In einer klaren, gut hörbaren Stimme bestätigt Horst Mahler auf Anfrage der Richterin Müller zu Beginn des Prozesses seinen Namen, sein Geburtsdatum und seinen Geburtsort. „Ihre Staatsangehörigkeit?“, fragt die Richterin. Eine kleine Pause, Mahler räuspert sich. „Deutsches Reich“, antwortet er. Mehrere Männer in der Ecke kichern.
Der Beginn dieses Prozesses wurde mit Spannung erwartet. Vor dem Saal 5 des Landgerichts Potsdam war die Polizeipräsenz deutlich größer, die Kontrollen deutlich strenger, als es normalerweise für einen Gerichtstermin an einem Dienstagmorgen der Fall ist. Jacken, Taschen und elektronische Geräte müssen im Schließfach bleiben; jeder wird vor erneutem Betreten des Saals durchsucht. Die Jalousien sind heruntergelassen; fast unnötig an diesem ohnehin so grauen Tag. Und in der sitzungspolizeilichen Anordnung zum Termin ist sicherheitshalber das Tragen von Waffen explizit untersagt.
Grund für die Maßnahmen ist der heutige Angeklagte: Horst Mahler. Der Mitbegründer der linksextremistischen Roten Armee Fraktion, Mitglied und einstiger Anwalt der rechtsextremistischen NPD, Antisemit und mehrfacher Holocaustleugner steht heute erneut wegen Volksverhetzung vor Gericht. Es geht um elf Texte, die er zwischen 2013 und 2017 geschrieben und im Internet oder als Rundmail verschickt haben soll: Darin soll er die Willkürherrschaft der NS-Zeit gerechtfertigt und den Holocaust geleugnet und verharmlost haben, so die Staatsanwaltschaft Potsdam.
Bereits im Jahr 2009 wurde Mahler wegen 15 Fällen von Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt, im Oktober 2020 wurde er aus der Haft entlassen. Jetzt erkrankte der 86-Jährige an Diabetes und anderen Folgeerkrankungen; ein Unterschenkel musste während seiner Haft amputiert werden. Er wird im Rollstuhl von einem Sanitäter in den Gerichtssaal gebracht. Aber er zeigt sich selbstbewusst.
Applaus im Saal von Mahler-Unterstützern
Etwa zwölf Unterstützer von Horst Mahler sind neben der Presse im Saal, als er hineingebracht wird. Es gibt für ihn Beifall von zwei Männern, die in der ersten Reihe des Sitzbereichs stehen. Die Presse macht Fotos von Mahler, der ganze Rummel scheint ihn nicht zu stören; er sitzt die ganze Zeit mit einem kleinen Grinsen im Gesicht. Er winkt zu den Männern in der Ecke. Horst Mahler zeigt kein Zeichen des Bereuens.
Der Start der Sitzung ist etwas holprig; Mahler selbst erscheint im Saal 20 Minuten nach dem geplanten Beginn um 9 Uhr, nach Bestätigung seiner Personalien muss sein Verteidiger kurz wieder den Saal verlassen. Er sagt, er müsse sein Auto umparken. In der entstehenden Pause muss die Tontechnik im Saal angepasst werden; es gibt Beschwerden im Saal, man höre den Staatsanwalt ganz schlecht, während er die elf Anklagepunkte gegen Mahler vorliest. Zunächst zuckt der Anwalt mit den Schultern, wirkt etwas frustriert. „Ich habe unendlich viel zu lesen, anders geht das nicht“, sagt er Richtung des Zuschauerbereichs. In der Pause wird aber sein Mikrofon aufgedreht – und alles, was er danach sagt, ist in aller Klarheit zu hören.
Die Anklagepunkte gegen Horst Mahler enthalten ausführliche Auszüge aus jenen elf Schriften, die in hasserfüllter und fanatischer Sprache geschrieben sind. Allerlei antisemitische Motive sind darin enthalten, wie der Staatsanwalt zitiert: Horst Mahler soll von Verschwörungen des „Weltjudentums“ geschrieben, das Judentum mit Satanismus und dem Bösen verglichen haben. Er soll den Holocaust erneut als eine „Inszenierung“ beschrieben und dem Staat Israel vorgeworfen haben, die ganze Welt versklaven zu wollen. „Viele kennen das, aber sprechen darüber nicht aus Angst“, zitierte der Staatsanwalt. Mahler soll Adolf Hitler auch „den deutschesten aller Deutschen“ genannt haben.
In zwei Stunden werden sechs Anklagen vorgelesen – es bleiben noch fünf
Auch die Umstände, unter denen Mahler die elf Schriften geschrieben haben soll, werden vor Gericht erläutert. Einige soll er während seiner Verhaftung in der JVA Brandenburg/Havel geschrieben haben, wie etwa eine Hetzschrift auf 200 Seiten, die er auf einer Schreibmaschine getippt habe und die über einen Mittelsmann im Internet erschien. Andere sollen aus seiner krankheitsbedingten Haftunterbringung ab 2015 stammen – wie etwa eine hetzende E-Mail, die er 2016 an eine Reihe jüdischer Organisationen in ganz Deutschland, unter anderem den Zentralrat der Juden in Deutschland, schrieb. Mahlers Haftunterbringung endete 2017 nach seiner versuchten Flucht und gescheitertem Asylantrag in Ungarn, er verbrachte noch drei Jahren in Haft.
Manchmal sind in den Schriften Szenen der Gewalt und Brutalität beschrieben. Mahler habe von einer „arischen Atombombe“ geschrieben, die „mit Papier und Druckfarbe den deutschen Volksgeist“ schützen soll. Der Staatsanwalt muss sich selbst ab und zu räuspern oder schüttelt leicht den Kopf – als ob er vergessen möchte, was er gerade vorgelesen hat. Horst Mahler hingegen starrt ihn die ganze Zeit an, als er vorliest. Nur einmal unterbricht er die Vorlesung – um sich in voller Stimme zu beschweren, dass nicht weiter aus seinem Text vorgelesen wird. Sowohl die Richterin als auch der Staatsanwalt antworten mit festem Ton, Mahler müsse sich die ganze Anklage anhören, seine eigenen Argumente wird er später vorlesen können.




