Die Trommler der Drum Kitchen Berlin lassen es ordentlich krachen, als es auf Gleis 5 zur historischen Begegnung kommt: Ein S-Bahn-Zug mit Wagen 484.085D an der Spitze, gesteuert von Lokführer René Röther, schleicht sich leise in den Bahnhof. Vor den Augen von Betriebsleiter Andreas Kühn küsst das letzte Fahrzeug der Lieferung um 13.33 Uhr sanft den Erstling 483.001A, der dort mit einem anderen Wagen gewartet hatte.
Manchmal funktioniert der Industriestandort Deutschland eben doch noch. Drei Monate früher als anfangs geplant ist die neue Berliner S-Bahn-Flotte komplett, und bislang wurden keine größeren Technikprobleme gemeldet. Unter Trommelwirbel und vor vielen Feiergästen trafen am Montagmittag der erste und der letzte Zug der Lieferung im Bahnhof Charlottenburg aufeinander. „Das ist die beste S-Bahn, die wir je bekommen haben“, sagte S-Bahn-Chef Peter Buchner. Währenddessen warten die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) auf die ersten neuen U-Bahnen – bislang vergeblich.
Rund 33 Monate, nachdem der erste Zug am Neujahrsmorgen 2021 auf der Linie S47 in Spindlersfeld gestartet hatte, ist die Neubauflotte seit kurzem komplett. Ein Konsortium hat der S-Bahn Berlin GmbH, die der Deutschen Bahn (DB) gehört, die 106 Fahrzeuge für rund 900 Millionen Euro geliefert. Siemens Mobility steuerte die Antriebe und die digitalen Gehirne bei. Stadler stellte die Wagenkästen in Ungarn her, Stadler Pankow war für die Montage und die Inbetriebnahme zuständig. 21 Zwei-Wagen-Einheiten der Baureihe 483 wurden geliefert. Hinzu kamen 85 Vier-Wagen-Züge der Baureihe 484.
Mittlerweile ungewöhnlich ist, dass die Liefertermine nicht nur unterboten wurden, sondern dass die Fahrzeuge auch von Anfang an gut funktionierten – zumal im stressigen Berliner Alltagsbetrieb, wo sie bereits insgesamt 17 Millionen Kilometer zurückgelegt haben. Natürlich gab es Kinderkrankheiten, berichtete S-Bahn-Chef Buchner. Wie berichtet musste bei der Software nachgearbeitet werden. „Das sind rollende Computer“, sagte er. Doch ansonsten verlief der Start „mit Bravour“.
Endlich eine Klimatisierung – anders als in der U-Bahn
Das Personal lobt die Fahreigenschaften und die Laufruhe. Fahrgäste freuen sich über die Klimatisierung, dank derer es bei Hitze im Innenraum drei Grad Celsius kühler ist als draußen – ungewohnt für Berliner Fahrgäste, die in anderen S-Bahnen und in der U-Bahn im Sommer schwitzen müssen. Nicht nur wer sich schon mal gewundert hat, wie absurd wenig Platz es in der Hamburger S-Bahn für Fahrräder gibt, wird die großen Mehrzweckabteile in den neuen Berliner S-Bahnen zu schätzen wissen. In diesen Bereichen ist natürlich auch Platz für Rollstühle, Rollatoren, Kinderwagen und Gepäck.

Seit kurzem werden die Ringlinien S41 und S42 vollständig mit neuen Fahrzeugen gefahren. Waren dort trotz großer Fahrgastnachfrage früher Sechs-Wagen-Zügen die Regel, sind nun regulär Acht-Wagen-Einheiten unterwegs. Längere Züge, die jeweils rund 800 Menschen befördern können, werden auch auf der Linie S8 sowie deren Verlängerung nach Wildau in den Hauptverkehrszeiten eingesetzt. Zu den Domänen der jüngsten S-Bahn-Generation gehören außerdem die Linien S46 und S47.
Ob die neuen Züge tatsächlich Kosenamen wie „iPad“ oder „Lichtschalter“ haben, wie es Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) nach einem Blick ihres Redenschreibeteams in Wikipedia annahm: Bahnfans bezweifeln es. Und auch wenn die Produktion schneller als geplant vorankam: Bis das Projekt neue S-Bahn-Generation für Berlin und Brandenburg in Schwung kam, vergingen etliche Jahre.
Die große Berliner S-Bahn-Krise brachte das Projekt in Gang
Anlass war die S-Bahn-Krise, die 2009 ihre Höhepunkte erlebte und das Vertrauen der Fahrgäste erschütterte. Sparmaßnahmen in den Werkstätten, Wartungs- und Qualitätsmängel führten dazu, dass viele Fahrten ausfielen – und die Politik das Thema Zuverlässigkeit ins Blickfeld rückte. Doch erst 2013 kam das Vergabeverfahren für den Ring und die Strecken im Südosten, das zudem eine 20-prozentige Kapazitätserhöhung vorsah, ins Rollen. Beobachter kritisierten, dass die Ausschreibung auf sehr große Unternehmen zugeschnitten war, auch gab es viele Änderungen. Und so blieb Berichten zufolge die S-Bahn Berlin GmbH als einziger Bieter übrig, die Ende 2015 den Zuschlag bekam. Der Deal stieß auf Kritik, weil die Kosten für die Länder damals deutlich stiegen.
Zehn Jahre hat das Projekt bis heute gedauert. „Einige haben Kinder gekriegt, andere graue Haare“, sagte Jure Mikolcic, Chef von Stadler Deutschland. Er äußerte bei der Feier in Charlottenburg die Hoffnung, dass Stadler weitere Exemplare der neuen S-Bahn baut. Elmar Zeiler, der bei Siemens für Nahverkehrs- und Regionalzüge zuständig ist, sah das Lob für die Züge ebenfalls als Ansporn, noch mehr davon zu liefern – falls gewünscht.
In der Tat läuft seit 2020 das Vergabeverfahren für die restlichen zwei Drittel des S-Bahn-Netzes. Im Auftrag der beiden Bundesländer sucht der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) Unternehmen, die für die Ost-West-Linien auf der Stadtbahn sowie die Nord-Süd-Linien im Tunnel Züge bauen und betreiben. Beim größten Vergabeverfahren, das es jemals in der Hauptstadt-Region gegeben hat, geht es um elf Strecken und mindestens 1300 S-Bahn-Wagen.
Doch die Frist, bis zu der Interessenten ihre verbindlichen Angebote abgeben können, ist Informationen der Berliner Zeitung erneut verschoben worden. War zuletzt von Mitte Oktober die Rede, ist nun bis Januar 2024 Zeit. Beobachter befürchten, dass der bereits mehrmals geänderte Zeitplan erneut ins Wanken kommt. Eine Betriebsaufnahme wie bislang geplant ab 2029/30 wäre nur dann möglich, wenn spätestens Ostern 2024 bekannt gegeben wird, wer den Auftrag erhält. „Die Zuschlagerteilung ist für 2024 geplant“, sagte VBB-Chefin Ute Bonde am Montag – ohne näher ins Detail zu gehen.
BVG zu den U-Bahnen: „Erneute Verzögerungen sind mehr als bedauerlich“
Berichten zufolge trägt der laufende Rechtsstreit des Bahnproduzenten Alstom auch zu dem jüngsten Fristaufschub bei. Das Unternehmen war bei der Vergabekammer des Landes Berlin gegen die Ausschreibung vorgegangen, weil es sich benachteiligt fühlte. Als das bei der Senatswirtschaftsverwaltung angesiedelte Gremium den Nahprüfungsantrag ablehnte, zog Alstom Ende 2022 vor das Kammergericht. Nun wartet der Hersteller auf einen Termin – bislang ist noch keine Verhandlung absehbar.

Am Montag wurde auch bekannt, dass es mit der neuen U-Bahn-Lieferung für die BVG nicht so gut läuft. Weil es Lieferschwierigkeiten unter anderem bei elektrischen Komponenten gab, musste Stadler Pankow das Landesunternehmen mehrmals mit Terminverschiebungen konfrontieren. Sollten die ersten Fahrzeuge der Baureihe JK zunächst Ende 2022 kommen, war später vom Frühjahr, dann vom Sommer und schließlich vom Herbst 2023 die Rede. Nun erfuhr die BVG, dass es eine weitere Verzögerung geben wird. Ein neuer Termin sei nicht genannt worden, hieß es.






