Wahlen in Berlin

Mit Sackkarre: Hausmeister musste Stimmzettel durch Berlin-Marathon fahren

Immer mehr Pannen vom Berliner Wahlabend werden bekannt. Etliche Stimmen sind ungültig.

Das Wahllokal in der Herthastraße im Bezirk Wilmersdorf, Ortsteil Grunewald.
Das Wahllokal in der Herthastraße im Bezirk Wilmersdorf, Ortsteil Grunewald.imago

Berlin-Es war durch und durch eine Pannen-Wahl. Inzwischen erscheint es immer zweifelhafter, dass es nur in einer „zweistelligen Zahl“ von Wahllokalen zu Unregelmäßigkeiten kam, wie Senatskanzleichef Christian Gaebler (SPD) noch am Dienstag sagte. Auch in Friedrichshain-Kreuzberg lief nicht alles glatt. So waren auch in diesem Bezirk Stimmzettel aus einem anderen Bezirk verteilt worden. Von dem Durcheinander wusste die Landeswahlleitung schon lange vor der Wahl.

Rolfdieter Bohm, Bezirkswahlleiter von Friedrichshain-Kreuzberg, bestätigte am Donnerstag einen entsprechenden Bericht des RBB. Bereits am 16. August, dem Auftakt der Briefwahl, gab es in der Briefwahlstelle falsche Zettel.

Die Zweitstimm-Zettel seien erst gegen 7 Uhr geliefert worden, bevor um 8 Uhr die „Briefwahl vor Ort“ startete, so Bohm. Bei den zwölf Briefwahlstellen der Bezirkswahlämter konnten die Bürger bereits persönlich ihre Stimmen für die Wahl zum Bundestag, dem Abgeordnetenhaus und den Volksentscheid abgeben. Schon beim Auspacken der Pakete sei aufgefallen, dass darin Zweitstimmen-Wahlzettel aus einem anderen Bezirk gewesen seien. „Als ich davon erfuhr, dass in einigen Stimmbezirken Zweitstimmenzettel aus Charlottenburg-Wilmersdorf für die Abgeordnetenhauswahl ausgegeben wurden, haben wir sofort alle Wahlvorstände durchtelefoniert“, sagt Bohm. Gemeinsam mit anderen hätten sie sofort eine Telefonkette gebildet, um möglichst schnell alle zu informieren.

Hinweisblatt wurde offenbar weitgehend ignoriert

„Etwa ein Viertel der Wahlvorstände, mit denen ich gesprochen habe, waren mit diesen falschen Wahlzetteln in Berührung gekommen. Einige hatten tatsächlich auch schon diese Stimmzettel an die Wähler ausgegeben“, so Bohm. „Diese Stimmen sind ungültig.“ Im Wahlkreis 1 in Friedrichshain-Kreuzberg betrifft das 607 Zweitstimmen.

Die Landeswahlleitung hatte ein Hinweisblatt für alle Wahlvorstände erstellt mit der Bitte zu prüfen, ob die Stimmzettel passen. Diese lagen in den Paketen mit den Stimmzetteln. Allerdings zweifelt Bezirkswahlleiter Bohm, dass die Wahlvorstände in den Lokalen davon großartig Notiz genommen haben, auch angesichts der Hektik, die morgens bei der Einrichtung der Wahllokale vor ihrer Eröffnung herrschte.

Auch mit den Schulungen der Ehrenamtlichen war es schwieriger als sonst. Wegen der Corona-Pandemie mussten die Bezirke mehr Wahllokale einrichten. Entsprechend höher war der bedarf an Wahlhelfern. Also brauchte es mehr Schulungen. Doch daran durften wegen der Hygienebestimmungen weniger Menschen teilnehmen als sonst.

Wahlzettel zerschnitten und auf den Kopierer gelegt

Manche Wahllokale meldeten, dass sie in Kürze keine Stimmzettel mehr haben würden. In Kreuzberg etwa wurden daraufhin Ersatz-Stimmzettel produziert. Weil der für die Abgeordnetenhauswahl besonders lang war und nicht auf einen Kopierer passte, wurde er zerschnitten. Die Stücken wurden nebeneinander auf einen A3-Kopierer gelegt. „Das sah nicht hübsch aus. Aber lieber mit einem nicht so schönen Stimmzettel abstimmen als gar nicht wählen können“, sagt Bohm. „Das war in der Lage das Beste, was wir machen konnten.“

Dass auch der Berlin-Marathon durch die Stadt führte, erschwerte die Wahl ebenfalls. Laut Bohm lagen noch Stimmzettel-Reserven im Rathaus Kreuzberg in der Yorckstraße. Der Hausmeister lud einige Kartons davon auf eine Sackkarre, um sie zu einem Wahllokal zu schaffen, dem die Zettel ausgegangen waren. Doch er kam nicht durch die Laufstrecke. „Wir haben dann die Polizei angerufen, die ihn dann schnell durchgelassen hat“, sagt der Bezirkswahlleiter. Zumindest theoretisch war für solche Fälle Vorsorge getroffen worden. Bei den Streckenposten gab es Ansprechpartner, die bei einem auseinandergezogenen Läuferfeld Bürger über die Strecke geleiteten, wenn diese zu ihrem Wahllokal wollten.

Ein größeres Problem war Bohm zufolge, dass in manchen Fällen Wahlkabinen nachgeordert werden mussten. Diese mit einem Lkw durch die Marathon-Strecke zu bekommen, sei schwierig gewesen. Waren die betroffenen Wahllokale in Schulen oder Kitas, dann behalfen sich die Organisatoren mit Tischen, die für den Sichtschutz hochkant gestellt wurden.

„Schätzungen sind das normale Geschäft“

Für Aufregung sorgte ein Bericht des RBB, dass das vorläufige amtliche Endergebnis der Landeswahlleiterin für 22 Wahlbezirke in Charlottenburg-Wilmersdorf identische Zahlen zur Wahl der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) nennt. Aber es handelt sich eben nur um ein vorläufiges und nicht um ein amtliches Endergebnis. Dieses soll erst am 14. Oktober feststehen. Erst ab diesem Tag ist die Wahl offiziell ausgezählt – und kann dann auch angefochten werden.

Bei den Wahlbezirken mit den identischen Zahlen, die die Landeswahlleiterin als vorläufiges Endergebnis veröffentlichte, handelt es sich um Schätzungen. „Schätzungen in der Wahlnacht sind das normale Geschäft“, sagt der scheidende Bezirksbürgermeister von Charlottenburg-Wilmersdorf, Reinhard Naumann (SPD). Die Kritik daran sei „bodenlos“. Niemand könne von Ehrenamtlichen, die zum Teil 20 Stunden hintereinander im Wahllokal Dienst getan haben, erwarten, dass sie noch in der Nacht jede Stimme auszählen. Dieses geschehe dann erst in den Tagen danach.

Bisher liegen diese Ergebnisse aber nicht vor. Naumanns Pressestelle teilte am Donnerstag zudem mit, dass es bei allen Wahlen bei der Übermittlung der Ergebnisse zu Problemen oder einem Ausbleiben der sogenannten Schnellmeldung kommen könne. „Scheitert eine Kontaktaufnahme mit dem zuständigen Wahlvorstand, wird versucht, anhand der vorliegenden Wahlunterlagen das Ergebnis zu ermitteln. Sollte diese Prüfung nicht zum Ziel führen, ist es erforderlich, eine Schätzung auf Basis des bis dahin Ermittelten abzugeben, damit die Landeswahlleitung ein vorläufiges Ergebnis feststellen kann.“ Das sei das von der Landeswahlleitung vorgesehene Verfahren.

Weiter heißt es in der Mitteilung: „In den Tagen nach der Wahl wird das tatsächliche Wahlergebnis dann aufgrund der Wahlunterlagen erneut geprüft und nacherfasst. In dieser Phase befinden wir uns gerade.“ Spätestens an diesem Freitag werde die Prüfung der BVV-Stimmbezirke abgeschlossen.

Allein in 99 Wahllokalen sind mehr als 13.100 Stimmen ungültig

Unklar bleibt allerdings, warum mehr Stimmen ungültig sind als bei der Abgeordnetenhaus- und BVV-Wahl im Jahr 2016 und der Wahl zum Bundestag 2017. Laut einer Datenauswertung des RBB waren allein in mindestens 99 Wahllokalen auffällig viele Stimmzettel ungültig. Das betrifft mindestens 13.120 Stimmen bei allen Wahlgängen. Demnach lag in einem Wahllokal der Anteil der ungültigen Stimmen zur Abgeordnetenhauswahl bei rund 40 Prozent. Dies könnte an den falsch ausgelieferten Wahlzetteln liefern.

In manchen Wahlbezirken war auch mehr als die Hälfte und in einem Neuköllner Wahlbezirk rund um die Germaniapromenade knapp 70 Prozent der Stimmen zum Volksentscheid ungültig. So etwas passiert, wenn man zum Beispiel beide Optionen ankreuzt. Oder Kommentare auf den Zettel schreibt wie „Kapitalisten enteignen“ oder „Wollt Ihr den Kommunismus wieder einführen?“. Doch solche Statements allein erklären nicht den hohen Anteil der ungültigen Stimmen.