Berlin-Bei der Umweltkatastrophe an der Oder wird seit Tagen nach dem Verursacher gesucht. Nach dem „Bösewicht“. Dabei schwingt oft Enttäuschung mit, dass der Täter noch nicht gefunden ist. Aber offenbar führte ein Zusammenspiel verschiedener Negativfaktoren zum Massensterben der Fische.
Die Vermutung: Firmen aus der Bergbaubranche und der Rüstungsindustrie haben Salze und andere Schadstoffe in die Oder geleitet. Die Stoffe lösten ein massives Algenwachstum aus, das die Fische sterben ließ.
Auch wenn es erst mal irritierend klingen mag, bleibt zu hoffen, dass es kein Einzeltäter war. Das hätte nur den Vorteil, dass klar wäre, was genau die Katastrophe verursacht hat. Die Einzeltäter-Variante hätte klare Nachteile: Alle würden auf den Täter zeigen und könnten so von der eigenen Mitverantwortung ablenken. Denn gerade bei multikausalen Ursachen muss von menschlichem und behördlichem Versagen auf breiter Linie ausgegangen werden. Oder gar von krimineller Energie.
Dummheit, Skrupellosigkeit, Ignoranz
Angenommen, die Firmen hatten tatsächlich die Genehmigung, Stoffe in solchen Mengen in die Oder zu leiten. Dann doch aber nur, weil sich normalerweise die Schadstoffe in den Wassermassen so weit verdünnen, dass die Schäden für die Umwelt kaum auffallen. Aber die Oder führt extremes Niedrigwasser – da verdünnt sich nicht viel. Dazu wirkt die wochenlange extreme Sonneneinstrahlung als Turbo für das tödliche Algenwachstum.
Es spricht also für Dummheit oder Skrupellosigkeit, bei solchen Bedingungen solche Mengen an Schadstoffen in das Ökosystem Oder einzuleiten. Es spricht zumindest für Ignoranz, dass die Behörden die Sache nicht rechtzeitig verboten haben. Und es spricht für Böswilligkeit, dass sie das Desaster dann auch noch verschwiegen haben. Erste Fische sollen bereits im Frühjahr gestorben sein. Durch das Schweigen hatte die deutsche Seite keine Zeit mehr, am gemeinsamen Fluss auf die Giftwelle zu reagieren.
Die Katastrophe hat mehrere Ursachen und führt mehrere Missstände vor Augen. Erstens: In der EU ist es nicht weit her mit der Zusammenarbeit bei einer grenzüberschreitenden Katastrophe. Es existieren zwar Verträge, die die Zusammenarbeit beider Länder regeln, trotzdem haben die polnischen Behörden bei den Deutschen nicht Alarm geschlagen. Von Vertuschung ist die Rede.
Zweitens: Das Schweigen offenbart ein politisches Dilemma. In polnischen Medien wird das Verhalten der Behörden auf die Führungsebene zurückgeführt. Die Chefs sollen keine Experten sein, sondern Leute, die ihren Posten vor allem wegen ihrer Nähe zur national-konservativen Regierungspartei PiS bekamen.
Drittens: Die Strafen in der EU sind so niedrig, dass sich Umweltsünder und Beamte scheinbar nicht fürchten. Oft werden solche Taten wie Kavaliersdelikte behandelt, weil von Fahrlässigkeit ausgegangen wird, nicht von Böswilligkeit. Das ist fatal. Denn wenn die Natur erst mal tot ist, kann es ihr egal sein, ob sie durch Mord starb oder fahrlässige Tötung.
Viertens: Es gibt kaum staatliche Umweltermittler. Auch in Deutschland haben die Staatsanwaltschaften meist keine oder nur kleine Umwelt-Abteilungen.


