Die Wand der kleinen Manege des Tempodrom ist mit Bildern und Werbeplakaten des Circus Roncalli aus vielen Jahren bespannt. Da kann man es sehen: Als der Grafiker und ehemalige Art Director des österreichischen Nachrichtenmagazins Profil, Bernhard Paul, in den 1970er-Jahren den Zirkus gründete, gehörten eine Weile noch die typischen Wildtiere zum Programm, Löwen und Bären etwa. Vor bereits mehr als dreißig Jahren verzichtete Roncalli jedoch auf die Dressur dieser Wesen und zeigte neben Artistik und Clownerie nur noch Nummern mit Pferden oder Hunden, also ohnehin domestizierten Tieren.
Seit 2018 ist der Zirkus tierfrei und nennt sich „artgerecht“, mit Betonung auf „Art“ wie Kunst. Und während veganes Essen oft Empörung hervorruft („Ich lasse mir meine Currywurst nicht nehmen!“), hat Roncalli auch ohne Sägespäne und Wiehern weiterhin viel Zulauf und erlebte 2022 sein erfolgreichstes Jahr. Die Bilanz für 2023 ist noch nicht berechnet, denn die Berliner Spielzeit hat gerade erst begonnen.
Nach dem Trapez-Unfall zurück in die Manege
Was die Menschen da gemeinsam können, ist zuweilen und auch sehr bewusst lustig, wie sich das für einen Zirkus gehört. Immer neu verblüffend sind mehrere artistische Nummern, etwa wenn ein Mann erst mit einem Einrad seine Runden dreht, sichtbar mühelos auf drei übereinander montierten Rädern fahren kann und dann mittels Leiter und Seil auf eine Konstruktion steigt, die aus 15 Rädern besteht – und auch damit vorankommt. Begeisterung löst die Artistin Silke Pan aus, die auf einem Podest auf Händen balanciert. Hinauf hat sie sich helfen lassen, sodann die Beine mit einer Stange fixiert: Seit einem Trainingsunfall mit dem Trapez 2007 ist sie querschnittsgelähmt. Der Para-Radsport mit dem Handbike reichte ihr nicht, sie wollte wieder in die Manege, sie kann es! Und die Acero-Brüder aus Kolumbien tragen sich nicht nur gegenseitig auf Händen, sie schaffen sogar Kopf-auf-Kopf-Figuren.


