Am Mittwochmorgen ist es zu einer polizeilichen Razzia gekommen, wie sie nur selten passiert: Die Büroräume einer Berliner Anwaltskanzlei in Mitte wurden durchsucht, Festplatten und andere Datensätze beschlagnahmt. Der Anwalt Kilian L. (53) soll, zusammen mit einem seiner Mandanten, einem Herrn Martin I. (41) aus Hannover, insgesamt rund 346.000 Euro ergaunert haben – durch Abmahnbetrug und Erpressung. „Betroffen sind Einzelpersonen und Kleingewerbetreibende“, sagte Sebastian Büchner, der Sprecher der Berliner Generalstaatsanwaltschaft, dieser Zeitung. Gemeint sind etwa Blumenläden, Friseursalons und Künstler.
Alle diese Betroffenen haben offenbar zwei Dinge gemeinsam: Erstens haben sie für ihre berufliche oder persönliche Homepage wohl nur eine kostengünstige, standardisierte Form verwendet. Und zweitens benutzten sie hierfür Schriftarten, die von Google kostenfrei zur Verfügung gestellt werden, sogenannte Google-Fonts. Der Haken: Internetseiten, auf denen solche Schriftarten verwendet werden, übermitteln die IP-Adressen ihrer Seitenbesucher automatisch an die Firma Google in den USA – und das meist ohne deren Kenntnis.
Potenziell also ein Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen. So hatte Anfang dieses Jahres auch das Landgericht München in einem in juristischen Kreisen sehr umstrittenen Urteil entschieden. Aus diesem Umstand nun entwickelte der Anwalt L. eine Betrugsmasche. Er programmierte eine Software, die eigenständig das Netz nach Websiten durchforstete, die solche Google-Fonts benutzten. In einem zweiten Schritt besuchte eine wiederum eigens programmierte Software die entsprechende Website und gab sich dabei als der Mandant Herrn I. aus Hannover aus, der angeblich ein Repräsentant einer ominösen „Interessengemeinschaft Datenschutz“ sein soll.
Für Herrn I. mahnte dann der Anwalt L. die Betreiber der entsprechenden Website ab und machte Schadensersatz wegen Persönlichkeitsrechtsverletzungen geltend. Er drohte mit einem kostspieligen Gerichtsverfahren. Als Ausweg bot der Anwalt eine Vergleichsmöglichkeit an: Für die Zahlung von pauschal 170 Euro werde Herr I. auf die Geltendmachung seiner Ansprüche verzichten.
Die berühmteste Abmahnwelle richtete sich gegen RedTube-Nutzer
In Verbraucherschutzkreisen ist die Masche des Anwalts L. bereits seit längerem bekannt. Über 10.000 solcher Abmahnungen solle er bereits versendet haben, heißt es auf der Seite anwalt.de. Die Berliner Staatsanwaltschaft spricht von mindestens 2418 Fällen, in denen etwa 2000 Menschen die geforderten 170 Euro überwiesen.
Offenbar versuchten Anwalt L. und Mandant I. auch auf gerichtlichem Weg ihre Masche zu untermauern. Erst am vergangenen Dienstag wurde vom Amtsgericht Charlottenburg eine Klage von I. abgelehnt. Einen Tag später stand vor den Räumen seines Anwalts die Berliner Polizei.


