Berlin-Ohne sofortige und tiefgreifende Maßnahmen zur Emissionsreduktion wird die Menschheit das 1,5-Grad-Ziel nicht mehr erreichen. So lautet die zentrale Aussage des dritten und damit letzten Teils des neuen Sachstandsberichts des Weltklimarats IPCC, der an diesem Montag veröffentlicht wurde. Nach den ersten beiden Teilen zum Zustand des Klimas und zu den Folgen der Erderwärmung geht es in dem nun veröffentlichten Report um die Maßnahmen zur Minderung des Klimawandels.
Der neue Bericht ist eine deutliche Mahnung und eine Aufforderung an die politischen Entscheidungsträger, drastische Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen – und zwar sofort. Die weltweiten Treibhausgasemissionen haben in den vergangenen Jahren, wenn auch langsamer, stetig zugenommen. 2021 gab es die höchste je erreichte Emissionsmenge: Rund zwei Milliarden Tonnen mehr CO₂ wurden ausgestoßen als 2020, wie die Internationale Energieagentur (IEA) kürzlich mitteilte. Und auch Kohle wurde demnach weltweit noch nie so viel verbrannt wie 2021.
Höhepunkt der Treibhausgasemissionen
Die klare Warnung der IPCC-Autoren: Wenn die Mitgliedstaaten ihre bisherigen politischen Maßnahmen nicht verschärfen, werden wir bis Ende des Jahrhunderts wahrscheinlich die 3,2-Grad-Marke überschreiten. Die Autoren betonen aber auch, dass es prinzipiell möglich sei, das 1,5-Grad-Ziel noch zu erreichen. Dafür müssten die Treibhausgasemissionen aber bis 2030 um 43 Prozent gesenkt werden. Die globalen Treibhausgasemissionen dürften dementsprechend spätestens ihren Höhepunkt vor 2025 erreichen, also innerhalb der nächsten drei Jahre. Gleichzeitig müsse Methan ebenfalls um etwa ein Drittel reduziert werden. Und auch bei einer Begrenzung auf etwa zwei Grad Erwärmung müssen die globalen Treibhausgasemissionen spätestens vor 2025 sinken und bis 2030 um ein Viertel reduziert werden.
„Wenn wir die globale Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen wollen, heißt es für uns: jetzt oder nie“, sagte Jim Skea, Co-Vorsitzender der dritten IPCC-Arbeitsgruppe. „Ohne sofortige und tiefgreifende Emissionssenkungen in allen Sektoren wird dies unmöglich sein.“ In dem Bericht werden zahlreiche Klimaschutzmaßnahmen für die Sektoren Industrie, Energieversorgung, Verkehr, Landwirtschaft und Gebäude aufgezählt. Die meisten Maßnahmen sind nicht neu.
So seien unter anderem große Umstellungen im Energiesektor erforderlich, so die IPCC-Autoren. Das bedeutet: Die Nutzung fossiler Brennstoffe muss erheblich gesenkt werden. Nötig sind zudem eine weit verbreitete Elektrifizierung, eine verbesserte Energieeffizienz und die Verwendung alternativer Brennstoffe wie Wasserstoff. „Wir haben das Zeitalter der fossilen Energieträger immer noch nicht zurückgelassen und dürfen auf keinen Fall neue Kohlekraftwerke bauen“, sagte Jan Christoph Minx, einer der koordinierenden Leitautoren, in einem Gespräch mit dem Science Media Center.
Einsparungspotenziale in Industrie, Verkehr, Stadtplanung
Gerade Städte würden erhebliche Möglichkeiten zur Emissionsreduzierung bieten, betonen die IPCC-Autoren. Dazu gehören unter anderem die Elektrifizierung des Verkehrs, eine Verringerung des Energieverbrauchs, aber auch eine verbesserte Kohlenstoffaufnahme und -speicherung, etwa durch Bäume und begrünte Flächen.
Auch in der Industrie könnten Emissionen gespart werden. Der Sektor sei für etwa ein Viertel der weltweiten Emissionen verantwortlich, heißt es im Bericht. Mögliche Maßnahmen seien etwa, dass mehr Materialien und Produkte in Zukunft recycelt und wiederverwendet werden. Es seien zudem neue Produktionsverfahren, emissionsarme oder emissionsfreie Elektrizität, der Einsatz von grünem Wasserstoff und, wo nötig, auch die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung erforderlich.
Im Bericht werden zudem explizit die aktive CO₂-Entnahme aus der Atmosphäre und dessen langfristige Speicherung genannt, um negative CO₂-Emissionen zu erzielen. Eine CO₂-Entnahme, auch Carbon Dioxide Removal (CDR) genannt, ist etwa durch Aufforstung möglich. Auch die sogenannte CCS-Technologie (Carbon Capture and Storage), eine CO₂-Speicherung, könnte angewandt werden, um zum Beispiel Kohlendioxid im Untergrund zu speichern – sei es an Land oder im Meeresuntergrund.
Politische Maßnahmen sind nötig
Erstmals gibt es in einem Weltklimabericht zudem ein Kapitel zu sozialen Aspekten der Abschwächung des Klimawandels. Eine zentrale Erkenntnis: Die zehn Prozent der Weltbevölkerung mit den höchsten Pro-Kopf-Einkommen würden einen unverhältnismäßig großen Anteil zu den weltweiten Treibhausgasemissionen der Haushalte beitragen. Vor allem reichere Menschen bestimmten den Erfolg vom Klimaschutz etwa durch ihren Konsum, aber auch als Rollenvorbild in bestimmten beruflichen Positionen wie in der Politik oder auch im Investment.
Eine weitere Erkenntnis des neuen Kapitels: Allein in den Sektoren Ernährung, Gebäude und Mobilität gebe es ein Reduktionspotenzial von 40 bis 70 Prozent, betont der Berliner Physiker Felix Creutzig, koordnierender Leitautor des entsprechenden Kapitels. „Weniger Fleisch zu essen, hat etwa ein enormes Potenzial. Das hat mich selbst überrascht“, sagt Creutzig. Die nötigen Lebensstil-Änderungen hin zu einem klimafreundlichen Verhalten könnten aber nicht nur vom Einzelnen kommen. Es seien politische Änderungen notwendig. „Wir brauchen mehr sichere Fahrradwege, mehr Angebote, damit wir vom Auto wegkommen, zum Beispiel durch Smart Shared Mobility wie Sammeltaxen und flexible Mobilitätsangebote. Das geht alles mit Lebensstil und -wandel einher und wird am Ende aber politisch getrieben“, sagt Creutzig.
Im IPCC-Bericht gibt es auch mehrere Lichtblicke: Seit der Veröffentlichung des letzten Sachstandsberichts aus dem Jahr 2015 soll sich die Zahl der politischen Maßnahmen und Gesetze zum Klimaschutz kontinuierlich erhöht haben. Das habe zur Vermeidung von Emissionen geführt, die andernfalls aufgetreten wären, und zu erhöhten Investitionen in treibhausgasarme Technologien und Infrastruktur, heißt es im Bericht. So habe sich etwa die Abholzung von Wäldern verlangsamt und der Einsatz erneuerbarer Energien beschleunigt. Seit 2010 seien zudem die Kosten für Solar- und Windenergie sowie für Batterien nachhaltig um bis zu 85 Prozent gesunken. „Die Schlüsseltechnologien haben sich viel besser entwickelt, als Experten erwartet haben“, sagt Leitautor Jan Christoph Minx. Doch trotz aller Lichtblicke sei es wichtig, zu betonen, dass endlich die Maßnahmen verschärft werden müssen.
Starker CO₂-Preis ist nötig
„Mit den Emissionen steigen auch die Klimarisiken, die bisher ergriffenen Maßnahmen sind zu schwach“, sagt Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, als Reaktion zum IPCC-Bericht. „Wir brauchen also eine neue Politik – und angesichts der russischen Aggression eine, die Energiesicherheit und Klimasicherheit verbindet. Nur mit einem starken CO₂-Preis können wir das Comeback der Kohle stoppen und zugleich unsere Energiequellen diversifizieren sowie Einnahmen erwirtschaften für den nötigen Sozialausgleich hoher Energiekosten.“



