Zwei Stunden und 40 Minuten lief am Dienstag das erste beschleunigte Verfahren vor dem Amtsgericht Tiergarten, das die Berliner Staatsanwaltschaft gegen ein Mitglied der Letzten Generation beantragt hatte. Der Angeklagte soll sich an einer Straßenblockade beteiligt haben. Auch ein Zeuge war bereits gehört worden. Dann machte die Richterin Lola Petersen diesem Prozess ein Ende. „Die Sache ist für ein beschleunigtes Verfahren nicht geeignet“, entschied sie am Nachmittag. Es handle sich um keinen einfachen Sachverhalt und keine klare Beweislage. Beides sind Voraussetzungen für ein beschleunigtes Verfahren.
Petersen sagte, es sei in der Akte nicht ausreichend dokumentiert worden, welche Auswirkungen die Straßenblockade gehabt habe. Das heißt: Die Ermittlungen reichten nicht aus. Es seien weitere Zeugen erforderlich, die nun „zur Aufklärungspflicht“ in einem regulären Verfahren gehört werden müssten.
Die Entscheidung ist eine Klatsche für die Berliner Staatsanwaltschaft, die das Verfahren beantragt hatte. Damit gab die Richterin letztlich doch noch den Anwälten des angeklagten Julian L. recht, die einen schnellen Prozess abgelehnt und deswegen zu Beginn der Verhandlung mehrfach die Aussetzung des Verfahrens beantragt hatten.
Ihr Mandant, ein 35-jähriger Student der Geoökologie, soll sich am 11. November des vergangenen Jahres an der Kreuzung Warschauer Straße Frankfurter Tor in Friedrichshain an einer Blockadeaktion der Gruppe Letzte Generation beteiligt haben. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Studenten Nötigung vor.
Es ging an diesem Verhandlungstag nicht so sehr um den Tatvorwurf gegen den Angeklagten, sondern vielmehr um die Frage: Können die Klima-Kleber in beschleunigten Verfahren abgeurteilt werden? Eignen sich solche Fälle für derartige schnelle Prozesse? Beschleunigte Verfahren sind möglich, wenn der Sachverhalt einfach, die Beweislage eindeutig, für die Tat keine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten ist und die Angeklagten ein Geständnis abgelegt haben.
Anwälte sprechen vom „schlanken Anklagesatz“
Die Verteidiger von Julian L. hatten bereits zu Beginn des Prozesses erklärt, dass ein solches Verfahren im Fall ihres Mandanten ungeeignet sei. Viel zu spät sei ihnen Akteneinsicht gewährt worden. Damit würden die Rechte des Angeklagten verletzt. Der Sachverhalt gehe auch weit über den „schlanken Anklagesatz“ der Staatsanwältin hinaus, hatte Verteidiger Tobias Krenzel bemängelt. Zudem sei der Angeklagte nicht geständig.
Das beschleunigte Verfahren gegen den Angeklagten sei allein eine politische Entscheidung der Staatsanwaltschaft, so Krenzel. Die Anwälte verwiesen zudem auf ein Interview, das Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner Ende Mai der Bild-Zeitung gegeben hatte. Darin enthaltene Aussagen würden sie als politische Einflussnahme wahrnehmen, sagten die Verteidiger. Der CDU-Politiker hatte unter anderem erklärt: „Ich will beschleunigte Verfahren für die Klima-Kleber einführen, damit wir hier zu schnellen Urteilen kommen.“
Drei Wochen später kündigte die Staatsanwaltschaft an, künftig mit beschleunigten Verfahren gegen die Aktivisten vorzugehen. Auch um die Behörde zu entlasten, die zu dieser Zeit immerhin 2146 Verfahren unter anderem gegen Straßenblockierer zu bearbeiten hatte, etwa 90 Prozent davon richteten sich gegen Mitglieder der Letzten Generation.
Seither hat die Staatsanwaltschaft 25 Anträge auf beschleunigte Verfahren beim Amtsgericht Tiergarten gestellt. Dort entstanden daraufhin fünf neue Abteilungen für derartige Fälle. Zwei dieser Abteilungen sind derzeit besetzt, eine davon mit Richterin Lola Petersen. 13 der Anträge hatte sie auf dem Tisch, zwei davon lehnte sie bereits vor Eröffnung der Hauptverhandlung ab. Einen Antrag entschied sie jetzt im Gerichtssaal. Die Verfahren müssen nun in einem normalen Strafprozess verhandelt werden.





