Rückkehr ins Amt

Erster Termin nach Corona: Anne Spiegel besucht geflüchtete Kinder

Die Familienministerin steht wegen Chatnachrichten unter Druck und war wegen Corona nicht im Dienst. Nun ist sie zurück und dankt der Berliner Chabad-Gemeinde.

Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) trifft Rabbiner Yehuda Teichtal.
Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) trifft Rabbiner Yehuda Teichtal.dpa/Jörg Carstensen

Berlin-Die Ministerin sieht blass aus, sehr ernst, als sie in die Lobby eines Hotels am Kudamm zu den Mikrofonen läuft. Es ist ihr erster Auftritt seit Wochen. Sie wird von dem Rabbiner Yehuda Teichtal begleitet, den sie am Nachmittag hier besucht hat und dem sie nun öffentlich danken will.

Für die schnelle, „sehr unbürokratische“ Hilfe, für seinen großen Einsatz und den seiner Gemeinde im Krieg in der Ukraine, der „unerträgliches, unermessliches Leid in Europa“ anrichtet, wie Anne Spiegel sagt.

Spiegel ist Bundesfamilienministerin, in den vergangenen Wochen, den ersten des Krieges, vor dem bis heute 3,5 Millionen Menschen geflohen sind, die Hälfte davon Kinder, war sie in der Öffentlichkeit kaum zu sehen oder zu hören. Sie war an Corona erkrankt, hatte ihr Ministerium mitgeteilt. Nur einen einzigen Auftritt absolvierte sie: Vor einem Untersuchungsausschuss zur Flut im Ahrtal. Die Politikerin der Grünen hat mit Vorwürfen zu kämpfen, die mit ihrem letzten Job zu tun haben. Sie war Umweltministerin in Rheinland-Pfalz, als die Jahrhundertflut das Ahrtal verwüstete und 134 Menschen starben. Anne Spiegel, so legen es Chatnachrichten von ihr aus jener Zeit nahe, soll sich, während das Wasser noch stieg, mehr um ihr Image als um die Bewältigung der Naturkatastrophe gekümmert haben.

Die Vorwürfe sind nicht ausgeräumt. Aber an diesem Nachmittag geht es nicht um den vergangenen Sommer. Es geht um die Gegenwart. Um den Krieg in der Ukraine und die Menschen, die vor ihm nach Deutschland geflohen sind. Wieder um Krisenmanagement, wieder auch darum, den richtigen Ton zu treffen.

Die jüdische Chabad-Gemeinde hat in einer beispielhaften Hilfsaktion, die von Woche zu Woche größer zu werden scheint, schon fast 350 Menschen, die meisten davon Kinder, aus der schwer umkämpften Südukraine, vor allem der Stadt Odessa, nach Berlin geholt. In das Hotel am Kudamm. Auf dem Hof spielen Mädchen Ball, durch die Lobby turnt ein Vorschüler mit Kippa, bevor die Ministerin vor die Presse tritt.

Drei große Gruppen kamen aus Odessa schon nach Berlin

Anne Spiegel hat Kinder aus der Gruppe besucht, „es war bewegend, das jüngste ist erst acht Wochen alt“, sagt sie. „Tuvia“, sagt Yehuda Teichtal, so heiße der Junge. Er habe geschlafen, sagt Spiegel. Ein Junge namens Gabriel habe ihr etwas geschenkt, sie hält eine bunt verzierte Maske in den Händen. „Das ist von Herz zu Herz, was sich hier abspielt.“

Yehuda Teichtal, Chef der Chabad-Gemeinde, hat die Rettung der Kinder, Betreuer, Mütter koordiniert, drei großen Gruppen kamen seit Kriegsbeginn in Berlin an. Teichtal stand nachts mit vor dem Hotel, als Kinder und Frauen müde aus Bussen kletterten, nach jeweils zweieinhalb Tagen Fahrt. Ein Teil der Kinder sind Waisen. Inzwischen seien auch ein paar Alte gekommen, einige Männer. Die Kinder lernen schon im Hotel, halbtags, vor allem Deutsch, man sorge für eine Tagesstruktur und dafür, dass sie auch spielen und Kinder sein dürfen. Wenn sie in Deutschland bleiben, so werde man ihnen helfen, sich zu integrieren und ihre jüdische Identität zu bewahren. Teichtal wirkt unermüdlich in dieser Krise, er hatte den Bundespräsidenten Steinmeier und dessen Frau zu Besuch, hat mit den Kindern beim Purim-Fest getanzt. „Wir beobachten die Lage“, sagt er, „wir stehen bereit“.

Auch Teichtal dankt der Ministerin, für die „konstruktive Zusammenarbeit“. Er nennt ihren Besuch eine „Quelle der Ermutigung“. 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und den deutschen Verbrechen sei das Land „ein sicherer Hafen für Menschen, auch für jüdische Menschen“. Das sei ein positives Zeichen, sagt Teichtal.

Die Ministerin wird gefragt, ob sie ab jetzt eine stärkere Rolle in der Krise haben werde.  Sie antwortet, indem sie von ihrer Krankheit spricht. Positiver PCR-Test am Tag des Kriegsausbruchs, „auch heftige Symptome“, längerer Verlauf, am Montag Rückkehr in den Dienst. „Meine Mitarbeitenden haben mit Hochdruck gearbeitet“, sagt sie. Auch sie möchte die historische Verantwortung Deutschlands unterstreichen.

Noch eine Frage darf gestellt werden, „die letzte“, sagt Anne Spiegel schnell. Eine Reporterin fragt nach Boris Romantschenko, der den Holocaust überlebt hatte, mehrere deutsche KZs, und jetzt im Alter von 96 Jahren bei einem russischen Bombenangriff auf Charkiw ums Leben kam. Ihr Ministerium kümmere sich unter anderem um die Evakuierung von Holocaust-Überlebenden aus der Ukraine, sagt Anne Spiegel, auch hieran arbeite man „mit Hochdruck“. Dann eilt sie davon, immer noch blass und ernst, mit der bunt bemalten Maske in den Händen.