Berlin und hat noch nie von Gesundheitsproblemen seiner Kunden gehört.




