Lina E. appelliert in ihrem letzten Wort am Amtsgericht Tiergarten an Richterin Corinna Sassenroth, Mut zu zeigen, „auch wenn es nur ein kleines Amtsgericht“ sei. Die Richterin müsse bekennen, auf welcher Seite sie stehe, sagt die 20-jährige Klimaaktivistin. Und sie erklärt auch, dass sie sich nicht gerne auf die Straße klebe. Das mache ihr sogar Angst. Doch noch mehr Angst mache ihr der Klimawandel.
Doch der Appell hilft nicht. Am Dienstagvormittag verurteilt Sassenroth Lina E. wegen gemeinschädlicher Sachbeschädigung, Nötigung, versuchter Nötigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 130 Tagessätzen zu je zehn Euro. Sie habe sich in sieben Fällen schuldig gemacht.
Dabei hatte sich Lina E. in fünf Fällen auf die Straßen Berlins geklebt und so den Verkehr blockiert. Autofahrer standen lange Zeit im Stau, ohne ausweichen zu können. Ein Autofahrer, der als Zeuge gehört worden sei, habe davon gesprochen, fast eine Panikattacke bekommen zu haben. Es gebe viele Menschen, die von so einer Straßenblockade beeinträchtigt seien, Menschen, die dringend mit ihrem Kind oder ihrer alten Mutter zum Arzt oder zu einem anderen wichtigen Termin müssten. „Vielleicht machen Sie sich auch mal klar, wie viele Schicksale daran hängen“, sagt Sassenroth.
Es könne nicht sein, dass die Angeklagte Autofahrer für ihre Zwecke instrumentalisiere, betont die Richterin. Die betroffenen Verkehrsteilnehmer hätten keine Ausweichmöglichkeiten gehabt, es habe keinen Sachbezug der Aktionen zu einzelnen Personen gegeben. Mit ihren Blockaden öffneten die Klimaaktivisten die Schleusen zur Beeinträchtigung des inneren Friedens.
Sassenroth erklärt auch, dass das Klima natürlich in Gefahr sei, und sie habe auch Verständnis für einige Aktionen. Sie appellierte ihrerseits an die Klima-Kleber, sich politisch oder in Umweltorganisationen zu engagieren, um ihre Ziele zu erreichen. Damit würden sie mehr erreichen „als durch das destruktive Verhalten des Festklebens“. Es gebe kein Recht, mit Straftaten auf Gesetzgeber einzuwirken.

Als gemeinschädliche Sachbeschädigung sieht die Richterin die Aktion im August vergangenen Jahres, bei der sich Lina E. zusammen mit einer anderen jungen Frau in der Berliner Gemäldegalerie an den historischen Rahmen des Gemäldes „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“ des Renaissancemalers Lucas Cranach der Ältere geklebt hatte. Es sei ein Rahmen aus dem 15. Jahrhundert mit einem Wert von 20.000 Euro gewesen, sagt die Richterin. Den entstandenen Sachschaden von 2385 Euro habe die Angeklagte bereits beglichen.
Für das Gericht war die Frage, ob Lina E., die zum Tatzeitpunkt 19 Jahre alt war, nach dem Jugendstrafrecht zu verurteilen wäre. „Nein“, sagt Sassenroth. Bei der Angeklagten lägen keine Reifeverzögerungen vor. Die „maßvolle Geldstrafe“ begründet die Richterin damit, dass Lina E. aus tiefster Überzeugung für eine gute Sache gehandelt habe. Zudem sei der Schaden an dem historischen Bilderrahmen bezahlt.
Mit ihrem Urteil bleibt die Richterin unter der von der Staatsanwaltschaft geforderten Geldstrafe von 3000 Euro. Der Verteidiger der Klimaaktivistin hatte auf Freispruch plädiert.
Lina E., die zum Gericht von Clara Hinrichs, der Sprecherin der Letzten Generation, begleitet wurde, zeigt sich nach dem Prozess von dem Urteil enttäuscht und kündigt an, Rechtsmittel dagegen einzulegen. Es mache sie „total wütend, was hier passiert ist“, erklärt sie. Die Richter hätten in der Klimakatastrophe eine Riesenverantwortung künftigen Generationen gegenüber. Es sei an der Zeit, mutige Entscheidungen zu treffen.
Für sie sei ganz klar, dass sie sich nicht von den Aktionen abhalten lasse, „dass ich mich weiter auf Straßen kleben und weiter friedlichen, zivilen Ungehorsam leisten werde“. Sie sehe dies als gerechtfertigt an. Als sie mit ihren Pappschildern in den Innenstädten gestanden und niemanden gestört habe, habe sie nichts erreicht.
Lina E. hat nach eigenen Angaben bisher an rund 50 Protesten der Letzten Generation teilgenommen, drei Dutzend Verfahren gibt es demnach gegen sie. In Nordrhein-Westfalen wurde sie bereits rechtskräftig verurteilt: zu einer Geldstrafe von 600 Euro wegen Hausfriedensbruchs.


