Kurz nachdem die CDU forderte, die Herkunft der Silvester-Randalierer offenzulegen, begrüßte mich ein Junge aus der High-Deck-Siedlung mit den Worten: „Ich bin Palästinenser.“
Die High-Deck-Siedlung befindet sich im Norden Neuköllns, wo in der Silvesternacht ein Reisebus, ausbrannte. Das Bild ging um die Welt, als Symbol dieser Berliner Nacht. Der Junge war nicht dabei, beteuerte er mir, sondern zu Hause bei seiner Familie.
Die Polizei als Feind
Seine Augen waren klein, er war bekifft und ein bisschen auf Krawall gebürstet. Ich solle ihn ansehen, forderte er mich auf, direkt in die Augen. Er wollte meinen Presseausweis sehen, fragte, ob ich Polizistin sei. Die Polizei ist sein Feind. Auch das erklärte er und dass er Moslem sei und zum Beten in die Moschee gehe. Deutscher sei er auch, deutscher Staatsbürger!
Es platzte nur so aus ihm heraus, und ich dachte, dass der Junge gerade alle Klischees der CDU-Politiker bestätigt, die fordern, die Vornamen der Deutschen zu benennen, die in der Silvesternacht Polizei und Feuerwehr angegriffen haben, und fragte mich, ob diese Forderung, die mich irgendwie störte, nicht vielleicht doch berechtigt war.
Ich habe mich das schon oft gefragt: Warum es in Deutschland so verpönt ist zu fragen: Wo kommst du her? In der Einwandererstadt New York, in der ich lange lebte, war es eine der ersten Fragen, die mir gestellt wurden: Anja, was ist das für ein Name? Russisch? Kommst du dort her? – Nein, aber aus der DDR.
Ich fand die Frage nie unangenehm, im Gegenteil. Unangenehm fand ich eher, dass in der DDR kulturelle und religiöse Unterschiede keine Rolle spielen durften. Und dass im wiedervereinigten Deutschland immer wieder von mir verlangt wurde, meine ostdeutsche Sozialisation zu verstecken. Wann das denn endlich mal aufhöre mit Ost und West, wurde ich gefragt. Vor allem von Westdeutschen, die nie ihre Heimat verloren hatten.
New York, die DDR und die CDU
Ich erklärte ihnen, dass es erst dann aufhört, wenn es keine Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschen mehr gibt. Unterschiede zu benennen, ist wichtig, finde ich. Um zu verstehen, warum Menschen anders denken, anders handeln. Erst wenn man sie kennt, die Unterschiede, die Ursachen, kann man etwas dagegen tun.
Es klingt vielleicht seltsam, aber in gewisser Weise fühlte ich mich dem Jungen aus der High-Deck-Siedlung verbunden. Ich verstand jeden Satz, den er mir an den Kopf warf. Ich war ja nicht die erste Journalistin, die ihn nach Silvester fragte und – direkt oder indirekt - den Verdacht äußerte, er sei dabei gewesen. Nur weil er hier in dieser Siedlung wohnte und übrigens einen arabischen Vornamen hatte.
Die Sache, die mich stört an der CDU-Forderung, ist, dass hinter der Frage nach der Herkunft wohl eher kein Interesse an Einwandererbiografien steckt, sondern die Suche nach einem Sündenbock, auf den man mit dem Finger zeigt – in einer deutschen Tradition, die man in der CDU offensichtlich schon wieder vergessen hat.
An all das dachte ich, hier in der High-Deck-Siedlung, als ich dem Jungen zuhörte: an New York, die DDR, die CDU und die Lehren aus der deutschen Geschichte. Und der Junge muss so ähnliche Gedanken gehabt haben. Oder auch nicht. Denn jetzt fragte er mich, wann das denn endlich vorbei sei.
Was?, fragte ich.
Na, die Schuld, sagte er. Wann wir, die Deutschen, endlich die Palästinenser unterstützen würden – und nicht immer nur die Juden.
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