Berliner Klimarat

Bettina Jarasch über Klimarat: „Klimaschutz ist eigentlich immer sozial-gerecht“

Nach zwei Monaten legt der Berliner Klimarat nun seine Empfehlungen für die Politik vor. Die Zivilgesellschaft wirkt radikaler als der rot-grün-rote Senat.

Vertreter des Berliner Klima Bürgerrats mit Umweltenatorin Bettina Jarrasch (Grüne) im Berliner Abgeordnetenhaus.
Vertreter des Berliner Klima Bürgerrats mit Umweltenatorin Bettina Jarrasch (Grüne) im Berliner Abgeordnetenhaus.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Berlin-Als Bettina Jarasch, Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz, sich am Redepult im Abgeordnetenhaus bei den anwesenden Bürgerinnen und Bürgern bedanken will, fehlt gleich die erste Seite ihrer Rede. Sie halte sich, gibt die Grüne am Donnerstagabend zu, selten an vorgeschriebene Reden. Vielleicht achtet sie deshalb auch nicht auf die Vollständigkeit der Seiten. Heute sei es ihr aber besonders wichtig, sie wolle keinen Namen vergessen. Die fehlende Seite wird also noch geholt und die Senatorin bedankt sich bei den 100 Berlinerinnen und Berlinern des Klimarats.

Für die Klimaschutzsenatorin ist es ein wichtiger Tag, der von ihrer Regierung eingesetzte „Klimabürger:innenrat“ stellt nach zweimonatiger Arbeit seine Empfehlungen vor. 100 zufällig ausgewählte Bürger und Bürgerinnen haben sich seit Ende April neun Mal getroffen, über die großen Themen Mobilität und Verkehr, Energie und Gebäude diskutiert. Unter dem ersten Leitsatz „Klimaschutz hat oberste Priorität“, dieser müsse „zügig, entschlossen und sozial gerecht umgesetzt werden“, übergeben sie nun 47 klimapolitische Empfehlungen an Jarasch.

Der Klimarat gilt als Kernprojekt der grünen Klimaschutzsenatorin Bettina Jarasch, im Vorfeld lobte sie die „klaren und präzisen Empfehlungen“, mit denen sich die Politik nun gründlich beschäftigen müsse. Im Abgeordnetenhaus lobte sie dann noch die klare „Wertehaltung der Empfehlungen“, schon am obersten Leitsatz lasse sich das ablesen. Den Appell, Klimaschutz immer auch sozial-verträglich zu gestalten, könne sie nachvollziehen, Elektromobilität solle beispielsweise kein Privileg der Reichen seien, sagte dann aber auch: „Klimaschutz ist eigentlich immer sozial-gerecht“, denn er helfe nicht nur Menschen in Berlin, sondern auch denen, die im Globalen Süden besonders unter den verharrenden Auswirkungen fehlender Klimaanstrengungen leiden würden.

Empfehlungen des Klimarats tragen grüne Handschrift

Insbesondere Jaraschs eigene Partei wird aus den 47 Empfehlungen viel politischen Rückenwind nehmen können, die Vorschläge tragen mitunter eine klare grüne Handschrift. So spricht sich der Klimarat unter anderem mit einer deutlichen Zweidrittelmehrheit für eine mögliche City-Maut aus, eine Grünen-Forderung, die seit Jahren an den Koalitionspartnern scheitert.

Oft zeigt sich der Bürger:innenrat progressiver als die Politik. So fordert er ein Aus für Neuzulassungen von Verbrennerautos ab 2023, spätestens 2025, und ab 2030 soll Berlin komplett emissionsfrei sein. Jaraschs Vorgängerin, die grüne Verkehrssenatorin Regine Günther, wollte Benziner erst ab 2035 verbieten. Erst diese Woche beschlossen die EU-Umweltminister ein Verbot von Neuzulassungen bei Verbrennungsmotoren mit Ausnahmen ab 2035. Auch soll Autofahren grundsätzlich unattraktiver und teurer, Parkplätze durch Grünflächen ersetzt werden.

Im Bereich Mobilität gab es dementsprechend die höchsten Zustimmungswerte zum Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. „Alternativen zum motorisierten Individualverkehr“ sollen geschaffen werden, insbesondere außerhalb des S-Bahn-Rings. Neben mehr Busspuren und Fahrradwegen spricht sich der Klimarat auch für autofreie Tage und dauerhaft niedrige Ticketpreise aus.

Als ausgewählte Bürgerinnen und Bürger die 15 Empfehlungen im Bereich Mobilität vorstellten, betonten sie, dass die Verkehrswende das „zentrale Thema“ für den Klimarat gewesen sei, ein „Herzensthema“ für viele. Wohl auch deshalb äußerten sie im Abgeordnetenhaus die Hoffnung, dass die Politik ihre Ziele gerade hier ambitionierter stecken müsse.

Solaranlagen auf Berliner Balkons

Beim Themenkomplex Energie herrschte zwischen den 100 Berlinerinnen und Berlinern insgesamt die höchste Einigkeit, viele der Empfehlungen wurden mit überwältigender Mehrheit beschlossen. 93 Prozent sprechen sich für weniger bürokratische Hürden aus, um „klimafreundliche Energiegewinnung“ etwa schneller und effizienter vorantreiben zu können.

Bürgerinnen und Bürgern müsse es außerdem leichter gemacht werden, kleine Solaranlagen auf dem Balkon zu installieren. Dafür müsse Berlin die technischen Voraussetzungen im landeseigenen Stromnetz schaffen. Gas- und Ölheizungen sollen verboten und bis 2035 schrittweise abgebaut werden.

Auf Unverständnis stößt in der Bevölkerung, oder zumindest dem zufällig ausgewählten Berliner Querschnitt, Subventionen von fossilen Energieträgern: „Wir empfehlen den sofortigen Stopp der Förderung von Gasheizungen“, frei werdende Mittel sollten stattdessen in klimaneutrale Wärmetechniken investiert werden. Bis 2019 konnten sich Hausbesitzer aus KfW-Fördertöpfen den Einbau einer Gasheizung in Bestandsbauten vom Staat bezuschussen lassen, mit dem dann Ende 2019 Klimaschutzpaket der alten Bundesregierung werden seitdem aber nur noch hybride Gasheizungen gefördert. Konkret müssen Gasheizungen also mit einer Erneuerbaren-Energie-Anlage arbeiten, um subventioniert werden zu können.

Berliner Klimabürger:innenrat im Berliner Abgeordnetenhaus.
Berliner Klimabürger:innenrat im Berliner Abgeordnetenhaus.Berliner Zeitung/Markus Wächter

92 der 100 Klimaräte sprachen sich im Themenkomplex Gebäude gleichzeitig für eine Solar- und Gründächerpflicht aus. Auch solle „die Kombination von Solar- und Gründächern als Standardbauweise“ festgelegt werden. Erst im März legte der Senator für Stadtentwicklung, Andreas Geisel (SPD), einen Änderungsentwurf für die Berliner Bauordnung als Teil des 100-Tage-Programms des neuen Senats vor. Dieser sieht unter anderem eine stärkere Begrünung von Neubauten vor, Dächer mit einer Neigung von bis zu zehn Grad sind grundsätzlich zu begrünen. Gelten solle das aber erst ab 2024. Der vom Senat eingesetzte Klimarat verlangt dagegen diese Pflicht „schnellstmöglich“ umzusetzen und auch, wenn möglich, auf Bestandsbauten auszuweiten.

Grüne und Linkspartei äußern Bedenken

Senatorin Jarasch zeigte sich am Donnerstag von den Empfehlungen doch beeindruckt: „Veränderungen, die den Alltag betreffen, sind möglich und offenbar auch akzeptiert.“ Besonders hoffnungsvoll stimme sie, dass der Klimarat auf schnelle Maßnahmen setze. Statt zu fordern, den öffentlichen Nahverkehr in jahrelanger Kleinstarbeit auszubauen, werde einfach auf eine schnellere Taktung gesetzt. Das lasse sich kurzfristiger umsetzen: „Das finde ich gut.“

Verhaltene Kritik kam in der anschließenden Diskussionen ausgerechnet aus Reihen der Grünen und Linken, vielleicht auch, weil beide Regierungsparteien die Empfehlungen nun auch umsetzen oder begründet ablehnen müssen. Stefan Taschner, klimapolitischer Sprecher der Grünen, machte deutlich, dass einige Forderungen auf Landesebene einfach nicht umsetzbar seien: „Man ist auch auf die Bezirke, auf den Bund angewiesen.“

Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Anne Helm, äußerte erwartbare Bedenken zur City-Maut, die immer auch „eine Frage der sozialen Gerechtigkeit“ sei. Um den öffentlichen Nahverkehr, wie vom Klimarat gefordert, auszubauen, gebe es andere, bessere Möglichkeiten der Gegenfinanzierung.

Auf den Einsatz eines „Bürger:innenrats Klima“ einigte sich die Landesregierung im Koalitionsvertrag, den Teilnehmenden standen zu den Themenkomplexen Energie, Gebäude und Mobilität jeweils Expertinnen und Experten beratend zur Seite. Mitte Juni wurden die Empfehlungen per einfacher Mehrheit beschlossen. Der neue senatsübergreifende Klimaausschuss wird über die Umsetzung der Empfehlungen Anfang September tagen.