Berlin-Bettina Jarasch gab die Stoßrichtung zumindest teilweise vor. Zum Start des „Klima-Bürger:innenrats“ begrüßte die grüne Senatorin für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz die 100 zufällig ausgewählten Berlinerinnen und Berliner am frühen Dienstagabend im Berliner Umweltforum. Sie machte in ihrer Rede dabei immer wieder deutlich, dass wirksamer Klimaschutz nur mit tiefgreifenden Veränderungen funktionieren wird. „Wie schaffen wir Klimaneutralität“, fragte die Grüne und formulierte so zumindest schon ihr eigenes Ziel für den Klimarat. „Je schneller wir sein wollen, je mehr Maßnahmen brauchen wir, je mehr Veränderungen müssen wir hinnehmen.“
Der Bürger- und Bürgerinnenrat ist ein Kernprojekt der neuen rot-grün-roten Koalition und Bestandteil des selbstgesteckten 100-Tage-Programms. In den kommenden zwei Monaten sollen die hundert zufällig ausgewählten Menschen hier gemeinsam über Klimaschutz diskutieren, Ideen entwickeln und ihre Empfehlungen im Juni dann abschließend dem Berliner Senat überreichen. Der – so steht es im Koalitionsvertrag – will die Vorschläge dann zumindest einmal „berücksichtigen“.
Bettina Jarasch: Man sei zu abhängig von russischem Gas
Dieses Willen betonte Jarasch auch am Dienstag noch einmal, versprach aber, dass der Senat die Ergebnisse „sehr, sehr ernst nehmen“ werde. Sagte dann auch: „Wenn wir etwas nicht übernehmen, müssen wir das gut begründen.“ Die Bürger und Bürgerinnen empfehlen, am Ende entscheidet aber doch die Politik.
Mit einer Reihe aktueller politischer Ereignisse versuchte die grüne Umweltsenatorin die Anwesenden von der Notwendigkeit eines energiepolitischen Wechsels zu überzeugen. Man sei zu abhängig vom russischen Gas, zu abhängig von Ölimporten, die „auch nicht gerade aus demokratischen Ländern stammen“. Nur, wenn die Gesellschaft es schaffe, auf erneuerbare Energien umzusteigen, werde man unabhängig: „Jetzt müssen wir dieses Thema wirklich angehen, die Abhängigkeit auf Energieimporte ist mit Putins Angriff auf die Ukraine deutlich geworden.“
Aber: In Berlin sei man bereit für Veränderung. Woher die Klimaschutzsenatorin das wusste, blieb unklar.
Im Schnitt 1400 Hitzetote pro Jahr
Klarer wurden beim nachfolgenden Auftritt vom Soziologen Fritz Reusswig vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung vor allem, dass Klimaschutz nicht unmöglich ist. In den vergangenen 30 Jahren sind die Treibhausgase in Berlin um 40 Prozent gesunken, obwohl die Stadt deutlich gewachsen sei. Konkret „um eine Stadt in der Größe Bochums“. Wichtig sei nur, dass alle Bereiche der Großstadt einbezogen werden müssten. Gebäude, Verkehr, Strom, Wirtschaft und Privathaushalten müssten auf Klimaneutralität umstellen, ansonsten würde Berlin bis 2100 klimatisch „nach Südfrankreich wandern“. Eine zu schnelle klimatische Veränderungen, Mensch und Tier könnten sich nicht anpassen. Allein heute gibt es jährlich im Schnitt 1400 Hitzetote, im Berliner Großstadtverkehr sterben „nur“ etwa 60 Menschen, warnte der Soziologe.
Reusswig forderte die Klimaräte und -rätinnen deshalb auf, nicht all zu sehr darüber zu diskutieren, ob es den Klimawandel gibt, sondern, was getan werden muss, um ihn aufzuhalten. Welche Instrumente gibt es, wie soll das bezahlt werden, wer muss sich einschränken? „Ein sehr politisches Thema“, sagte der Wissenschaftler. Vielleicht ist es auch deshalb Teil des 100-Tage-Programms des Senats.

