Gerettete Ost-Kunst

Nach 1990 gelangte der DDR-Liebling „Am Strand“ nach Taiwan – jetzt ist das Bild wieder zu Hause

Walter Womackas Bild ist ein deutscher Klassiker, aber kaum jemand weiß, dass der Meister es dreimal malte. Die Reise eines der Gemälde erzählt vom Nachwendefuror.

„Am Strand III“: Walter Womacka fertigte 1962 die Kopie für sich selbst, in den 1990er-Jahren kaufte sie der Geschäftsmann Wan Chew aus Taiwan.
„Am Strand III“: Walter Womacka fertigte 1962 die Kopie für sich selbst, in den 1990er-Jahren kaufte sie der Geschäftsmann Wan Chew aus Taiwan.Freundeskreis Walter Womacka/Gabriela Messlin

Berlin/Kölpinsee-Vor 60 Jahren gemalt, hat das Bild nichts von seinem zarten Charme verloren. Zwei junge Menschen, noch kein Paar, aber sicherlich bald, wagen eine erste scheue Berührung. Energie fließt in dieser Sekunde von Mittelfinger zu Mittelfinger. Wer wüsste nicht, wie es den beiden in dem magischen Moment geht. Ist es nicht ein wunderbarer Moment? Noch die Erinnerung erzeugt Gänsehaut. Wenn es gelingt, solche menschlichen Gefühle in einem Kunstwerk festzuhalten, entstehen ewig lebende Klassiker. So wie das Gemälde „Am Strand“.

Geschichte westdeutscher Arroganz

60 Jahre nach dem Entstehen erzählt das 95 mal 110 Zentimeter große Ölgemälde nicht nur die Geschichte einer jungen Liebe, sondern auch die von der Ignoranz, Arroganz und mutwilligen Zerstörung oder dem Verächtlichmachen von Werken, die in der DDR entstanden: Die große Schriftstellerin Christa Wolf erlebte nach 1990 eine Schmähkampagne, der populäre Palast der Republik wurde unter Vorwänden abgerissen, die „Gläserne Blume“ verrottet (begleitet von Lügengeschichten) im Depot, die denkmalgeschützte Gaststätte Ahornblatt mit ihrer kühnen Architektur musste aus den Augen und aus dem Sinn. Die Gemälde bedeutender DDR-Maler verschwanden in Lagerräumen oder – wie noch zu berichten sein wird – gelangten in den Besitz ausländischer Kunstfreunde, die ohne ideologische Scheuklappen zu schätzen wussten, was sie sahen.

„Am Strand“, das Original, gemalt von Walter Womacka 1962, hängt im Dresdener Albertinum und befindet sich im Besitz der Bundesrepublik Deutschland.
„Am Strand“, das Original, gemalt von Walter Womacka 1962, hängt im Dresdener Albertinum und befindet sich im Besitz der Bundesrepublik Deutschland.Freundeskreis Walter Womacka/Walter Womacka
„Am Strand II“ von Walter Womacka, unsigniert und ohne Jahresangabe, im Besitz von Womackas Tochter, die Modell gesessen hatte. Die drei Bilder unterscheiden sich leicht in Format und Farbtönung.
„Am Strand II“ von Walter Womacka, unsigniert und ohne Jahresangabe, im Besitz von Womackas Tochter, die Modell gesessen hatte. Die drei Bilder unterscheiden sich leicht in Format und Farbtönung.Freundeskreis Walter Womacka/Simon Harik

Was noch existiert, hat Glück gehabt. In den 90er-Jahren waren in der auf Tilgung der Ost-Zeugen sinnenden Polit- und Kulturelite Westberlins durchaus Überlegungen zu vernehmen, den Fernsehturm abzureißen, am liebsten gleich das ganze Zentrum Ost – viel zu sozialistisch. Den Turm brauchte die Post, so kam er davon.

Die beliebte Jugenddiskothek Alextreff mit der markanten Zackenkrone in der Rathausstraße musste im Jahr 2000 weichen, das denkmalgeschützte Interhotel Berolina an der Karl-Marx-Allee auch, ebenso die metallenen Elemente der Fassade des Centrum-Kaufhauses am Alex (heute Galeria). Willi Neuberts Emaille-Fries am Pressecafé versteckte ein Steakhaus für fast 30 Jahre schamhaft hinter einer Reklame für Kurzgebratenes.

Womackas „Bauchbinde“ für das Haus des Lehrers

Fast überrascht es, dass vieles trotzdem den ersten Zerstörungsfuror überstand. Unübersehbar blieb deshalb, wie Walter Womacka den Alexanderplatz geprägt hat: Das Haus des Lehrers mit seinem Fries „Unser Leben“ steht inzwischen gemeinsam mit der Kongresshalle unter Denkmalschutz. Die optimistische Zukunftszugewandtheit der „Bauchbinde“ spricht neue Generationen an. Womackas große Kupfertreibarbeit „Der Mensch überwindet Zeit und Raum“ am inzwischen ebenfalls denkmalgeschützten Haus des Reisens blieb erhalten, ebenso der Brunnen der Völkerfreundschaft. Selbst Neuberts „Lob der kommunistischen Presse“ am Pressecafé geht nun frisch saniert als Teil der Geschichte des Ortes durch.

Das über fünf Stockwerke reichende Wandbild „Der Mensch als Maß aller Dinge“, das bis zum Abriss das Bauministerium an der Breiten Straße schmückte, wurde von der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) gerettet; seit der Umsetzung an einen Plattenbau an der Friedrichsgracht in Mitte wirkt das 90 Quadratmeter große Mosaik von Womacka noch besser als zuvor. Seine Glasfenster im ehemaligen Staatsratsgebäude, heute eine private Manager-Eliteschule, scheinen dort sicher.

Die Zerstörung von vier Wandbildern auf Beton mit dem Titel „Der Mensch gestaltet seine Welt“ im ehemaligen DDR-Außenministerium hätte der Künstler wohl mithilfe von „ein paar Kunstsinnigen in Bonn“ verhindern können, berichtet Frank Schumann, Verleger von Womackas Autobiografie und Mitglied im Freundeskreis Walter Womacka e. V. Doch das habe der Maler nicht gewollt. „Es gibt keine DDR-Außenpolitik mehr, also auch keine Wandbilder dazu“, soll Womacka gesagt haben. Und dann dokumentierte er den Abriss des Gebäudes mit seinen malerischen Mitteln in dem Gemälde „Rückbau“. Da versinken auch die Wandbilder in einem Strudel von Betontrümmern, attackiert von mit Betonbrechzangen bewaffneten Baggern. Im Hintergrund nähern sich diese Ungetüme bereits dem Palast der Republik.

„Am Strand“ war überall

Nun aber zurück zum bekanntesten Womacka-Werk: Mehr als drei Millionen Mal wurde „Am Strand“ reproduziert, es erschien auf Plakaten, Postkarten und einer Briefmarke in Zwölfmillionen-Auflage. Es hing über ungezählten Sofas in DDR-Wohnzimmern gegenüber der Karat-Schrankwand und stieß auch im Ausland auf Liebe.

Nun kommt ans Licht, dass dieses berühmte Bild ein dreifaches Schicksal hat, denn Womacka hat selber nach dem Original zwei exakte Repliken angefertigt: Eine (unsignierte) befindet sich im Besitz seiner auf Zypern lebenden Tochter. Die andere malte (und signierte) er für sich selber und bewahrte sie in seinem Atelier auf. Nur wenige wussten von deren Existenz – und genau dieses Gemälde ist auf einem Umweg über Taiwan wieder zu Hause angekommen. Am Ostseestrand von Usedom. Was ist da zwischen 1962 und 2021 geschehen?

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Zur Person
Die Anfänge: Walter Womacka wurde am 22. Dezember 1925 in Obergeorgenthal (heute Tschechische Republik) als Sohn eines Gärtners geboren. Seine Ausbildung als Dekorationsmaler musste er wegen des Kriegsdienstes unterbrechen. Nach der Umsiedlung der Familie nach Thüringen setzte er 1949 seine künstlerische Ausbildung an Hochschulen in Weimar und Dresden fort.

Die akademische Karriere: 1953 wechselte Walter Womacka an die Kunsthochschule Weißensee, wo er ab 1963 als Leiter der Abteilung Malerei arbeitete. Zu seinen bekanntesten Studenten gehörte Georg Baselitz.1965 wurde er zum Professor ernannt. 1968 wurde er Rektor der Hochschule und blieb dies bis 1988.

Die politische Haltung: Womacka machte nie einen Hehl aus seiner Loyalität zum sozialistischen Staat DDR und zu dessen gesellschaftlichen Zielen. Er gehörte der SED an. Von 1959 bis 1988 war er der Vizepräsident des Verbandes Bildender Künstler der DDR.

Die künstlerische Karriere: Walter Womacka gehört bis heute zu den bekanntesten Malern der DDR. Er war einer der wichtigsten Vertreter des sozialistischen Realismus in der DDR. Er hinterließ viele Hundert Werke als Maler, Grafiker und Gestalter zahlreicher architekturgebundener Arbeiten wie Wandfriese oder Glasfenster.

Nach der Wende: Nach 1990 wandte sich Womacka neben Stillleben und Landschaftsmalerei kritisch den Themen Umwelt und Weltkonflikte zu. 2007 wurde der Freundeskreis Walter Womacka gegründet. Eine Dauerausstellung seiner Bilder ist in einem Hotel in Kölpinsee auf Usedom zu sehen, darunter „Am Strand“.

Das Grab: Am 18. September 2010 verstarb Walter Womacka in Berlin und wurde am 7. Oktober 2010 in Berlin auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde beigesetzt.

Walter Womacka hatte die Szene am Strand selbst beobachtet, 50 Jahre lang verbrachte er die Sommer mit seiner Frau Hanni auf Usedom in seinem Haus in Loddin/Kölpinsee. Das Bild malte er 1962 in Berlin; seine Tochter Uta saß Modell, wie auch sein jüngerer Bruder Rüdiger, wenn er Urlaub von seinem NVA-Dienst hatte. Das Politbüro kaufte das Bild 1963 und schenkte es dem damaligen Staats- und Parteichef Walter Ulbricht, einem Womacka-Liebhaber, zum 70. Geburtstag. Der reichte es umgehend als Dauerleihgabe an die Galerie Neue Meister in Dresden weiter, wo es sich bis heute befindet.

Bei der Fünften Deutschen Kunstausstellung 1963 wählten die Besucher „Am Strand“ auf den ersten Platz der beliebtesten Bilder. Nicht anders sah das Resultat 55 Jahre später aus, als das Albertinum in Dresden in der Ausstellung „Ostdeutsche Malerei und Skulptur 1949–1990“ seine DDR-Bestände präsentierte und fragte, welches Gemälde in die Dauerausstellung solle; klarer Sieger: „Am Strand“. Die Echtheit des vermittelten Gefühls, die klare, schlichte Darstellung siegte über das Verächtlichmachen, das davon als „gemaltem Schlager“ und Dümmerem tönte.

Aus Taiwan zurück am Strand

1990 stand Walter Womacka plötzlich als verachteter Staatskünstler da und bekam einen gehörigen Teil des Hasses auf DDR-Kunst ab. In dieser Lage vermittelte ein ehemaliger DDR-Außenhändler, Womackas Freund Dietrich Kupfer, einen Kontakt nach Taiwan. Der Einladung nach Taipeh folgte ein Gegenbesuch des Geschäftsmannes und Kunstfreundes Wan Chew und seiner Frau in Berlin. Bald reisten 100 Bilder, die Herr Chew für eine Ausstellung ausgewählt hatte, nach Taipeh und wurden 1992 in drei großen Sälen des Fine Art Museums ausgestellt. Der Erfolg zeigte sich auch in den Einnahmen: Fast alle Bilder wurden verkauft und kamen nicht nach Deutschland zurück. Womacka lebte in den 1990er-Jahren weitgehend von diesen Erlösen.

Wie sich herausstellte, hatte Wan Chew selbst einige der Bilder erworben. Darunter „Am Strand“, das dritte Exemplar. Schon vor Jahren überließ er es dem 2007 gegründeten Freundeskreis Walter Womacka mit Sitz in Kölpinsee. Der Verein konnte mittlerweile etliche Womacka-Bilder zusammentragen und unterhält im Hotel Seerose, unweit von Womackas Sommerhaus in Loddin, eine Dauerausstellung mit dem Titel „Uns bleiben seine Bilder“. Nun hat Herr Chew zur großen Freude der Vereinsmitglieder die Dauerleihgabe in ein Geschenk umgewandelt. Das Liebespaar ist wieder dort, wo alles begann.

Die allerjüngste Tat des Vereins ist von kleinerem Format: „Am Strand“ ziert wieder eine Briefmarke der Deutschen Post, 85 Cent Nominalwert. Die Erlöse aus dem Verkaufspreis von 5 Euro fließen der Erbepflege des Künstlers und damit der Pflege eines Teils deutscher Nationalkultur zu.