Feuerwehr

Ist das die Rettung für den Berliner Rettungsdienst?

SPD und Grüne haben sich auf Gesetzesänderungen geeinigt. Vielleicht bringen sie etwas Linderung für die Berliner Feuerwehr. Eine Analyse.

Rettungskräfte der Berliner Feuerwehr am vergangenen Sonnabend: Zwei Schülerinnen waren in der Leonorenstraße in Steglitz unter einen Bus geraten. Der Notarzt war nach neun Minuten da. Der RTW brauchte 20 Minuten.
Rettungskräfte der Berliner Feuerwehr am vergangenen Sonnabend: Zwei Schülerinnen waren in der Leonorenstraße in Steglitz unter einen Bus geraten. Der Notarzt war nach neun Minuten da. Der RTW brauchte 20 Minuten.Pudwell

Fast täglich ruft die Berliner Feuerwehr den „Ausnahmezustand Rettungsdienst“ aus. Das geschieht, wenn mindestens 80 Prozent der verfügbaren Rettungswagen (RTW) ausgelastet sind und die vorgegebenen zehn Minuten bis zum Eintreffen nicht eingehalten werden können. Besatzungen von Löschfahrzeugen – es sind ausgebildete Rettungssanitäter – besetzen dann freie RTW, was zulasten des Brandschutzes geht. Noch nie gab es so oft den „AZ Rettungsdienst“ wie in diesem Jahr.

Bei Schlaganfall oder Herzinfarkt zählt jede Minute. Doch die vorgegebenen Eintreffzeiten werden schon seit Jahren nicht erreicht. Daran hat man sich in Berlin gewöhnt, Innenverwaltung und Feuerwehr begründeten den rasanten Anstieg der Rettungseinsätze mit der Mär von der wachsenden sowie alternden Bevölkerung. Tatsächlich entspreche der drastische Anstieg der Zahlen weder dem Bevölkerungszuwachs noch den Veränderungen der Altersstruktur, stellte der Landesrechnungshof kürzlich fest. Mann kann es auf Seite 112 nachlesen.

Berlin ist mit seinem Problem nicht allein. Überall in Deutschland geht es dem Rettungsdienst schlecht. Das Bündnis pro Rettungsdienst kritisierte am Montag die schlechte Bezahlung und eine „nie da gewesene Berufsflucht“. Verschärft werde die Notlage durch viele Bagatelleinsätze, für die es dennoch eine Pflicht zum Transport ins Krankenhaus gebe.

Einer der Gründe ist die immer schlechtere ärztliche Versorgung

Und doch dürften die Zustände in Berlin einzigartig sein. Den seit 15 Jahren andauernden Personalmangel bei der Feuerwehr mit Neueinstellungen auszugleichen, funktioniert nicht, zumal die Länder um Fachkräfte konkurrieren. Was unter der Oberfläche schwelt, bricht seit fünf Jahren immer wieder auf; schon 2018 demonstrierten Feuerwehrleute gegen die Zustände.

Zum Personalmangel kommen nun ein hoher Krankenstand und Corona. Und: eine absurd hohe Zahl von Einsätzen, die wegen Belanglosigkeiten mit RTW beschickt werden. Menschen mit depressiven Verstimmungen wählen die 112, weshalb unter dem Stichwort „psychiatrischer Notfall“ ein Rettungswagen ausrückt, ja ausrücken muss. Bauchschmerzen, Schulter verrenkt, Fuß verstaucht – deshalb wird die Nummer des Notrufs gewählt. Und jedes Mal muss ein RTW geschickt werden, weil die entsprechenden Einsatzcodes bürokratisch genau so festgelegt sind.

Einer der Gründe für diese Entwicklung ist die schlechter werdende ärztliche Versorgung. Wer beim Hausarzt nicht dran- und beim Kassenärztlichen Notdienst nicht durchkommt, wählt eben die 112. Dort kümmert man sich. Die Feuerwehr muss ausbaden, was Gesundheitsminister von FDP, CDU und SPD versäumt haben.

Andere Probleme in Berlin sind hausgemacht. So gibt es bei der Innenverwaltung einen Beirat für den Rettungsdienst. Ihm gehören unter anderem Vertreter der Krankenkassen, der Ärztekammer, der Kassenärztlichen Vereinigung und Notärzte an. Seine Aufgabe ist es, die Verwaltung zum Rettungsdienst zu beraten. Der Beirat trat selten zusammen. Und so wird seit Jahren herumgewurstelt.

Alle Parteien haben in den vergangenen Wochen Vorschläge gemacht

Echte Abhilfe können Änderungen im Berliner Rettungsdienstgesetz schaffen. Nach jahrelangem Tiefschlaf der Koalitionsparteien SPD, Grüne und Linke und nach den sich zuletzt häufenden Katastrophenmeldungen sollen nun im Abgeordnetenhaus schnellstens Änderungen im Gesetz beschlossen werden. Dafür haben alle Parteien in den vergangenen Wochen mehr oder weniger brauchbare Vorschläge gemacht. Sie betonten, dass dies nichts mit dem Wahlkampf zu tun habe, der in Berlin begonnen hat.

Dass sich Innensenatorin Iris Spranger von der SPD und Gesundheitssenatorin Ulrike Gote von den Grünen nun auf Änderungen im Gesetz einigen konnten, ist ein Fortschritt: Der Landesbranddirektor bekommt als Behördenchef die Gesamtverantwortung für den Rettungsdienst, die unbegreiflicherweise vorher nicht im Gesetz geregelt war. Dadurch könnte, wie gefordert, ein Gremium aus Fachleuten festlegen, wann RTW und Notarzt ausrücken und wann nicht. Nicht mehr der bislang allein haftende Ärztliche Leiter der Feuerwehr soll die Standards festlegen, nach denen stur ausgerückt wird.

Außerdem – ebenso wichtig – dürfen die Rettungs- und Notarztfahrzeuge künftig flexibler besetzt werden. Ein Notfallsanitäter kann dann etwa im Ernstfall aus einem Notarztauto herausgenommen werden, um einen freien Rettungswagen zu besetzen, wodurch mehr RTW auf die Straße kommen.

Spannend wird die Frage, wie der Landesbranddirektor die neuen Möglichkeiten umsetzt und ob diese ersten Schritte Linderung bringen. Auf lange Sicht braucht es neben vielen weiteren Änderungen auch mehr Personal. Das bekommt man nur, wenn die Arbeit im Rettungsdienst attraktiv ist.