Petition „Keine Bühne für Rammstein“

Rammstein: Casting-System kann als sexueller Missbrauch bezeichnet werden

Anwälte von Till Lindemann ziehen Unterlassungsantrag gegen Kritiker zurück. Sie bestreiten aber weiterhin die Vorwürfe gegen den Sänger.

Der Rammstein-Sänger Till Lindemann auf der Frankfurter Buchmesse im Jahr 2017
Der Rammstein-Sänger Till Lindemann auf der Frankfurter Buchmesse im Jahr 2017imago images

In der Debatte um den Rammstein-Sänger Till Lindemann gibt es nun ein wenig mehr rechtliche Klarheit. Bislang sind die Anwälte des Sängers gegen etliche Medien vorgegangen und haben diese aufgefordert, bestimmte Formulierungen in Berichten zum viel diskutierten Rekrutierungssystem von Frauen für die Partys des Sängers zu ändern. Nun haben die Anwälte der Kanzlei Schertz-Bergmann einen Unterlassungsantrag gegen den Verein Campact zurückgezogen. Doch die Gründe stellen beide Seiten sehr unterschiedlich dar.

Der Verein hatte die Petition „Keine Bühne für Rammstein“ auf seiner Petitionsplattform We Act gestartet und wollte damit erreichen, dass die drei Rammstein-Konzerte im Juli im Berliner Olympiastadion abgesagt werden. Das scheiterte bekanntermaßen.

In der Petition hieß es: „Solange die Vorwürfe nicht geklärt sind, sind Konzerte der Band kein sicherer Ort für Mädchen und Frauen.“ Die Anwälte wollten erreichen, dass zentrale Formulierungen der Petition geändert werden.

Nach Angaben von Campact haben Lindemanns Anwälte den Unterlassungsantrag gegen die Petition nun zurückgezogen. Zuvor habe es einen rechtlichen Hinweis des Landgerichts Berlin gegeben. Felix Kolb, Geschäftsführender Vorstand von Campact, teilte der Berliner Zeitung mit: „Das Landgericht hatte den Parteien zuvor den Hinweis erteilt, dass man das Rekrutierungssystem als sexuellen Missbrauch bezeichnen darf.“ Laut Gericht handle es sich bei dem Begriff nicht um einen konkreten Straftatbestand.

Was könnten die Gründe sein?

Der Sänger Till Lindemann und die Band bestreiten die juristisch relevanten Vorwürfe, sprechen von einer reinen Verdachtsberichterstattung ohne Beweise und gehen rechtlich gegen bestimmte Formulierungen vor. Der Grundtenor der Vorwürfe lautet: Vor Konzerten soll es angeblich eine Art Casting-System gegeben haben, bei dem sich Frauen bewarben oder „rekrutiert“ wurden, um angeblich in Konzertpausen oder bei Partys danach mit Lindemann zu feiern oder auch Sex zu haben.

Protest in Berlin: vor dem Konzert am 15. Juli im Berliner Olympiastadion
Protest in Berlin: vor dem Konzert am 15. Juli im Berliner OlympiastadionStefan Zeitz/imago images

Kolb sagte: „Mit großer Freude blicken wir auf den Ausgang des Verfahrens. Der Rückzug der Kanzlei kommt damit einem Eingeständnis einer Niederlage gleich.“ Darüber hinaus sei der Rückzug ein wichtiges Signal für alle, die sich zu den Vorfällen bei Rammstein-Konzerten öffentlich geäußert hätten. „Und es ermutigt hoffentlich auch Menschen in anderen Fällen, mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit zu gehen.“ Die Strategie, „sämtliche Kritiker:innen mundtot zu machen“, sei gescheitert.

Der Medienrechtler Thorsten Feldmann von der Kanzlei JBB Rechtsanwälte, der Campact vertritt, sagte zu der Entscheidung von Lindemanns Anwälten, sie hätten das Recht, ihren Antrag jederzeit zurückzunehmen. „Dass Till Lindemann jedoch nach dem gerichtlichen Hinweis, der uns Recht gibt, von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, zeigt, dass auch er seinem eigenen Antrag keine Erfolgsaussichten mehr einräumt.“ Der Anwalt behauptet: „Für mich ist klar: Lindemann versucht, dadurch eine für ihn nachteilige gerichtliche Entscheidung zu verhindern, die Signalwirkung für andere Verfahren in der Causa Rammstein hätte.“

Die Anwälte des Sängers nennen andere Gründe

Die Anwälte von Till Lindemann sehen die Sache ganz anders: Sie sagen, der Antrag sei nicht zurückgenommen worden, weil er keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte, sondern weil „ein effektiver Rechtschutz nicht mehr erzielbar“ gewesen sei, teilten sie der Berliner Zeitung mit. Gemeint ist: Die Konzerte fanden Mitte Juli statt, das Gericht habe sich erstmals dazu Ende Juli geäußert. Es war einfach zu spät für eine gerichtliche Entscheidung zu einem längst vergangenen Konzert, deshalb „sprachen prozessökonomische Gründe dafür, das Verfahren nicht weiter zu betreiben“.

Inhaltlich bestreiten die Anwälte die Vorwürfe, die in der Petition erhoben werden. „In der Sache bleiben wir dabei, dass die Begründung des Aufrufs, unser Mandant habe reihenweise und systematisch junge Frauen sexuell missbraucht, rechtswidrig ist, weil es – wie die bislang geführten Verfahren belegen – für diesen Vorwurf keinerlei Belege gibt“, teile die Kanzlei Schertz-Bergmann mit.

Die Petition war an die Berliner Sportsenatorin Iris Spranger (SPD), an Kultursenator Joe Chialo (CDU) sowie den Geschäftsführer des Olympiastadions gerichtet. In der Petition hieß es, dass Berlin nicht zum Ort für sexuellen Missbrauch werden dürfe, der bei Konzerten reihenweise und systematisch stattgefunden haben soll. „Wir feiern keine Täter“, hieß es.

Die Petition hatten bis 14. Juli, also den Tag vor dem ersten Konzert, knapp 75.000 Menschen unterschrieben.

Senatorin Spranger ließ zwar After-Show-Partys in Berlin in öffentlichen Einrichtungen verbieten. Aber auch in Berlin wurde, genau wie auf der gesamten Europatour, kein Konzert verboten. Vor dem Olympiastadion gab es Demos vor Beginn der Konzerte. Aus Protest warfen unbekannte Täter die Scheiben eines Büros der Band in Berlin ein.

Die Band Rammstein hat vor einigen Tagen ihre Europa-Tour mit 20 Konzerten am 4. August in Brüssel beendet, fast alle Konzerte waren ausverkauft. Die Berliner Band steht momentan mit vier Alben in den Top-100-Charts.